: Illegal, in Abschiebehaft
Selbst wenn sie freiwillig ausreisen wollen, sitzen Ausländer oft monatelang in Abschiebehaft. Auch Minderjährige und Schwangere werden inhaftiert. Die Grünen wollen die Regelung liberalisieren
von ANDREAS SPANNBAUER
Die Frauen sitzen zu zehnt in einer Zelle, manchmal über neun Monate lang. Duschvorhänge gibt es in den sanitären Anlagen keine. Die Wärter sind oft männlich und für diese Arbeit nicht ausgebildet. Ein Verbrechen haben die 35 Frauen, die derzeit in der Abschiebehaftanstalt Kruppstraße inhaftiert sind, nicht begangen. Ihr einziges Delikt: Sie wurden ohne gültige Papiere festgenommen. Im Bezirk Tiergarten warten diese Frauen, von denen eine schwanger ist, auf eine endgültige Entscheidung über ihren Aufenthaltsstatus.
Insbesondere die lange Haftdauer ist nach Ansicht der Grünen im Abgeordnetenhaus nicht nur inhuman, sondern oft auch rechtswidrig. Die Haftanstalten seien nur auf einen Aufenthalt von wenigen Wochen ausgerichtet, kritisiert die grüne Fraktionsvorsitzende Sibyll Klotz. Doch immer häufiger würden die Gerichte über die Fortdauer der Haft, die mit Fluchtgefahr begründet wird, erst nach sechs Monaten entscheiden.
„Die Gerichte lassen sich Zeit, und die Menschen verschimmeln“, sagt auch der grüne Abgeordnete Hartwig Berger. Nach seiner Auffassung wird die Abschiebehaft immer häufiger zu einer rechtwidrigen Beugehaft umfunktioniert. Betroffen davon sind vor allem aufgegriffene Illegale, deren Papiere verschwunden sind. Mit der langen Haft sollten die Flüchtlinge zur Kooperation bei der Beschaffung neuer Dokumente gezwungen werden. Berger hält dies für rechtswidrig: „Der Mangel an Mitarbeit darf in einem Rechtsstaat ebensowenig ein Grund zur Verlängerung der Haft sein wie die Verweigerung der Aussage.“
Als zusätzliches Problem erweist sich, dass die Herkunftsländer oft an der Rücknahme der Flüchtlinge nicht interessiert sind und bei der Beschaffung der Papiere mauern. Am Ende erhalten die Betroffenen nicht selten eine Duldung, weil sie nicht abgeschoben werden können – nach monatelanger Haft.
Selbst 25 Minderjährige waren entgegen internationalem Kinderrecht Mitte September in Berlin eingesperrt. Dass die Inhaftierung von Jugendlichen bei einem Überschreiten der Altersgrenze von 16 Jahren zulässig ist, hat die rot-grüne Bundesregierung zu verantworten. Doch auch Jugendliche, die nach eigenen Angaben jünger als 16 sind, landen in Berlin hinter Gittern.
Zumindest die lange Haftdauer soll nach einem Vorschlag der Grünen ein Ende finden. In einem Antrag zur Vermeidung von Abschiebungshaft fordern sie die Einführung eines 3-Stufen-Modells. Demnach sollen Ausreisepflichtige ihren Aufenthaltsort bei den Behörden anmelden und sich freiwillig zu dem für sie gebuchten Flug einfinden. Erst wenn der Betroffene nicht erscheint und auch unter der angegebenen Adresse nicht anzutreffen ist, wird er inhaftiert. So bleibt Ausreisewilligen die Prozedur erspart. In Duisburg wird dieses Modell von der Ausländerbehörde bereits erfolgreich praktiziert. Der Innenausschuss soll sich am 23. Oktober mit dem Vorschlag beschäftigen. Berger hat Jugendsenator Klaus Böger zudem aufgefordert, sich für die Freilassung Minderjähriger einzusetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen