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Grabschändungen mit System

Nach Anschlag auf jüdischen Friedhof in Potsdam fordern Mitglieder der Jüdischen Gemeinde konsequente Bewachung der Friedhöfe. Über 100 Schändungen von Grabstätten in diesem Jahr in Brandenburg. Polizei tappt überwiegend im Dunkeln

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Nach der Schändung des jüdischen Friedhofs in Potsdam am Mittwoch haben sich führende Vertreter der Jüdischen Gemeinde Brandenburg für eine ständige Bewachung jüdischer Einrichtungen ausgesprochen. Gemeindemitglieder machten darauf aufmerksam, dass im laufenden Jahr bereits über 100 Anschläge auf jüdische Friedhöfe in Brandenburg zu verzeichnen waren, die schlimmsten davon in Cottbus. Zugleich forderten Sprecher der Gemeinde die Politiker des Landes auf, schärfer gegen Antisemitismus und Fremdenhass vorzugehen.

Nach Angaben des Polizeipräsidiums Potsdam hatten Streifenpolizisten am späten Mittwochabend entdeckt, dass am Friedhofseingang ein Galgen über den eingravierten Davidstern geschmiert worden war. Die unbekannten Täter, so eine Polizeisprecherin zur taz, hätten den angedeuteten Strick direkt über dem Emblem angebracht. Der Tatort sei nach Spuren abgesucht worden. Das Staatsschutzkommissariat habe Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Der Polizei zufolge steht der Friedhof am Pfingstberg nicht unter ständiger Bewachung. Angesichts dieses Anschlags und eines früheren im Februar werde nun aber eine „verstärkte Bestreifung“ vor Ort durchgeführt. Im Februar hatten ebenfalls Unbekannte zum 70. Todestag des NS-Aktivisten Horst Wessel den jüdischen Friedhof mit Hakenkreuzen beschmiert.

Irina Knochenhauer, Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinde Brandenburg, betonte, die neuerliche Schändung des Friedhofs zeige, „dass dies keine Zufälle sind, sondern dass System dahinter steckt“. Mindestens einmal im Monat würden jüdische Friedhöfe „beschmiert, verunstaltet oder verwüstet“. Wolfgang Weißleder, Leiter der Jewish Claims Conference Brandenburg, sprach von über 100 Vorfällen in Brandenburg. Knochenhauer forderte die Polizei auf, den Friedhof „nun rund um die Uhr zu bewachen“.

Zugleich zeigte sich Knochenhauer verärgert über die „schlaffe Haltung“ der brandenburgischen Politiker gegenüber dem Rechtsextremismus. 55 Jahre nach dem Krieg gebe es für Juden noch immer „keine Normalität in Deutschland“.

Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) bezeichnete die Friedhofsschändung gestern als „Schande“. Die Tat werde mit aller Härte verfolgt. Stolpe betonte, Antisemitismus sei die „übelste Form des Rassismus“ und müsse in der Gesellschaft auf den entschiedenen Widerstand aller stoßen. Oberbürgermeister Matthias Platzeck (SPD) betonte, die Stadt werde sich nicht damit abfinden.

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