: „Allah ist immer dabei“
Am Freitag erscheint ein Buch mit aktuellen Analysen zum politischen Islam in Europa. Das taz.mag veröffentlicht vorab ein Kapitel über das enge politische und wirtschaftliche Geflecht zwischen dem türkischen Islamistenführer Necmettin Erbakan und den aufstrebenden Holdings islamischen Typs
von CLAUDIA DANTSCHKE,EBERHARD SEIDEL und ALI YILDIRIM
Deutschland bekommt eine gerechte Wirtschaftsordnung. In Hamm eröffnete vor einer Woche an Stelle des alten Horten-Kaufhauses eine Filiale der Yimpas-Kette. Besonderheit: Durch die 13.000 Quadratmeter Verkaufsfläche weht der Geist Allahs. Produkte aus Schweinefleisch oder gar Alkohol werden die Kunden vergebens suchen.
Eine Geschäftsidee macht Karriere. In Deutschland eröffnen immer mehr türkische Unternehmen, die nach islamischen Prinzipien wirtschaften und speziell gläubige Muslime umwerben. Es sind keine Krauterläden, sondern international operierende Holdings mit Milliardenumsätzen.
Was zunächst wie eine weitere Facette der entwickelten multikulturellen Gesellschaft erscheint, ist mehr. Die rund dreißig nach islamischen Prinzipien wirtschaftenden Firmen in Deutschland sind Teil einer Bewegung, die in den Achtzigerjahren in der Türkei startete. Ihr Ziel: Stärkung des politischen Islam und Schwächung westlicher Dominanz durch eine solide wirtschaftliche Basis.
Viele dieser islamischen Unternehmen werben mit zweifelhaften Methoden um das Kapital türkischer Kleinanleger, die ihre Ersparnisse unter dem Kopfkissen verwahren, da sie dem Zinsverbot des Korans folgen. Die ersten Finanzskandale zeichenen sich ab.
Ein Blick zurück: Mitte der Achtzigerjahre griff Necmettin Erbakan die von Süleyman Karagülle bereits 1976 entwickelte Ideologie „Adil Düzen“ (“Gerechte Ordnung“) auf und machte sie zum Parteiprogramm der Refah-Partei (1983 – 1998). Die Gerechte Ordnung ist eine auf dem Islam basierende Ideologie, die alle Lebensbereiche umfasst, Wissenschaft, Justiz, Wirtschaft und Bürokratie. „Adil Düzen“ unterscheidet zwischen zwei sich unversöhnlich gegenüberstehenden Polen: Auf der einen Seite steht die Ordnung, in der Macht und Ungerechtigkeit dominieren. Sie ist batil, das heißt falsch, nutzlos, nichtislamisch. Auf der anderen Seite steht die Ordnung, in der die wahre islamische Gerechtigkeit praktiziert wird, hak. Natürlich wird in diesem ständigen Kampf zwischen batil und hak die Gerechte Ordnung in der Zukunft die Oberhand gewinnen.
Die Staatsform, in der die Ideologie der Gerechten Ordnung herrschen soll, wird als irrelevant bezeichnet, da man keine bestimmte Staatsstruktur, sondern eine neue, eine islamische Gesellschaft etablieren will. Diese islamische Gesellschaft wird mit der wahren Gerechtigkeit (hak) regiert, die nach Erbakans Auffassung auch Elemente enthalten kann, die nichtislamischen Ursprungs sind, jedoch Elemente des hak beinhalten. Was nicht gegen die islamischen Vorschriften verstößt, ist nach Erbakan auch mit dem Islam vereinbar.
Mit dieser Auslegung rechtfertigt Erbakan die Übernahme von „guten“ Eigenschaften anderer Systeme, wie zum Beispiel des Kapitalismus, des Sozialismus und der Demokratie in die Ideologie der Gerechten Ordnung.
Im Jahr 1991 schrieb Necmettin Erbakan sein Wirtschaftsprogramm „Adil Ekonomik Düzen“. Die „Gerechte Wirtschaftsordnung“ wird als ein Dritter Weg formuliert, der aus den guten Seiten des Kapitalismus und des Kommunismus hervorgeht. In der Realität beinhaltet sie eine zentralistische Planung. Burhan Șenatalar, Wirtschaftswissenschaftler aus der Türkei, zu Erbakans Wirtschaftsprogramm: Bei einer Umsetzung würde der Boden dem Staat gehören und die Mehrheit der Banken verstaatlicht werden. Das Steuersystem würde nur noch eine Form von Steuern kennen, eine Art Einkommensteuer. Der Prozentsatz werde einheitlich bei zwanzig Prozent liegen, und in der Verfassung würde festgelegt werden, dass das Parlament kein Steuergesetz beschließen darf. Die Preise würden in ihrer Höhe zwar durch Angebot und Nachfrage geregelt werden, aber in allen Städten der Türkei einheitlich sein. Einer der wesentlichen Punkte wäre die Ablehnung von Zinsen, ganz wie es der Koran verlangt. Es würden jedoch Alternativen eingeführt, die letztendlich wie Zinsen funktionierten.
Auch bei den Milli-Görüș-Anhängern in Deutschland wird „Adil Düzen“ als Schlagwort eingesetzt, um für die islamistische Bewegung zu werben. Inhaltlich handelt es sich um ein vages Konzept, das jedem die Lösung seiner Probleme in Aussicht stellt, sobald eine am islamischen Gesetz, der Scharia, ausgerichtete gesellschaftliche und staatliche Ordnung umgesetzt ist. Erbakans Regierungszeit in den Jahren 1996/97 offenbarte, wie wenig er selbst von der Umsetzbarkeit eines Wirtschaftsprogramms auf Grundlage der Gerechten Ordnung hielt. Der von ihm als batil verteufelte Westen, vor allem die USA, wurde von ihm eingeladen, in der Türkei zu investieren. Als Konzept einer brauchbaren Wirtschaftspolitik für die Türkei ist „Adil Düzen“ gescheitert. Aber als ideologisches Schlagwort ist es für die islamischen Holdings bis heute Gewinn bringend.
Grün ist die Farbe des Islam, und so werden die Mischkonzerne (Holdings), die ihre Unternehmensphilosophie mit Koran und Sunna legitimieren, gern das „Grüne Kapital“ genannt. Nachdem Erbakans parteipolitischer Marsch durch die Institutionen im Frühjahr 1997 durch das Militär beziehungsweise den Nationalen Sicherheitsrat gestoppt wurde, lastet nun die Aufgabe der Islamisierung der Gesellschaft vor allem auf den Schultern dieser Holdings.
Diese Mischkonzerne entstanden zunächst in der zentralanatolischen Stadt Konya, der Hochburg des politischen Islam in der Türkei. Hier sind die traditionell-religiösen Orden zu Hause. Fernab der großen Industriezentren der Westtürkei blieb die Wirtschaft jahrzehntelang unterentwickelt. Von Ankara vernachlässigt, setzten die Orden und Kleinunternehmer auf Necmettin Erbakan, als dieser von Konya aus seine politische Karriere startete.
Der ökonomische Aufschwung dieser Region kam indes mit Turgut Özals neoliberaler Wirtschaftspolitik in den Achtzigerjahren. Es entwickelte sich ein mittelständisches islamisches Unternehmertum, das sich selbstbewusst „anatolische Löwen“ nennt. Ihre Entwicklung verdanken die Löwen Özals Konzept der islamisch-türkischen Synthese, das die beiden kemalistischen Dogmen, Laizismus und Etatismus, Stück für Stück aufweichte.
Das Prinzip des Etatismus hatte der Türkei einen starren staatlichen Wirtschaftssektor gebracht und eine Oligarchie, die jahrzehntelang mit großzügigen staatlichen Krediten unterstützt worden war. Dagegen setzte Özal auf Privatisierung und den Mittelstand. Ausländische Investoren und Geldgeber aus islamischen Ländern wurden umworben. Mit Hilfe seines Bruders, Korkut Özal, und dessen guten Verbindungen nach Saudi-Arabien entwickelte sich ein islamischer Finanzsektor in der Türkei in Form von Joint Ventures mit türkischen Firmen. Dieser private Finanzsektor (ÖFK) wurde von der Özal-Regierung durch steuerliche Vergünstigungen gezielt gefördert.
Statt Zinsen zu erhalten, wurden die Geldanleger am Geschäftserfolg beteiligt und gleichermaßen am Risiko und damit am Verlust. Den Banken, die versprachen, die islamischen Vorschriften des Zinsverbots zu beachten, gelang es, die strenggläubigen anatolischen Bauern und das Kleinbürgertum zur Geldanlage zu überreden.
Bislang hatten sie ihre Ersparnisse in Goldschmuck investiert oder in Hartwährungen unter der Matratze aufbewahrt. Auf bis zu einhundert Milliarden Dollar wird der Wert der landesweit versteckten Ersparnisse geschätzt. Daneben sollen Türken im Ausland über dreihundert Milliarden Dollar verfügen. Durch Özals Politik floss nun dieses Geld über die islamischen Finanzierungsgesellschaften in die lokale Wirtschaft. So entstanden zahlreiche Unternehmungen in allen Handels- und Industriezweigen, aus denen dann Ende der Achtzigerjahre die ersten islamischen Holdings hervorgingen.
In den Neunzigerjahren übernahm die Refah-Partei die politische Vertretung dieser Holdings. Im Konzept der Gerechten Ordnung stellte Necmettin Erbakan die islamische Wirtschaftsform als Alternative der dekadenten westlichen Ordnung entgegen. Geschickt nutzte er dabei die Schwäche der türkischen Währung (Lira) aus, die er als Symbol der Abhängigkeit der Türkei vom westlichen, nichtislamischen Bank- und Finanzwesen wertete.
Die unangefochtene Interessenvertretung der türkischen Unternehmer war in der Vergangenheit der Unternehmerverband Tüsiad. Das änderte sich 1990, als sich der neu entstandene islamische Wirtschaftssektor im Verband unabhängiger Geschäftsleute Müsiad zusammenschloss.
Die rund dreitausend Mitglieder erwirtschaften heute einen Umsatz von 35 Milliarden Dollar – ein Zehntel des türkischen Sozialprodukts. Die türkischen Laizisten gehen davon aus, dass der Verband den politischen Islam jährlich mit 250 Millionen Dollar finanziert. Während seiner Amtszeit als Ministerpräsident versuchte Erbakan die Müsiad-Unternehmen stärker an sich zu binden, indem er ihnen Regierungsaufträge verschaffte.
Der Vorsitzende von Müsiad, Erol Yarar, erklärte das politische Ziel seines Verbandes: „Wir müssen reich werden. Wir müssen noch mehr arbeiten und noch reicher werden, um stärker als die Heiden zu werden. Die Schätze Allahs müssen aus ihren Händen genommen werden. Wir müssen sie besitzen.“ Auf Grund derartiger Äußerungen wurde inzwischen Anklage gegen Erol Yarar erhoben, und er musste den Vorsitz von Müsiad abgeben.
Nicht alle Mitglieder des Verbands sind jedoch Vertreter des politischen Islam. Immer wieder setzen sich Müsiad-Mitglieder gegen Ebakans Instrumentalisierungsversuche zur Wehr. Erbakan hat inzwischen darauf reagiert und veranlasste die Gründung des Unternehmerverbandes Konföderation der anatolischen Löwen (Askon).
In Deutschland nennt sich die Interessenvertretung der Unternehmer türkisch-muslimischer Herkunft ebenfalls Müsiad. Seit Jahren versucht Milli Görüș, sie zu dominieren. Der Berliner Verein Müsiad wird von Ali Uzun geleitet, einem führenden Mitglied von Milli Görüș-Berlin. Er ist seit April 1995 Schatzmeister im vierköpfigen Vorstands der Milli-Görüș-Organisation Islam Vakfi.
Um 1993 entwickelten die islamischen Holdings eine neue Form der Finanzierung. Sie schickten Emissäre von Tür zu Tür, um so genannte Anteilscheine zu verkaufen. Der gläubige Muslim erwirbt mit seinem Geld einen Anteil an der Firma, die nach streng islamischen Vorschriften wirtschaftet, und teilt mit diesem Anteil Gewinn und Verlust der Holding. Diese Form der Finanzbeschaffung wird auch das „Konya-Modell“ genannt. Es hat sich inzwischen weltweit überall dort verbreitet, wo gläubige muslimische Türken zu Hause sind. Über fünfzig dieser Holdings gibt es inzwischen. Sie entwickelten sich zum modernsten und am schnellsten expandierenden Wirtschaftssektor der Türkei und sind durch ihre Finanzierungsform nicht nur unabhängig vom staatlichen und privatkapitalistischen Kapitalmarkt und dessen Kontrollgremium (SPK), sondern auch vom privaten islamischen Kredit- und Finanzwesen (ÖFK).
Die durch den Verkauf von Anteilscheinen entstehende Bindung an die Firma wird durch soziale Angebote vertieft. Die Angestellten können im Arbeitsalltag die islamischen Vorschriften einhalten, und die Familien profitieren von Einrichtungen der Kinderbetreuung, der Essensversorgung oder auch der Krankenbetreuung. Auf diese Weise entsteht eine produktive, islamische Solidar- und Wirtschaftsgemeinschaft. Diese Holdings werden auch von den religiösen Bruderschaften unterstützt. So gab ein Nakshibandiye-Führer ein Dekret heraus, das den Kauf von Keksen der Firma Ülker befahl.
