: Päpstliche Gardinenpredigt
Kardinal Ratzinger und Johannes Paul II. haben die Ökumene aufgekündigt.Sie wollen eine starke Kirche – doch wird sie in Europa klein, schwach und offen sein
Wer noch in die Kirche geht, in eine katholische in diesem Fall, und das mit toleranten Mitbrüdern oder -schwestern anderer christlicher Konfessionen zusammen, der kennt die Situation: Vieles ist ihnen fremd, was da am Altar abläuft, aber es scheint eines zu geben, was wunderbar einigt – das Glaubensbekenntnis, das man spricht. Es ist identisch – bis auf eine Stelle: Wenn die Rede davon ist, dass man an die eine, heilige und katholische (statt christliche) Kirche glaube, ist es mit der Einigkeit im Geiste schnell vorbei.
Joseph Kardinal Ratzinger, der Chef der Glaubenskongregation, hat mit dem „Dominus Jesus“-Text jetzt diese grundsätzliche Differenz zwischen der römisch-katholischen und den anderen christlichen Kirchen, vor allem der protestantischen, noch einmal betont. Und, wie es einem deutschen Professor gebührt, in einem fast juristisch-kalten Ton: „Es gibt also eine einzige Kirche Christi, die in der katholischen Kirche subsistiert und vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“, lautet ein Kernsatz des Schreibens. „Die kirchlichen Gemeinschaften hingegen, die den gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, sind nicht Kirchen im eigentlichen Sinn.“ Puh! Jedem, dessen Herz an der Ökumene hängt, tut gerade dieser letzte Satz weh. Nur: Ist er wirklich neu? Hat die römisch-katholische Kirche wirklich jemals etwas anderes gesagt? Ist die katholische Kirche in Wirklichkeit viel liberaler?
Im Kern: nein. Zwar spricht die Kirche von Rom nicht mehr von den protestantischen Kirchen als „nichtkatholische Sekte“, wie sie das Kirchenrecht noch 1917 nannte. Aber auch das Zweite Vatikanische Konzil von 1962 bis 1965, mit dem sich diese älteste verfasste Gemeinschaft der Welt öffnete, hat am Ende nichts anderes gesagt (wenn auch konzilianter im Ton). Die Kirche sagte über sich selbst: „Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische beken- nen . . . Das schließt nicht aus, dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“ (Kirchenkonstitution, Art. 8, Abschnitt 2).
Insofern war die Reaktion des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock, richtig, als er klarstellte: Dies habe die römische Kirche eigentlich immer gesagt, Ratzinger habe dieses Hindernis auf dem Weg zu einer Ökumene mit seiner Erklärung nur noch einmal poliert. Dennoch hat diese Schrift natürlich Folgen, innerkirchlich und außerkirchlich. Sie ist ein bewusst gesetztes Signal.
Nach innen war diese Schrift der klare Versuch der Glaubenskongregation und des Papstes (und nicht nur konservativer Kurienkardinäle), die Herde der auseinander strebenden Schäfchen wieder einzuzäunen. Da kann Johannes Paul II. noch so oft mit Millionen Jugendlichen feiern, Synagogen besuchen und gemeinsam mit Vertretern anderer Weltreligionen beten: Dieser Papst will keine liberale und offene Kirche. Er will sie als geschliffenes Schwert für die Sache Jesu. Deshalb muss sie seiner Ansicht nach hart sein – Ökumene versteht Karol Wojtyla in erster Linie als Schritt zur erhofften zukünftigen Rückkehr dieser Glaubensgemeinschaften in den Schoß seiner Kirche.
Genau das will der Papst mit diesem Text den vielen reformfreudigen katholischen Christen sagen, die, wie etwa Anfang des Sommers beim Katholikentag in Hamburg, entscheidende Fortschritte in der Ökumene verlangen und schon ein gemeinsames Abendmahl mit Protestanten spätestens zum ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin erhoffen. Der Papst will offenbar, das eigene Ende vor Augen, in diesem Heiligen Jahr voller römisch-katholischer Medienevents das Signal aussenden: Moderner dürfe die Kirche nach ihm schon werden – aber nur in der Form.
Nun haben progressive Katholiken sowieso kaum mehr Illusionen über diesen Papst, insofern haken sie diesen Brief aus Rom als Gardinenpredigt ab: Außerkirchlich sind die Folgen gravierender. Das Vatikandokument ist tatsächlich ein „Rückschlag“ in der Ökumene, wie Kock zu Recht gesagt hat. Solange dieser Papst noch hier auf Erden und sein oberster Glaubenshüter Ratzinger noch im Amt ist, wird sich in Sachen Ökumene nichts mehr tun. Schlimmer noch: Wer den Gemeinschaften der Protestanten ihren Charakter als „Kirchen“ abspricht, macht einen Dialog mit ihnen fast unmöglich. Die evangelischen Christen verlangen natürlich völlig zu Recht, dass man mit ihnen auf gleicher Stufe über ein Zusammengehen im Glauben redet. Sie sind nicht die kleinen Schwestern der großen Ecclesia in Rom und wollen auch nicht so behandelt werden.
Aber es gibt einen Trost, und diesen hat schon das Zweite Vatikanum zumindest geahnt (was Ratzinger erwartungsgemäß nicht betont hat): Die Zeit spielt für die Ökumene. Die Zukunft der Kirche kann gar nicht mehr so verstockt sein, wie sie sich in der Gegenwart darstellt. Um 1900 waren zwei Drittel der Katholiken europäisch, der Rest lebte auf anderen Kontinenten – mittlerweile hat sich das Verhältnis umgekehrt, und das Gewicht der außereuropäischen katholischen Gemeinden nimmt weiter zu. Das bedeutet, dass die katholische Kirche notwendigerweise eine arme und plurale Kirche sein wird.
Die römisch-katholische Kirche wird es sich angesichts der Massenaustritte in Europa und ihres Zuwachses in den Ländern der Dritten Welt gar nicht leisten können, die dortigen Erfahrungen an selbstverständlicher Ökumene und interreligiösem Dialog zu ignorieren. Und in Europa, zumal in Deutschland, wird der Abschied von der Volkskirche dazu führen, dass sich die wenigen katholischen oder evangelischen Christen, die es dann noch im Lande Luthers gibt, selbstverständlich zusammentun, um überhaupt noch mit jemandem gemeinsam beten und den Glauben feiern zu können. Die katholische Basis ist mehrheitlich der Hierarchie schon jetzt so weit entflohen, dass Johannes Paul II. und sein Glaubenspräfekt sie nicht mehr erreichen.
Die einfachen Katholiken haben den Geist des Zweiten Vatikanums trotz aller harten Texte, die es auch schrieb, richtig verstanden: als eine Öffnung der Kirche zur Welt – hin zu den Menschen, zu anderen Kirchen und zu den anderen Religionen. Seltsam, dass Ratzinger, der früher selbst zu den progressiven Konzilstheologen zählte, dies auf seinem Weg in die Nähe der Spitze der Kirche offenbar vergessen hat. Aber das sollte sein Problem sein, nicht das der katholischen Kirche.
Der Text Ratzingers und die jüngste Seligsprechung des reaktionären Unfehlbarkeitspapstes Pius IX. sind deshalb nichts weiter als die verzweifelten Versuche alter Männer, dieser Entwicklung noch etwas entgegenzusetzen. Gott sei Dank wird die Zeit über sie hinweggehen.
PHILIPP GESSLER
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