Verbote helfen nicht gegen Hass

Die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck warnt nach der Sommerdebatte: Politischer Aktionismus kann gesellschaftliche Veränderungen nicht ersetzen

von SEVERIN WEILAND

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen. „Mit gemischten Gefühlen“, erklärte sie gestern in Berlin, habe sie die sommerliche Debatte um den Rechtsextremismus betrachtet. Schließlich sei das, worüber die Medien verstärkt berichten, das „alltägliche Brot“ der Ausländerbeauftragten. Nach dem Bombenanschlag in Düsseldorf sei das Phänomen nicht mehr allein als ost-, sondern als gesamtdeutsches ins Bewusstsein gerückt, begrüßte sie den Sinneswandel. In den kommenden Monaten werde sich zeigen, was von der Debatte übrig bleibe, meinte Beck.

Schon ein Blick auf die Situation in Städten und Gemeinden kann ernüchternd wirken. Der Spardruck bedroht vielerorts die Jugendarbeit. Ihr „täglicher Überlebenskampf“ bewege sich im Dreieck zwischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds und Lottogeldern, sagte Beck. Sie warnte vor einem Aktionismus, der „Neues aus der Taufe“ hebe, statt auf Bewährtes zurückzugreifen. Zum politischen Aktionismus dieser Tage zählte sie auch den Vorschlag, nach US-Vorbild Hassverbrechen schärfer zu bestrafen. Im Strafgesetzbuch gebe es bereits Tatbestände wie Volksverhetzung oder Aufstachelung zum Rassenhass. Dass ein Verbot der NPD geprüft wird, begrüßte Beck, meldete aber zugleich Skepsis an. Schon jetzt zeichne sich ab, dass die NPD ein „Triumphgeheul“ für den Fall anstimmen werde, dass es zu keinem Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht kommt.

Dem Rechtsextremismus mit Verboten beikommen zu können sei eine Illusion. „Die Auseinandersetzungen kann uns niemand abnehmen.“ Und diese Auseinandersetzung brauche ein gesellschaftliches Klima, das vielerorts nicht vorhanden sei: Es fehle eine „republikanische Kultur“. Ein Beispiel dafür sei der jüngste Vorfall im hessischen Parlament. Selbst wenn der CDU-Abgeordnete dem grünen Fraktionschef Tarek Al-Wazir lediglich „Ein Student von Sana’a“ zugerufen haben will, sei diesem signalisiert worden, dass er nicht hierhergehöre. „Jedes Wort gehört auf die Waagschale“, meinte Beck. Rechtsradikales Denken komme aus der Mitte der Gesellschaft, und „die Mitte ist auch das Parlament“. Ohne ihn namentlich zu erwähnen, warf sie dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch vor, mit seiner Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft 1998 die „Büchse der Pandora“ geöffnet zu haben.

Almuth Berger, Ausländerbeauftragte von Brandenburg und gestriger Gast Becks, verlangte neue Wege im Kampf gegen rechts. Eltern und nicht zuletzt die Großeltern hätten einen erheblichen Einfluss auf die Gedankenwelt ihrer Kinder und Enkel. Hier will Berger ansetzen und Seniorenverbände mit einbeziehen. Damit die Bevölkerung in Kontakt zu Immigranten kommt, will Brandenburg die Unterbringungspraxis ändern. Künftig sollten Asylbewerber und Deutschstämmige aus der früheren Sowjetunion verstärkt in Orten selbst und nicht mehr wie bislang am Rande leben, so Berger.

Marieluise Beck rief den öffentlichen Dienst auf, verstärkt Immigranten einzustellen. In den Niederlanden sei dieser Arbeitsmarkt Vorreiter bei der Integration gewesen. In der Bundesrepublik hingegen liege der Anteil der Immigranten im öffentlichen Dienst bei 3 Prozent. Mit „Tatkraft“ müsse auch an die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien der EU herangegangen werden, wandte sich die Bündnisgrüne mit mahnenden Worten an ihre eigene Koalition. Federführend ist damit das Bundesjustizministerium beauftragt. Der Rat der EU hatte im November 1999 zwei Richtlinien verabschiedet, zum einen für eine Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, zum anderen für eine Gleichbehandlung „ohne Unterschied von Rasse oder ethnischer Herkunft“. Beide Richtlinien sollen die Mitgliedsstaaten bis zum 31. 12. 2002 umsetzen. Im Koalitionsvertrag war ein Antidiskriminierungsgesetz noch für diese Legislaturperiode vereinbart worden.