Bei ihrem Werben für ein islamisches Wirtschaftsmodell wird Erbakans Gerechte Ordnung nur noch als Schlagwort eingesetzt, mit dem er nicht nur die anatolische Landbevölkerung zu beeinflussen sucht, sondern alle, die vom althergebrachten System enttäuscht waren und nach Alternativen zum Westkapitalismus suchen.
Die Kombassan-Holding war eine der ersten und jahrelang die erfolgreichste Holding des „Konya-Modells“. Sie galt Erbakan als Beweis für den Erfolg proislamischer Geschäftsleute. Die futuristisch anmutende Zentrale des Konzerns am Rande des Necmettin-Erbakan-Parks in Konya war das erste gläserne Hochhaus der Stadt. Von Konya aus hat sich die Kombassan-Holding inzwischen über die gesamte Welt ausgebreitet, mit „einem Jahresumsatz von drei Milliarden Mark und vierzigtausend Beschäftigten“, wie der Journalist Ahmet Șenyurt schreibt. In den USA hat Kombassan über 250 Filialen einer Textilienkaufhauskette übernommen, in Vorderasien ist die Holding nach eigenen Angaben der größte Reifenhersteller. Darüber hinaus hat Kombassan die Fluglinie Alfa-Air übernommen sowie die Produktion der MZ-Motorräder der ehemaligen DDR. Zur Zeit versucht die Holding, auch in China Fuß zu fassen, wo fünftausend Dönerbuden eingerichtet werden sollen.
Ihre deutsche Niederlassung eröffnete Kombassan 1999 in der schwäbischen Kleinstadt Lauingen, der ersten Kleinstadt Bayerns, die ihren achthundert türkischen Mitbürgern den Bau einer türkischen Moschee genehmigt hat. Das CSU-regierte Städtchen wurde von Hașim Bayram, der die Kombassan Holding repräsentiert, mit einer Millioneninvestition in der High-Tech-Produktion und Arbeitsplätzen belohnt. Seit Mitte der Neunzigerjahre sind die Anhänger von Milli Görüș in Europa die bevorzugte Zielgruppe der islamischen Holdings. Seitenweise schalten sie ihre Werbung in Milli Gazete und ihre Fernsehspots im Satellitensender Kanal 7, der in ganz Europa zu empfangen ist und der Refah- beziehungsweise der Fazilet-Partei nahesteht. Auch im lokalen Berliner Mill-Görüș-Fernsehen TFD haben diese Werbespots die traditionelle Werbung lokaler Firmen längst an den Rand gedrängt.
Neben Werbung setzen die Holdings vor allem auf große Verkaufsveranstaltungen, die häufig von Milli Görüș in ihren Einrichtungen organisiert werden. Hierzu kommen die Vorstandschefs der Holdings oder einer ihrer Stellvertreter nach Deutschland. Der Verkauf der Anteilscheine basiert allein auf Vertrauen. Die Aktionäre selbst verfügen nur in Ausnahmefällen über schriftliche Rechtstitel, die einen einklagbaren Anspruch auf das angelegte Kapital ermöglichen würden. In der Regel stützen sich die Anleger in alter osmanischer Tradition auf das Ehrenwort der Unternehmer. Die dem Anleger versprochenen Gewinne liegen zwischen zwanzig und 46 Prozent. Das islamische Prinzip, das den Anleger in gleicher Höhe auch am Risiko und damit am Verlust beteiligt, ist derzeit kaum Thema, denn noch boomt das „Konya-Modell“.
Der Koordinator der islamischen Endüstri-Holding in Berlin hieß bis 1999 Süleyman Yilmaz, der in dieser Zeit gleichzeitig Chefredakteur des Senders TFD war. Regelmäßig interviewte er in seinen Sendungen Vorstandsmitglieder islamischer Holdings. So war am 23. Oktober 1998 der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Endüstri-Holding, Osman Șanlibey, bei ihm zu Gast und schilderte in schillernden Farben den Erfolg seines Unternehmens. Zum Schluss der Sendung lud Süleyman Yilmaz seine Zuschauer ein, zu einer (Verkaufs-)Veranstaltung der Endüstri-Holding zu kommen, die eine Stunde nach der Sendung in der Milli-Görüș-Jugendetage am Kottbusser Damm 75 in Berlin-Kreuzberg beginnen werde.
