bücher für randgruppen: Hinweis auf ein wunderbares Tagebuch aus einem Darkroom in Reykjavík
Worüber lachen Sie denn da?
Eine deutsche Schwulenzeitung aus dem Jahr 1951 nannte sich „Der Gefährte“, diskret und züchtig. So nennt auch der Ich-Erzähler (beziehungsweise der Übersetzer Hans Brückner) seinen Liebhaber, den er mitsamt dessen Vermögen von einem guten Freund geerbt hat.
Das Erbstück ist ein herb-männlicher Seemann. Sein Tagebuch schildert die eigenartige Beziehung der beiden Männer, die sich von Zeit zu Zeit in einem Keller in Reykjavík treffen – just for Sex. Denn schwul ist hier eigentlich niemand. Beide sind verheiratet, haben Frau und Kind, befinden sich sozusagen in der Mitte der Gesellschaft.
Es ist der Hauch der Anarchie und großen Freiheit, der den Tagebuchschreiber und seinen Seemann zueinander treiben. Und die Langweile der Ehe. Und das Interesse an schwulem Sex. Denn der macht ihnen doppelt so viel Spaß, wenn sie wissen, dass zeitgleich die Ehefrauen ahnungslos zu Hause sitzen. Oder gerade von einer Pediküre ihre Nägel feilen lassen.
Das Zuhause auf isländische Art beschreibt der Autor Gudbergur Bergsson: „Alles ist an seinem Platz und nichts passt zusammen und hält doch irgendwie zusammen.“ Schließlich wird der Tagebuchschreiber sogar zum Abstinenzler. Vorsichtshalber. Denn wenn ein Isländer trinkt, dann können es gern gewaltige Mengen sein. Da werden verschlossene, schweigsame Menschen plötzlich laut, albern und gesprächig, und so manches Geheimnis, das im nüchternen Zustand gewahrt bleibt, wird im Rausch brutal entschleiert.
Es ist aber wohl auch ganz schön, in einer solch überschaubaren Gesellschaft wie der isländischen die erleichternde Last eines Geheimnisses mit sich herumzutragen, etwas völlig Unvorstellbares zu tun, wovon niemand auch nur die geringste Ahnung hat.
Und dann vertraut sich der Protagonist doch noch jemandem an. Einem Schwachsinnigen, der wie eine Wurst aussieht und im gleichen Viertel wohnt. Dem glaubt nämlich sowieso niemand etwas. Wenn der etwas weitererzählt, dann klingt es außerdem erst richtig unwahrscheinlich. Ja, selbst hier zeigt sich das Band der Treue, das Männerfreundschaften in der modernen Welt zusammenhält.
Und so speist der Tagebuchschreiber und Ministerialbeamte in einem Restaurant mit dem unschuldigen Namen „Komm heute Abend“, und seine Gattin wundert sich, dass immer das gleiche Ehepaar hier speist, „wenn wir schon mal essen gehen“. Ganz in der Nähe, am Nebentisch.
Unsichtbar wie die Beziehungen sind auch die Salmonellen in der Cremetorte, an der die Gattin des Seemanns schließlich verstirbt. Dabei fällt mir ein, dass das Buch „Island. Kleinod im Nordmeer“ zurzeit im Katalog des Antiquariats Held in Stuttgart angeboten wird, mit einer klein gedruckten, ungewöhnlichen Zustandsbeschreibung: „Aus der Bibliothek eines Rauchers“.
So ähnlich trocken wie diese Zustandsbeschreibung ist auch der Humor des Autors Gudbergur Bergsson, der ein Buch geschrieben hat, das die Verhältnisse zwischen Männern und Männern und Frauen durchleuchtet. „Liebe im Versteck der Seele“ ist ein überaus reizvolles Werk, eine wunderbare Beschreibung der isländischen Gesellschaft. Diese besteht – genau wie bei uns – vornehmlich aus Männern und Frauen. Deshalb ist dieser Roman durchaus kompatibel mit hiesigen Gegebenheiten. Manchmal musste ich beim Lesen laut auflachen, in der U-Bahn, in der Badeanstalt und im Wartezimmer des Zahnarzts. Und das wäre gar nicht so komisch, wenn da jemand freundlich gefragt hätte: „Worüber lachen Sie denn? Ach bitte, lesen Sie mir die Passage doch mal vor, ich möchte gern mitlachen.“
Das wäre mir sehr unangenehm, regelrecht peinlich gewesen.
WOLFGANG MÜLLER
Gudbergur Bergsson: „Liebe im Versteck der Seele“. Aus dem Isländischen von Hans Brückner. Steidl Verlag, Göttingen 2000, 392 Seiten, 38 DMAntiquariat Held, Stuttgart: Samivel: „Island. Kleinod im Nordmeer“ (Aus der Bibliothek eines Rauchers), 45 DM. Über www.zvab.com (Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher)
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