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Nudelsuppe mit Herz

Ausländer in Berlin: Japaner gelten als fleißig, pünktlich und immer freundlich. Vielleicht in Düsseldorf. In Berlin werden sie DJ oder Chorleiter und amüsieren sich über T-Shirt-Aufdrucke

von EVA KÜHNEN

Hiro kommt zu spät. Schlabberige Kakihosen, weißes T-Shirt, ein Fischerhut auf dem Kopf, tief ins Gesicht gezogen. Er bestellt ein Glas Apfelschorle und legt Zigaretten und sein Handy auf den Tisch. „Wir sind hier in Berlin!“, rechtfertigt sich der 26-jährige Japaner.

In Japan sind Verspätungen unüblich. Doch Hiro lebt seit über einem Jahr mit seiner Freundin Hito hier. Die beiden legen Platten in diversen Clubs auf und sind als „DJ-Pärchen“ stadtbekannt. „Wir leben hier ganz normal, wie andere auch,“ erklärt er und findet nichts Besonderes an seinem Leben als Japaner in Berlin. In einer völlig fremden Kultur, mit anderer Schrift und Sprache. Der einzige gemeinsame Nenner ist Mc Donald’s.

Japaner im Westen

So wie Hiro und Hito leben zur Zeit 1.692 Japaner in der Hauptstadt. Das ist wenig im Vergleich zu anderen deutschen Städten. Die größte Nippon-Community ist in Düsseldorf, mit etwa 8.000 Japanern. Denn dort ließen sich die ersten japanischen Firmen nieder. Berlin ist erst die fünftjapanischste Stadt Deutschlands. Die Industrie- und Handelskammer Berlin zählt 19 ordentliche Mitglieder. Tendenz fallend. 1992 waren es noch 51 Unternehmen.

Japans Firmen wandern ab, sie bevorzugen die europäischen Nachbarländer, wie zum Beispiel England. Viele Banken haben in London ihre Europa-Filiale statt in der deutschen Hauptstadt. Mit der Begründung, Berlin entwickle sich mehr und mehr zum Zentrum der Politik, der Wissenschaft, der Verwaltung und der Medien. Aber nicht zum Wirtschaftszentrum.

„Es ist unwahrscheinlich, dass produzierende japanische Unternehmen sich hier ansiedeln“, erklärt Marina Riessland, Persönliche Referentin des Generaldirektors der Japan External Trade Organisation (Jetro). Die Jetro gehört, so wie Sony, die japanische Botschaft und 13 Fernsehanstalten und Zeitungen, zu den größten japanischen Arbeitgebern. Viele der in Berlin lebenden Japaner arbeiten dort. Andere sind als Wissenschaftler an den Unis tätig. Wieder andere, meist Frauen, leben hier, weil sie einen deutschen Partner haben. Jugendlichen zieht es zum Studium in die Hauptstadt, oder weil sie einfach nur hier hier leben wollen.

Kontakt zu Fremden

Zu denen gehört auch Hito. Sie studierte in Osaka Germanistik. In Japan könne man seinen Weg nicht selber wählen, erzählt sie. Das meiste sei vorgegeben, bis zur Uni. Man müsse lernen zu akzeptieren. Weil Hito und Hiro mit Fremden in Kontakt kommen wollten, studierten sie Fremdsprachen: Hiro lernte Englisch und seine Freundin eben Deutsch. Italienisch, Französich und Englisch nebenbei.

Während eines Auslandssemesters 1998 machte sie einen Sprachkurs an der Humboldt-Universität. Ein Jahr später kam sie wieder nach Berlin. Diesmal mit ihrem Freund Hiro. Die beiden besuchten einen Brieffreund. Auf einer Party traf die 26-Jährige zufällig ihren Tutor vom Sprachkurs wieder. Der vermittelte den beiden DJs einen Auftritt im „Maria am Ostbahnhof“. Das war der Anfang einer steilen Karriere.

„In Japan würde ich gar nicht so viel Musik machen“, sagt Hiro. „Aber hier ist Musik wichtig für mich. Durch Musik kann ich lustig sein. So kann ich meinen Witz ausdrücken“, erklärt der DJ. „Berlin ist eine ehrliche Stadt. Wenn du schlecht spielst, dann zeigt dir das Publikum auch, dass sie nicht zufrieden sind. Bist du gut, belohnen sie dich mit guter Stimmung.“

In Japan seien die Leute verschlossener. Diese offene Atmosphere schätzt Hiro sehr: „Ich kann mich in dieser Stadt wiedererkennen, wie in einem Spiegel. Die Stadt ist auch noch nicht fertig und verändert sich oft. Sie muss sich noch selbst finden.“

Und weil er hier gute Freunde hat und ihm die Stimmung gefällt, möchte er erst mal in Berlin bleiben und weiter Musik machen. „Kommunikation ist sehr wichtig“, meint er. Musik ist sein Medium, mit dem er eine Brücke zwischen der deutschen und der japanischen Kultur schlägt.

Die einen begeistern mit fetten Beats, der andere mit harmonischen Melodien. Yuhei Sato, 42 Jahre, lebt seit 20 Jahren in Berlin. Jeden Mittwoch leitet er den Chor der „Deutsch-Japanischen Gesellschaft“. Hauptberuflich ist er freischaffender Sänger und unterrichtet nebenbei. Die „Deutsch-Japanische Gesellschaf“ hat in Berlin 700 Mitglieder, 80 Prozent davon sind Deutsche. Denn Japaner suchen sich ihre Kontakte lieber selbst. Ein großer Verein in Berlin interessiert sie nicht besonders.

Dennoch kommen einige zu Satos Proben. Vor allem japanische Hausfrauen suchen im Chor Kontakt. Die würden auf Grund der Sprachbarriere sehr isoliert leben, weiß Chorleiter Yuhei Sato. Da komme schnell Heimweh auf.

In Berlin gibt es viele Anlaufmöglichkeiten für heimwehkranke Japaner: Die Sushibar um die Ecke. Zahlreiche Ikebana- und Go-Vereine. Oder der Freundeskreis „Kirschblüte“, ein „Selbsthilfe-Treffpunkt der Volkssolidarität“. Oder das „Cocolo“, die Nudelsuppenbar von Hiro und Hito.

„Cocolo“ bedeutet Herz. In Japan findet man solche kleinen Garküchen an jeder Straßenecke. Meist gibt es nur zwei, drei verschiedene Gerichte. Oliver Prestle und Michaela Vieser, zwei Freunde von Hiro und Hito, griffen das Konzept auf. Ihre Kocheinheit ist mobil. Da, wo gerade ein Raum leer steht, schmeißen sie den Gasherd an. Zuletzt kochten die beiden im „Schwarzenraben“, in der Neuen Schönhauser Straße. Die beiden DJs liefern den original japanischen Flair zur Suppe.

„Das ist wie ein Treffpunkt hier, wie ein Meltingpot“, sagt Hiro. Denn trotz Standortwechsel spricht es sich immer wieder rum, wo die Bar gerade ist. Da kommen japanische Studenten, zur Mittagspause vom Goethe-Intitut ,und schlürfen „Soba“, die japanische Nudelsuppe. Eine ältere Japanerin setzt sich dazu. Sie wird freundlich von der Jugend mit „Konichi wa“, guten Tag, begrüßt. Viel Deutsch kann sie nicht, braucht sie aber auch nicht. „Alte Oma“, kann sie sagen und lacht dazu.

Viele Japaner vermissen die asiatische Küche sehr. Sushi gibt es zwar auch hier, „aber in Japan ist es frischer“, sagen sie. Und die Auswahl von Obst und Gemüse sei nicht so vielfältig wie in Nippon. Auch Yuhei Sato, der Sänger, konnte sich zunächst nicht an die schwere deutsche Kost gewöhnen. Brot statt Reis zum Frühstück konnte er sich nicht vorstellen. „Vor 20 Jahren gab es nichts. Also fast kein Obst und Gemüse“, erinnert sich Sato. Damit meint er natürlich nicht Rotkohl und Äpfel, sondern zum Beispiel Avocados oder Papayas. Inzwischen gibt es zahlreiche Asia-Märkte in der Stadt. Da kann man von japanischem Kinderspielzeug über Reis und grünen Tee bis hin zu kleinen Porzellanschälchen und Stäbchen alles bekommen. Jetzt ist Sato zufrieden: „Das war damals natürlich schwer für mich, aber mittlerweile ist es o. k.“

Es hat sich viel verändert: Mittlerweile ist Japan für die Deutschen nicht mehr ganz so fremd. Im Moment ist es sogar chic: Sushibars schießen wie Shiitakepilze aus dem Boden. Die Spielshow „Takeshi’s Castle“ begeistert auch hier zu Lande viele Zuschauer.

Exotische T-Shirts

Japanische Schriftzeichen zieren Geschirr, T-Shirts und Plakaten. Manchmal muss Hiro lachen, wenn er liest, was einige auf ihren Hemden propagieren. Nicht jedes Zeichen heißt Glück, Zufriedenheit und Harmonie. Teilweise bedeuten die Zeichen, seien sie auch noch so kunstvoll und dekorativ, zum Beispiel nur „auf“ oder „unter“.

Nach über einem Jahr in Deutschland belegt Hiro nun einen Deutschkurs an der Volkshochschule. Dann sind auch deutsche T-Shirt-Sprüche kein Rätsel mehr. Für ihn ist es wieder ein Schritt weiter gen Westen. Die japanische Lebensart haben er und seine Freundin sich dennoch bewahrt. Einige kleine Details in ihrem so westlichen Alltag, erinnern noch an das asiatische Inselreich: etwa das kleine Holzbänkchen in der Dusche. Japaner baden gerne und sehr heiß. In einem japanischen Bad ist es üblich, sich beim Waschen auf einen kleinen Schemel zu setzten. Oder der spezielle Reiskochtopf, der in keinem japanischen Haushalt fehlen darf. Wichtig ist auch: Schuhe ausziehen! Bevor man die Wohnung betritt, schlüpft man in kleine Schläppchen. Für die Toilette gibt es nochmal extra Slipper. Und noch eine Kleinigkeit: Vor der Schlafzimmertür hängt ein halblanger, leichter Vorhang. Um die bösen Geister fern zu halten.

Doppelt religiös

An Götter, Geister und andere Gestalten glauben die Japaner gerne. Die größte und älteste Religion in Japan ist der Schintoismus. Dann folgt der Buddhismus. Daneben gibt es auch eine offiziell anerkannte Sekte: Die buddhistische „Soka gakkai“ zählt etwa 17 Millionen Anhänger und ist weit verbreitet in Japan. Auch in Berlin gibt es zahlreiche buddhistische Gruppen. Seit 1992 ist auch die Zen-Vereinigung Deutschland aktiv. Für japanische Christen wird an jedem ersten Sonntag im Monat ein Gottesdienst in der Gedächtniskirche angeboten. Viele Japaner gehören zwei Religionsgemeinschaften an. Neben den traditionellen Zeremonien des Buddhismus oder des Schintoismus ist das Heiraten im christlichen Stil sehr beliebt.

An Hochzeit denken Hiro und Hito im Moment noch nicht. Fürs Erste wollen die beiden hier Musik machen und Nudelsuppe kochen. Auch Sato, der Sänger, will noch ein Weilchen seinen Chor leiten. Nicht für immer. Irgendwann möchte er in seine Heimat zurückkehren. Doch wann, weiß er noch nicht.

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