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Wie mache ich mir den Ostler zum Freund?

von JENS KÖNIG

1. Zeige dein Geheimnis – aber verrate es nicht

Das Geheimnis liegt in Schröders rechter Hand. Mit ihr macht er Politik. Er streckt sie den Leuten schon entgegen, wenn er noch ein paar Meter von ihnen entfernt steht. Er geht dann mit zwei, drei kurzen Schritten auf die Leute zu und hält seine Hand dabei eine Sekunden lang ausgestreckt in der Luft. Er verkrampft sie nicht etwa. Sie wird ihm auch nicht schwer. Schröders rechte Hand schwebt diese eine Sekunde lang so entspannt wie ein chinesischer Papierdrachen durch die Luft. Plötzlich landet sie, greift sich die Hand des Gegenübers und drückt sie kurz und fest. Dabei guckt Gerhard Schröder den Leuten in die Augen, lächelt freundlich und sagt „Guten Tag“.

Genau in diesem Augenblick beginnt die Politik. Gerhard Schröders rechte Hand lädt die Leute ein, und sei es nur dazu, ihn zu mögen. Er mag sie schließlich auch.

2. Du bist ein Wessi – sei trotzdem nett zu den Ostlern

Gerhard Schröder schüttelt auf seiner Sommerreise Tausende von Händen. Die Leute mögen ihn. Aber sie vergessen deswegen noch lange nicht, wer da zu ihnen gekommen ist: Einer, der in Niedersachsen groß geworden ist und der „drüben“ keine Verwandschaft hat; einer aus der berüchtigten Toskana-Fraktion, der bis heute nach Italien in den Urlaub fährt und nicht in den Osten; einer, der noch im niedersächsischen Wahlkampf vor zweieinhalb Jahren gehöhnt hatte, man könne die neuen Länder ja nicht an Polen abtreten; der Bundeskanzler, der Ostdeutschland nach seinem Wahlsieg 1998 zur Chefsache erklärt, aber erst jetzt seine Chefsache in Augenschein nimmt; der Kanzler aller Deutschen, dem vor ein paar Monaten im Bundestag der Satz rausrutschte, mit der Wirtschaft im Osten klappe es noch nicht so gut „wie bei uns“. Schröders kühles Verhältnis gegenüber Ostdeutschland hat allerdings auch einen Vorteil: Er kann noch ganz unbefangen lernen und sich von den Leuten im Osten die Geschichten anhören, ganz so, als habe Schabowski erst vorige Woche erklärt, dass die Mauer jetzt geöffnet sei.

Während einer Schiffsreise von Ueckermünde nach Anklam lässt sich der Kanzler von Gerd-Heinrich Kröchert, dem Präsidenten des mecklenburgischen Bauernverbandes, über die Probleme der Bauern mit der Getreideernte oder ihre Ängste vor der EU-Erweiterung nach Polen informieren. Aber was ihn wirklich bewegte, erzählt er hinterher den Journalisten: die Lebensgeschichte dieses Mannes. Kröchert, ein Bauer, tief in Mecklenburg verwurzelt, trug sich in der DDR lange mit dem Gedanken, in den Westen zu gehen. Als er sich 1961 dazu durchgerungen hatte, war es plötzlich zu spät. Die Mauer wurde gebaut. Der Mann musste bleiben, arbeitete in einer LPG und konnte erst nach 1990 wieder seinen eigenen Hof bewirtschaften.

Schröder ist durch solche Geschichten zu beeindrucken. Wohl deswegen hat er jetzt gelernt, die „Lebensleistungen der Menschen in den fünf neuen Ländern“, wie er das etwas sperrig ausdrückt, anzuerkennen. Er tut das während seiner Reise bei jeder Gelegenheit und ruft den Menschen dabei zu, dass sie sich hinter den Westdeutschen nicht zu verstecken bräuchten. In solchen Momenten ist Gerhard Schröder plötzlich ganz nah bei Helmut Kohl. „Die Menschen im Osten waren genauso fleißig wie bei mir zu Hause in Ludwigshafen“, pflegte Kohl zu sagen.

Allerdings schon vor zehn Jahren.

3. Verbreite gute Laune – und sei es auf Kosten anderer

In Teterow besucht Schröder ein Biotech-Unternehmen, das auf seinem Gebiet Weltmarktführer ist. Entsprechend selbstbewusst präsentiert Sabine Kalisch, Finanzvorstand des Unternehmens, ihre Firma und schmiert dem Kanzler dabei Honig ums Maul. „Wir haben keine Kosten und Mühen gescheut, um es Ihnen bei uns so angenehm wie möglich zu machen“, sagt sie zu ihm. Schröder entgegnet: „Kosten sollen Sie schon scheuen.“ – „Ein paar Kosten sind uns durch Ihren Besuch aber entstanden“, erzählt Frau Kalisch. „Wir haben neue Blumentöpfe gekauft und extra nochmal eine Reinigungsfirma durchs Haus gejagt.“ – „Und Ihr Kleid“, fragt Schröder, „haben Sie das auch neu gekauft?“ Alles lacht, die Finanzfrau ist verlegen. Aber sie gibt nicht auf: „Gestern wollten wir in unserem Stammhotel hier in der Nähe ein paar Zimmer mieten. Plötzlich hieß es: Geht nicht, der Kanzler schläft in unserem Bett.“ Dann an Schröder gerichtet: „Dafür müssen Sie uns nachher einen Gefallen tun. Unser Vorstand möchte mit Ihnen zusammen fotografiert werden.“ – „Gern“, antwortet Schröder, „dann bin ich auch wieder raus aus ihrem Bett.“

