: Das Gegenteil von Woodstock
Auf den Berliner Zeltplätzen finden sich überwiegend Dauercamper. Eine Nacht auf dem Platz in Kladow bringt Ärger mit betrunkenen Campingplatz-Nachbarn und erinnert an einen traurigen Film
von KIRSTEN KÜPPERS
19.45 Uhr : Das Auto ist voll. Es wird nicht langweilig werden. Schwimmreifen, zwei Federballspiele und die Mitgliedszeitung der IG Medien sind dabei.
20.20 Uhr: Wir fahren an einem liegen gebliebenen schwedischen Wohnmobil vorbei. In Kladow trinkt die Dorfjugend an der Bushaltestelle. Die Straße führt an dunklen 70er-Jahre-Bungalows entlang. Dahinter liegt der Campingplatz.
20.30 Uhr: Wir haben keine Camping Card. Das wäre besser, sagt die Frau in dem Empfangshäuschen, weil man dann Verbilligungen auf allen Plätzen des Deutschen Camping Clubs bekommt. Der Campingplatz Berlin-Kladow ist fast voll. Es gibt hier 600 Dauerstellplätze, die überwiegend von Berlinern als Gartenlaubenersatz genutzt werden. „Dazu haben wir 130 zusätzliche Elemente“, sagt die Frau. Unser Element kriegt die Nummer 12. Wir erhalten einen Schlüssel für das Campingtor, das ab 22 Uhr abgesperrt wird. Mit einem Klapprad fährt die Frau voraus und weist uns unseren Standort zu. Auf den mit Hecken eingefassten Wegen stehen Verkehrsschilder. Dahinter parken Wohnmobile. Die meisten haben einen zeltmäßigen Anbau, unter dem Gartenstühle aus Plastik aufgebaut sind. Sehr viele Camper in Shorts radeln mit Klapprädern herum.
20.45 Uhr: Auto ausladen. Unsere Nachbarn sitzen an einem Campingtisch unter einer Birke und essen Abendbrot. Sie gucken uns unverhohlen argwöhnisch an. Wir sind die Neuen. Ich habe meinen Schlafsack vergessen. Ballspiele sind nur außerhalb des Geländes erlaubt, sagt die Platzordnung.
21 Uhr: Wir bauen das Iglu-Zelt auf. Zwei ältere Männer in Jogginganzügen und Sandalen patrouillieren vorbei. Sie inspizieren die Hecke hinter uns.
21.13 Uhr: Wir stellen Klapptisch und -stühle auf. Die Nachbarn gegenüber haben einen kleinen Graben für Regenwasser um ihr Zelt gezogen.
21.17 Uhr: Die Sanitäranlagen sind in einem flachen Betonbau in der Mitte des Campingplatzes untergebracht. Vier Minuten Einzeldusche kosten 50 Pfennig. In einem schmalen Raum räumen Frauen Wäsche aus Waschmaschinen. Die Toiletten sind sauber. Es gibt 26 orange Kabinen für jedes Geschlecht. Draußen warten vereinzelt Männer und Frauen in Freizeitkleidung bis ihr jeweiliger Partner von der Toilette kommt – ein schönes Bild. Man hört ein stetes Rauschen der Klospülungen.
21.28 Uhr: An einer Tafel in der Mitte der Anlage steht: „Das Abstellen von Laubsäcken im Eingangsbereich ist nicht zulässig. Bei Streitigkeiten zwischen Nachbarn oder Problemen mit Bäumen muss der Platzreferent angesprochen werden.“
21.45 Uhr: Wir essen Chips am Campingtisch. Die erste Mücke sticht. Wir haben kein Autan dabei. Zwei türkische Kinder fahren auf silbernen „Kickboard“-Rollern vorbei. Ein dickes deutsches Mädchen überholt sie auf dem Klapprad.
21.58 Uhr: Ich bin satt. Der Grill wird angeheizt. Ein Japaner aus dem Nachbarzelt leiht uns sein Feuerzeug.
22.02 Uhr: Tupperdosen auspacken. Es gibt Salat aus der Plastiktüte und sechs verschiedene Flaschen mit Soßen. Im Zelt gegenüber macht jemand Spiele mit der Taschenlampe.
22.26 Uhr: Nebenan sitzt ein holländischer Familienvater allein vor seinem großen Zelt und trinkt eine Dose Bier. Er sieht unglücklich aus. Neben ihm steht ein Wasserkanister.
22.50 Uhr: Eine Rentnerin huscht mit Kulturbeutel vorbei. Sie trägt große goldene Ohrringe und Badelatschen. Die Kartoffeln sind verbrannt. Eine Sternschnuppe.
23.07 Uhr: Acht Jugendliche laufen in das Zelt der Holländer. Der Vater holt sich eine neue Dose Bier.
23.20 Uhr: Im Fenster eines Wohnwagens ist ein autokennzeichenartiges Schild befestigt, auf dem „Christoph und Helga“ steht. In einem Caravan daneben sieht man durchs Fenster junge Leute um einen Holztisch sitzen. An der Wand hängt eine Kuckucksuhr. Man denkt an den traurigen Film „Angelika“ von Thorsten Alisch.
