: „Der Rest wird ausgegrenzt“
■ Helmut Zachau, der frühere bildungspolitische Sprecher der Grünen, kritisiert die neue schulpolitische Linie seiner Partei
Helmut Zachau, Leiter des berufsbildenden Zweiges am Sekundarstufen-Zentrum Lange Reihe, war bis zum Sommer der bildungspolitische Sprecher der Bremer Grünen. Aus Verärgerung über die interne politische Kultur hatte er sein Bürgerschaftsmandat niedergelegt und war in die Schule zurückgekehrt.
taz: Drei Monate ist es her, da hat der grüne Bildungspolitiker Helmut Zachau sein Mandat niedergelegt, und schon gibt es eine neue grüne Schulpolitik. Wie das?
Helmut Zachau: Das weiß ich auch nicht. Es scheint in der Tat eine völlige Umorientierung zu geben. Während wir zu meiner Zeit gesagt haben: Wir brauchen in der Schule neue Formen, eine bessere innere Entwicklung, also innere Schulreform, scheint jetzt die äußere Organisation wieder im Vordergrund der Politik zu stehen. „Beschleunigung“, das ist der Zug der Zeit, der ganz unkritisch übernommen wird.
„Abitur in 12 Jahren“ für alle an allen Schulen fordern die Grünen jetzt, das bedeutet doch auch eine innere Reform der Schulen.
Eher nicht. Mit dieser Diskussion wird von der Notwendigkeit der inneren Reform abgelenkt. Das ist eine Forderung nach Verdichtung des Stoffes und damit der Zwang, den Unterricht nach Lehrplan sehr stringent zu organisieren, es geht um mehr Schnelligkeit. Das halte ich für ein großes Problem.
Es geht um die Reform des Lehrplans, eine innere Reform.
Die Schnellläufer-Bildung zwingt zu ganz konventionellen Methoden, man muss bestimmte Inhalte schnell lernen, es geht nur noch mit Reiz und Reflex. Es ist keine Zeit, andere Wege zu gehen, auch mal Fehler zu machen. Die Jugendlichen haben keine Zeit mehr, etwas auszuprobieren.
Man kann die Schulzentren der Sekundarstufe II nicht auf zwei Jahre verkürzen, das bedeutet die Abschaffung der Stufen-Zentrenfür die Gy-Schüler.
Das ist für mich auch die logische Konsequenz dieser Debatte, die Lemke losgetreten hat. Ohne sich anzugucken, was real da ist. Die Sek-2-Zentren bestehen ja nicht nur aus den Gymnasiasten, die größere Hälfte sind die berufsbildenden Schulen. Davon redet niemand mehr. In welchem Verhältnis soll die Berufsbildung zur Allgemeinbildung stehen?
Das Modell ist das Kippenberg. Da ist von Berufsbildung nie die Rede gewesen.
Das ist bei dem Klientel auch nicht weiter verwunderlich. Kippenberg ist nie ein Sek-2-Zentrum gewesen. Dennoch zeigt sich in Schwachhausen, welche tief greifenden Veränderungen das mit sich bringt. Die Orientierungsstufe gibt es nicht mehr als Regelangebot, es gibt in dem Quartier inzwischen kein Haupt- und Realschulangebot mehr. Alles konzentriert sich auf die Schnellläufer. Der Rest wird ausgegrenzt. Fragen: K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen