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Küsschen für die Wählerschaft

Die US-Präsidentschaftskandidaten Al Gore und George W. Bush proben nach Talkshow-Auftritten das ernste Fach: In vier TV-Debatten wird um Politik gestritten – und vielleicht sogar das Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Bewerber entschieden

aus Washington BERND PICKERT

Dienstag abend, 21 Uhr an der Ostküste der Vereinigten Staaten, beginnen für die beiden US-Präsidentschaftskandidaten Al Gore und George W. Bush die wichtigsten Momente seit den Parteitagen im Hochsommer. Mit der ersten von vier landesweit übertragenen Fernsehdebatten geht die Auseinandersetzung um den Einzug ins Weiße Haus jetzt in die Endphase. Und noch immer gilt der Ausgang der Wahl als offen, noch liegen beide Bewerber in den Umfragen so dicht beieinander, dass die bislang noch unentschiedenen WählerInnen in nur zehn Bundesstaaten wohl am Ende die Entscheidung herbeiführen werden.

Drei weitere Debatten sind vorgesehen: Am Donnerstag stehen sich die Kandidaten für die Vizepräsidentschaft gegenüber, der demokratische Senator Joseph Lieberman und der ehemalige republikanische Verteidigungsminister Richard Cheney. Am 11. und 17. Oktober folgen zwei weitere Debatten zwischen Gore und Bush.

Die Erfahrungen der letzten 40 Jahre zeigen, dass kein Fernsehspot und kein Wahlkampfauftritt die unentschiedenen WählerInnen so stark beeinflussen wie die TV-Debatten. Seit dem Wahlkampf Jimmy Carter gegen Gerald Ford 1976 gehören die Mattscheiben-Duelle zum festen Bestandteil jedes Wahljahres, verfolgt von jeweils rund 65 Millionen US-AmerikanerInnen. Als 1992 Clinton, Bush und Perot miteinander stritten, schalteten sogar 97 Millionen ZuschauerInnen ein – ungefähr so viele, wie dann tatsächlich zur Wahl gingen.

Kein Wunder also, dass es um den Ablauf der Debatten stets heftige Auseinandersetzungen gibt. Die Wahlkampfteams beider Kandidaten streiten leidenschaftlich um Details – wie der Hintergrund farblich beschaffen ist, in welchem Winkel die Kandidaten zu Publikum und Kameras sitzen, wer die Moderation übernimmt, ob Fragen aus dem Publikum zugelassen sind oder nicht, ob die Kandidaten auf Statements antworten dürfen.

Beide Teams kennen die Fähigkeiten des eigenen Kandidaten, seine Schlagfertigkeit und Bildschirmwirkung, und versuchen, aus solchen Details Vorteile zu ziehen. Dazu streiten unabhängige Kandidaten wie der Grüne Ralph Nader oder der rechtskonservative Pat Buchanan, der die seinerzeit vom Milliardär Ross Perot gegründete Reformpartei zu seiner Plattform gemacht hat, noch immer um das Recht, an den Debatten teilzunehmen.

Während die Umfrageergebnisse auf nationaler Ebene in der letzten Woche einen minimalen Vorsprung für Bush signalisierten – die jüngste CNN/Gallup-Befragung sieht Bush mit 46 Prozent vor Gore mit 44 Prozent, gelten die Wahlen in den meisten Bundesstaaten schon als entschieden – aber eben nur in den meisten. Auf die Bundessstaaten kommt es an. Wer dort nur ein Viertelprozent vorne liegt, erhält alle Wahlmänner des Staates zugesprochen. 270 der 538 zu bestimmenden Wählmänner braucht ein Kandidat zum Sieg – und die Anzahl der zu vergebenden Stimmen für dieses Gremium schwankt je nach Bevölkerungszahl zwischen drei aus den kleinsten Bundesstaaten und 54 aus dem großen Kalifornien.

Die New York Times sah Gore in der vergangenen Woche mit 142 Wahlmännern aus zehn Staaten vorn und rechnete ihm die wahrscheinlichen 97 Stimmen aus acht weiteren Staaten zu – das macht 239. Bush hat nach der gleichen Analyse 132 Wahlmänner sicher, weitere 69 wahrscheinlich, insgesamt also 201.

Zehn Staaten mit 98 Wahlmännern gelten nach dieser Analyse als unentschieden – und um diese wahlentscheidenden Staaten, darunter Florida mit 25, Michigan mit 18 und Wisconsin mit elf Stimmen, dreht sich der Wahlkampf in den verbleibenden Wochen.

Mit der Entscheidung vom vergangenen Donnerstag, die Abtreibungspille RU-486 in den USA zuzulassen, hat auch das von jeher ideologisch hoch besetzte Abtreibungsthema wieder in den Wahlkampf Eingang gefunden. Bush ist vehementer Abtreibungsgegner, Gore, die Mehrheit der Bevölkerung und natürlich vor allem der Frauen, stehen für freie Entscheidung.

Beide Kandidaten haben sich in den letzten Wochen mit neuen Vorschlägen in den zentralen Politikfeldern Gesundheit und Bildungswesen profiliert. Gore will den Haushaltsüberschuss in Sozialprogramme stecken, und Bush will Steuern senken und Sozialversicherungen teilprivatisieren. Bush hat diese Woche erneut vehement dafür geworben, die Außenabhängigkeit der USA in der Energieversorgung durch neue Ölförderung in den Naturschutzgebieten Alaskas zu mindern, während Gore auf Energiesparen setzt. Bush wirbt massiv für die Nationale Raketenabwehr und ist skeptisch gegenüber der Einbindung des US-Militärs in internationale Missionen; Gore steht für die Fortsetzung der Clinton’schen Außenpolitik.

Was die unentschiedenen WählerInnen dabei am meisten beeindruckt, hat womöglich mit diesen Themen gar nichts zu tun. Die größten Publikumserfolge haben Bush und Gore jedenfalls durch Appelle an Emotionen und Auftritte in Talkshows und Comedy-Sendungen: Gore küsste seine Frau Tipper beim demokratischen Parteitag und zeigte Humor bei David Lettermans Late Night Show, Bush küsste die schwarze Talkmasterin Oprah Winfreh. Beides kam den Umfragen zufolge sehr gut an. US-Wahlkampf ist eben auch großes Theater.

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