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Um den Ruf besorgt

Dessau nach dem Mord: Privatinitiativen werden gegründet, die Stadtoberen schweigen, manche machen die Mörder zu Märtyrern

BERLIN taz ■ Der Anruf ist kurz, aber die Botschaft deutlich: „Freitag, 9 Uhr, Büro des Oberbürgermeisters.“ Warum Dessaus Stadtchef Hans-Georg Otto (SPD) den Ausländerbeauftragten Razak Minhel für morgen ins Rathaus zitieren lässt, bleibt offen. Minhel vermutet: „Der OB will sich sicher mit mir einmal aussprechen. Schließlich bin ich seit vier Jahren nicht mehr von ihm eingeladen worden.“ Was Minhel nicht ahnt: Der OB will Tacheles mit seinem Ausländerbeauftragten reden.

Was Hans-Georg Otto und Razak Minhel seit zweieinhalb Monaten eint: Sie müssen umgehen mit einem aus rassistischen Motiven verübten Überfall, geschehen am frühen Morgen des 11. Juni im Stadtpark zu Dessau. Hier wurde der Mosambikaner Alberto Adriano, 39, von drei rechtsradikalen Jugendlichen derart heftig getreten und geprügelt, dass er drei Tage später starb.

Was den Oberbürgermeister und den Ausländerbeauftragten trennt: Der eine schmollt beharrlich in seiner Amtsstube, der andere meldet sich aus seinem Multikulti-Zentrum heraus beständig zu Wort. Hans-Georg Otto lässt seinen Sprecher mitteilen: „Der OB und auch die Dezernenten haben sich in einem Beschluss darauf verständigt, der Presse keine Interviews mehr zum Thema Rassismus zu geben.“ Razak Minhel dagegen spricht über das Befinden der ausländischen Mitbürger in Dessau: „Sie fühlen sich nicht mehr sicher in der Stadt. Jeder denkt: ‚Vielleicht bin ich der Nächste‘ “. Er informiert über Ablehnungen von Integrationsprojekten durch das Arbeitsamt und nicht verlängerte oder erst gar nicht genehmigte Stellen: „Vor dem Tod Adrianos waren wir sieben Mitarbeiter im Multikulti-Zentrum, jetzt sind wir nur noch drei.“ Er setzt in Kenntnis darüber, dass die örtlichen Schulen nicht auf eine Anfrage von ihm reagiert haben: „Ich wollte einen interkulturellen Dialog zwischen Schülern und Ausländern anregen.“

Ist der Oberbürgermeister „um den guten Ruf der Stadt“ besorgt, müht sich Razak Minhel um „Aufklärung über Alltagsrassismus in Dessau“. Hat der eine Schelte einstecken müssen für seine Äußerung „Die Täter kommen doch nicht aus Dessau“, erntete der andere Beifall für sein Engagement.

Nun sitzt Otto in seinem Rathaus und trotzt. Und Minhel, 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog wegen seiner Arbeit für das Verständnis zwischen Ausländern und Deutschen mit der Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, bezieht im bunten Haus an der Parkstraße 7 weiterhin Stellung.

Ursache für das öffentliche Schweigen Ottos ist ein Gewerbegebiet. Für 50 Millionen Mark hat die Stadt Dessau 140 Hektar Land erschließen lassen – bislang ohne nennenswerte Ansiedlung. Es gilt also weiter: „Investoren gesucht!“ Der Einzug des Umweltbundesamtes steht an. Dessen Mitarbeiter aus aller Welt sollen erst gar nicht das Gefühl bekommen, in einer Stadt mit fremdenfeindlichem Klima arbeiten zu müssen. Auch das Wohlbefinden der Besucher der Expo-Region (Slogan: „Der Neue Osten ist hier zu entdecken“) gilt es zu sichern.

Was es in Dessau nach dem Mord an Alberto Adriano zu entdecken gibt: „Einen Ruck, der jetzt durch die Stadt geht“, wie Kreisoberpfarrer Joachim Diestelkamp sagt. Das Bündnis gegen rechts ist wiederbelebt. Im Multikulti-Zentrum ist ein Antidiskriminierungsbüro eingerichtet (einen Antrag auf Sachkostenzuschüsse hat die Stadt abgelehnt). Die Polizei hat jetzt einen Ausländerbeauftragten. Die Aktion „Noteingang“ soll anlaufen, Geschäfte signalisieren dabei per Aufkleber: „Wir bieten ausländischen Mitarbeitern Schutz“. Ein Multikulti-Pfingsttreffen ist in Vorbereitung, eine Arbeitsgruppe Stadtpark gegründet.

Was im neuen Osten auch zu entdecken ist: Dessauer, die Journalisten in die Kamera erzählen: „Der Ausländer kriegt einen Grabstein, darüber bin ich schockiert. Wenn es umgedreht gewesen wäre, hätte keiner was gesagt, nicht einer. Irgendwann wird der Deutsche noch niederknien vor dem Ausländer“; Drohbriefe, die in der Stadtverwaltung und anderen Institutionen eingehen – Briefe, die die drei verurteilten Neonazis, Frank M., Christian R. und Enrico Hilprecht zu Märtyrern erklären: „Man muss und wird ihnen Denkmäler bauen. Es muss weiterhin so lange getreten werden, geschossen und getötet werden, bis die zuständigen Leute gezwungen werden, den Willen des Volkes zu vollziehen, und der heißt: Ausländer raus!“

Gut einen Monat nach dem Mord an Alberto Adriano haben die Mitglieder des städtischen Kulturausschusses abzustimmen über ein Konzept der „Forschungsgruppe Zyklon B“. Es geht um ein zwei Meter hohes Rohr, ähnlich einer Zyklon-B-Büchse, die – versehen mit Informationstafeln – in der Innenstadt aufgestellt werden soll – in Erinnerung daran, dass in der Dessauer Zuckerraffinerie jenes Giftgas produziert wurde, das den Nationalsozialisten von 1941 bis 1945 zur Vernichtung von Millionen von Menschen in den Konzentrationslagern diente. Als die Initiatoren beginnen, ihre Inschrift vorzustellen – „Der Tod kam aus Dessau . .r.“ –, entflammt eine hitzige Diskussion. „Uns wurde vorgeworfen, wir wollten einen Touristenschreck errichten. Uns wurde gesagt, so ein Mahnmal sei imageschädigend und wir sollten die Bevölkerung damit nicht belästigen“, sagt Hans Hunger von der „Forschungsgruppe Zyklon B“. Mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP und gegen die von PDS und Alternativer Fraktion wird das Konzept verworfen. Nun soll geprüft werden, ob nicht am ehemaligen Standort der Raffinerie, außerhalb der Innenstadt, in einer Seitenstraße, eine kleine Platte in den Fußweg eingelassen werden kann. „Das ist“, soll Oberbürgermeister Otto in der Sitzung gesagt haben, „sehr kostengünstig.“

Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder hat vor, im Rahmen seiner Sommertour Akzente zu setzen in der Bauhaus-Stadt Dessau. Ein Besuch im Stadtpark, eine Gedenkminute etwa vor der blassroten Stele, die an den Tod von Alberto Adriano erinnert, „ist nicht vorgesehen“, teilte ein Sprecher mit.

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