23.45 Uhr: Wieder stürmen drei Jugendliche in das Zelt der Holländer-Nachbarn. Sie geben dem Biertrinker Gutenachtküsse. Es ist zu dunkel, um die IG-Medien-Zeitung zu lesen.
23.55 Uhr: Eine blondierte ältere Frau geht vorbei. Ihr Mann läuft wie bei einer Polonäse hinter ihr her. „Is was?“, blafft sie. Unser Nachbar zieht sich ein Bier nach dem anderen rein.
0.25 Uhr: Das Zelt ist eng und stickig. Der Schlafsack meines Begleiters heißt „Lets move“. Er ist „der natürlichen Ei-Form nachempfunden“, wie in der Gebrauchsanleitung steht und hat einen Reißverschluss zum Auseinanderklappen.
1.55 Uhr: Der betrunkene Holländer tritt unser Zelt zusammen. Er schreit auf Englisch, wir würden uns zu laut unterhalten. Er will morgen dafür sorgen, dass wir vom Platz gewiesen werden. Die Stimme klingt nach Schlägerei. Viele Reißverschlüsse ratschen auf und zu. Schatten gehen vor unserem Zelt auf und ab. Wir trauen uns nicht zu kichern und stundenlang nicht aufs Klo.
6.30 Uhr: Zerknautschtes Aufwachen. Die anderen Camper sind munter und machen Lärm. Die asiatischen Nachbarn bauen ihr Zelt ab. Ein Camper mäht mit einem elektrischen Rasenmäher den Rasen.
10.55 Uhr: In der Spülküche gibt es drei Spülbecken. Sie befinden sich im ersten Stock des Sanitärbaus. Mein Begleiter sagt: „Das ist das Gegenteil von Woodstock.“
11.05 Uhr: Am Zeltplatzkiosk gibt es Brötchen. Man muss sie einen Tag vorher bestellen. Wir bekommen vier Stück, weil ein Besteller seine Brötchen nicht bis 11 Uhr abgeholt hat.
11.12 Uhr: Kaffee kochen mit dem Gaskocher. Im Wasser schwimmt ein Grashalm. Der Holländer dreht uns den Rücken zu. Seine Frau liest ein Buch und sieht nett aus. Vorher hat sie Unterhosen auf eine Wäscheleine gehängt.
12.02 Uhr: Ein Auto mit Berliner Kennzeichen fährt vor. Eine Clique Jugendlicher steigt aus und baut zu lauter Musik von Xavier Naidoo ihr Zelt auf. Einer sagt: „Das werden geile Tage.“ Alle Zeltnachbarn gucken den Neuen zu. An einem Caravan bewegt sich die Gardine.
12 Uhr 35: Die Straßen auf dem Campingplatz tragen Pflanzen- und Tiernamen. Im Eichhörnchenweg hängt eine Deutschlandfahne, in der Birkenallee eine Bayernfahne, daneben eine Südstaatenflagge. Die Camper im Zebraweg sind Berliner und kommen meist schon seit 50 Jahren hierher. Um die Caravans sind Blumenrabatten gepflanzt. Töpfe mit Geranien und Efeu hängen von den Pergolas. An einem Campingtisch sitzt eine Gruppe Dauercamper. Die kleine Gesellschaft sieht glücklich aus. Früher sei sie nach Ungarn in Urlaub gefahren, erzählt eine Frau. Das würde sie jetzt nie mehr tun. „Es ist hier genau wie zu Hause“, sagt sie zufrieden. „Ich hab Herd, Backofen und Mikrowelle.“ Auf dem Campingplatz benutzt sie ein Handy. „Wir haben hier auch schon dufte Partys gerissen“, meint ihre Nachbarin. Am Herrentag sei besonders viel los. An Pfingsten gebe es Tanz. Oft spiele der Leierkastenmann. Befreundete Camper nähmen auch an deutschlandweiten Caravan-Ralleys teil.
12.50 Uhr: An einer Wohnwagentür hängt das Foto eines mittelalten kräftigen Mannes. „Wolfgang“ steht darunter. Es riecht nach Gulasch. „Mittags kannst du hier eine Stecknadel fallen lassen, so ruhig ist es hier“, sagt ein Rentner aus Neukölln.
13.10 Uhr: „Am Abreisetag ist der Platz bis um 11 Uhr zu räumen!“ steht in der Camping-platzordnung. Das Auto ist erst jetzt voll gepackt. Die Milch läuft im Kofferraum aus. Als wir alles wieder ausladen, dreht sich der Holländer weg.
13.30: Dass wir zu spät auschecken, kümmert den Mann im Empfangshäuschen nicht. Ich bezahle 7,40 Mark Übernachtungsgebühr. Auf dem Tresen liegt das Prospekt eines Garten- und Heimwerkercenters. Nicht ohne ein Gefühl der Befreiung geht es zurück in die Stadt.
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