An der Börse werden die nach dem „Konya-Modell“ verkauften Anteilscheine nicht gehandelt. Die genaue Zahl der Inhaber von Anteilscheinen und die Höhe ihrer Einlagen sind nur der jeweiligen Holding bekannt. Weder in Deutschland noch in der Türkei sind sie einsehbar und registriert. Dieser unabhängige dritte Finanzmarkt der Türkei wird nicht nur vom staatlichen Gremium des Kapitalmarktes (SPK), sondern und auch von den privaten islamischen Banken (ÖFK) heftig attackiert. Hauptargument ist dabei die Rechtlosigkeit der Geldanleger, vor allem der Auslandstürken. Ein Sozialhilfeempfänger, dessen Name als Anteilsinhaber mit der entsprechenden eingezahlten Geldsumme auf konfiszierten Holdinglisten aufftaucht, kann sich in Deutschland nicht auf die islamische Wirtschaftsordnung berufen. Über siebentausend derartige Fälle werden zurzeit vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen geprüft. Alle sind Inhaber von Anteilen der Jet-Pa-Holding.
Die Jet-Pa-Holding ist die derzeit größte und schillerndste Vertreterin des „Konya-Modells“. Sie hat inzwischen die von Kombassan geräumte Stellung bei Milli Görüș besetzt, deren Vierter Jahreshauptversammlung sie am 20. Juni 1998 in Amsterdam mit rund 1,3 Millionen Mark finanzierte. In nur fünfzehn Monaten wurden nach eigener Darstellung 11.700 Menschen Inhaber von Jet-Pa-Anteilscheinen. Die Holding verfügte 1999 über ein Kapital von 550 Millionen Mark und ist im Bausektor, dem Handel mit Lebensmitteln, Medikamenten, Autos, Haushalts- und Elektronikwaren und Textilien, im Medien- und Tourismussektor sowie im Finanzwesen aktiv.
Der Kauf von prominenten Fußballern und ihre Vermietung an Fußballvereine brachte Jet Pa nicht nur Gewinn, sondern auch entsprechende Publicity. Solche kurzfristigen Handelsaktionen mit maximalen Gewinnen bezeichnet der Inhaber der Jet-Pa-Holding, Fadil Akgündüz, als Möglichkeit, langfristige Megaprojekte ins Leben rufen zu können. Das derzeit „wichtigste und wertvollste Megaprojekt ist es, das erste Auto der türkischen und der islamischen Welt herzustellen“, kündigte Akgündüz an. Bisher existieren jedoch nur zwei Prototypen, die medienwirksam am 29. Oktober 1999, dem 76. Jahrestag der türkischen Republik, der Öffentlichkeit präsentiert wurden.
Immer stärker treten Holdings des „Konya-Modells“ auch politisch in Erscheinung und unterstützen öffentlich die Vertreter des politischen Islam. Dadurch geraten sie unter Beschuss der Laizisten, allen voran das türkische Militär. Der Inhaber der Jet-Pa-Holding, Fadil Akgündüz, der sein Vermögen längst in Liechtenstein in Sicherheit gebracht hat, führt die Auseinandersetzung auf der Basis des Koran, der all sein Handeln rechtfertigen soll. „Allah ist auch Teilhaber von Jet Pa, denn wenn zwei Personen zusammenkommen und eine Firma gründen, ist Allah immer dabei“, meinte er im April 2000.
Doch das Pflaster in der Türkei wird nicht nur ihm langsam zu heiß. Und so wenden sich die islamischen Holdings nach Europa, wo sie inzwischen eine Reihe Dependancen eröffnet haben. Die Investition der Kombassan-Holding im schwäbischen Lauingen war nur ein Anfang. Das Potenzial der über drei Millionen türkischen Muslime in Europa ist noch längst nicht abgeschöpft, denn nicht wenige von ihnen wollen das System der Gerechten Ordnung nicht mehr nur in der Türkei verwirklicht sehen. Die politische Wegbereitung liegt in den Händen von Milli Görüș, die Finanzierung und Gestaltung übernimmt das Grüne Kapital.
„Politik im Namen Allahs. Der Islamismus – eine Herausforderung für Europa“, 103 Seiten, wurde im Auftrag des grünen Europa-Abgeordneten Ozan Ceyhun verfasst und ist gegen drei Mark in Briefmarken erhältlich über: Ozan Ceyhun, Ferdinand-Stuttmann-Straße 13, 65428 Rüsselsheim; Fon: 0 61 42/ 96 42 51; E-Mail: ruesselsheim@ceyhun.deCLAUDIA DANTSCHKE, 37, ist Arabistin und Redakteurin der deutsch-türkischsprachigen Wochenzeitung „Perșembe“, die ab 7. September der taz beiliegt. EBERHARD SEIDEL, 44, ist Leiter des Ressorts Inland der taz und beschäftigt sich seit 1989 mit der Entwicklung des politischen Islam in Deutschland. ALI YILDIRIM, 49, ist Chefredakteur des deutsch-türkischen Fernsehsenders AYPA-TV und Berlinkorrespondent der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“
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