4. Mache keine großen Versprechungen – allerhöchstens kleine Geschenke

Kein schnelles Geld, keine Sonderprogramme, keine neuen Fördermittel, keine schnelle Anpassung der Gehälter im öffentlichen Dienst ans Westniveau. Schröder verspricht nichts, schon gar nicht etwas, was er sowieso nicht halten kann. Er möchte keine Hoffnungen wecken, die er später nur enttäuschen müsste. Aber er weiß um die Sehnsucht nach Führung im Osten, und er weiß noch besser um sein Image als Macher, als moderner Volksheld. Kleine Geschenke müssen also sein. Bei Schröders Besuch im thüringischen Nordhausen protestieren Kumpel gegen die Stilllegung der letzten ostdeutschen Kaligrube. Das Unternehmen ist seit zwei Tagen geschlossen. Der Energieversorger hat das Gas abgeschaltet, weil das Unternehmen die Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Gleich am Morgen nach seinem Nordhausen-Besuch schickt Schröder seinen Ost-Minister Rolf Schwanitz nach Berlin. Der verhandelt mit der Gaslieferfirma. Drei Tage später läuft in der Kaligrube der Betrieb wieder. Zehn Tage Aufschub hat die Regierung beim Energieversorger herausgeholt – in dieser Zeit soll das Kali-Unternehmen mit Hilfe des Kanzleramtes ein Sanierungskonzept erarbeiten.

5. Was auch immer du tust – tue nichts ohne das Fernsehen

Schröder weiß, dass seine Sommerreise gar nicht stattfinden würde, wenn das, was er erlebt, nicht gleichzeitig im Fernsehen zu sehen wäre. Der Kanzler besitzt sogar die Kunst, selbst das, was die Kameras nicht sehen, für sie sichtbar zu machen. Beim Besuch einer Bundeswehrkaserne in Eggesin bekommt Schröder einen Ausbildungssimulator vorgeführt, mit dem die Soldaten schießen lernen. Journalisten sind dabei nicht zugelassen. Nach der Vorführung schießt Schröder selber mit dem Simulator. Er trifft dreimal in die Zehn. Draußen berichtet einer von Schröders Spin-Doctors einer Sat.1-Reporterin von dem Volltreffer. Die baut sofort ihre Kamera auf, und als der Kanzler an ihr vorbeiläuft, fragt sie ganz unschuldig: „Irgendwas getroffen, Herr Bundeskanzler?“ – „Alles, was zu treffen war“, gibt der lässig ins Mikrofon zurück.

6. Sprich mit den Leuten – auch dann, wenn es Ärger gibt

In Ueckermünde, kurz vor der polnischen Grenze, stehen an der Straße verzweifelte Handwerksmeister. Viele von ihnen sind vom Konkurs bedroht, weil ihre Auftraggeber die Rechnungen nicht bezahlen. Aber sie sind nicht Holzmann, ihnen hilft keiner. „Herr Bundeskanzler“, brüllen sie quer über die Straße, „wann reden Sie endlich mit den Handwerkern?“ Schröder schaut zu ihnen rüber und ruft ganz ruhig zurück: „Jetzt!“ Prompt wechselt er die Straßenseite und spricht mit den Männern. „Soll ich Ihnen mal sagen, wie viel Handwerksbetriebe durch die Sanierung bei Holzmann gerettet wurden? Tausende.“ – „Aber um uns hier kümmert sich keiner.“ – „Ich kann mich doch von Berlin aus nicht um jedes Dorf kümmern.“ – „Sie müssen Gesetze für uns Handwerker machen.“ – „Wunder kann nicht mal ich als Kanzler vollbringen.“ – „Der Staat muss nicht nur die Baupläne, sondern auch die Finanzierung großer Projekte prüfen. Und die Verbrecher, die Rechnungen nicht bezahlen, sollten Sie am besten gleich einsperren.“ – „Das ist doch Willkür.“ – „Herr Schröder, wissen Sie, worin sich Politiker und Handwerker nicht unterscheiden?“ – „Beide arbeiten von früh bis spät.“ – „Richtig. Und wissen Sie, was der Unterschied ist? Sie als Politiker kriegen regelmäßig Ihr Geld, wir nicht.“ – „Bevor ich Politiker war, habe ich als Anwalt gearbeitet. Da musste ich mich auch kümmern, wie ich zu meinem Geld komme.“ – „Ich habe noch keinen Anwalt auf der Welt gesehen, der auch nur einen Finger krumm macht, bevor das Geld da ist.“

Gerhard Schröder, das Proletarierkind, das einräumt, ihm fehle die Gelassenheit von Bürgerkindern, weiß wahrscheinlich, woher die Wut der Männer kommt. Er redet noch über zwanzig Minuten mit ihnen, während der Kanzlertross ungeduldig auf ihn wartet. Ein paar Stunden später, bei einem Glas Wein, erzählt Schröder allerdings nichts davon, ob er viele DDR-Bürger vielleicht ganz gut versteht, weil sie wie er aus einfachen Verhältnissen stammen. Er sagt nur, dass er über den Streit mit den Handwerkern erschrocken sei. Die Leute im Osten würden zu viel vom Staat verlangen.

7. Verzichte auf Pathos – kokettiere mit deiner Rolle

Im Rathaus in Waren an der Müritz verschwindet der Kanzler fast unbemerkt auf der Toilette. Als er rauskommt, fragt ihn einer der Umstehenden: „Wie war’s?“ Schröder antwortet: „Sie müssen endlich lernen, dass der Bundeskanzler eine Respektsperson ist.“ Plötzlich lacht er laut über sich selbst und springt die Rathaustreppe mit vier, fünf schnellen Sätzen nach oben. Dort wartet der Bürgermeister von Waren.

Gerhard Schröders rechte Hand streckt sich ihm schon entgegen.

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