: Im Freizeitpark Nordkorea
Zackige Felsen, zahlreiche Wasserfälle, Aphrodisiaka und Ginseng-Extrakte: Im armen Norden gibt es alles – gegen Dollaraus Changjon SVEN HANSEN
Auf dem Chonsundae-Gipfel herrscht Gedränge. Viel mehr Südkoreaner wollen den Blick von hier oben genießen, als der nordkoreanische Felsen auf seiner Spitze Platz bietet. „Oh, wie ist das schön hier“, sagt eine buddhistische Nonne aus Seoul und rafft ihre graue Kutte. Ganz aus der Puste vom beschwerlichen Aufstieg ist die Kahlköpfige. Nun lächelt sie selig. „Ich bin sprachlos vor Glück.“ Sagt’s und lässt den Blick ins Tal schweifen, wo rote und gelbe Blätter in der Herbstsonne leuchten.
Auf dem gegenüberliegenden Mangyandae-Berg schlängelt sich ein Strom hunderter Südkoreaner in knallbunten Freizeitjacken und Sonnenhüten die Hänge hoch. Oben drängt man sich um die besten Fotopositionen – das Diamant-Gebirge, wie Kumgang heißt, gilt wegen seiner zackigen Felsen und zahlreichen Wässerfälle als schönste Region Koreas. Sie ist in Nord und Süd gleichermaßen legendär.
Auf den steilen letzten Metern vor dem Chonsundae-Gipfel stehen die Südkoreaner geduldig Schlange, bis auch sie endlich nach oben können. Auch beim Abstieg müssen sie immer wieder warten. Wieder will ein Paar unbedingt vor einem Felsen aufgenommen werden. Wieder soll der einzige westliche Ausländer als Maskottchen mit aufs Foto. Beliebt sind auch die in die Felsen gehauenen Hymnen auf den 1994 verstorbenen nordkoreanischen Diktator. „Wir fühlen uns geborgen in den Armen des geliebten Führers Kim Il-Sung, der immer mit uns sein wird“, steht da zum Beispiel.
Plötzlich versperrt ein nordkoreanischer Aufpasser den Weg. Wie alle aus dem Norden ist er leicht an der altmodischen dunkelblauen Kleidung zu erkennen. Er streckt die Hand aus und sagt grinsend: „Willkommen in Korea!“ Er fragt nach dem Woher. Als er Deutschland hört, will er wissen, ob Ost oder West. Dass es nur noch ein Deutschland gibt, will er nicht glauben.
Die Aufpasser im Gebirge dürfen – wie alle Nordkoreaner – von den Touristen nicht fotografiert werden. Aber immerhin darf mit ihnen gesprochen werden – der einzige, flüchtige Kontakt. Dringend raten die südkoreanischen Reisebegleiter von Gesprächen über Politik ab, seit im vergangenen Jahr eine Hausfrau aus Seoul verhaftet wurde. Sie hatte über den Verbleib nordkoreanischer Flüchtlinge im Süden erzählt. Das wertete die nördliche Seite als Aufforderung zur Flucht. Die Reisen wurden vom Süden mehrere Wochen ausgesetzt, selbst als die Frau nach ein paar Tagen wieder frei war. Die Aufpasser sorgen dafür, dass die Südkoreaner die strengen Regeln einhalten. Verstöße werden in US-Dollar geahndet, dem hier einzig erlaubten Zahlungsmittel, und das sofort. Rauchen in der Natur und das Wegwerfen einer Kippe kosten bis zu 15, unerlaubtes Fotografieren 50 und Wasserlassen im Gebüsch 10 Dollar. Strafbar sind auch Blumenpflücken (25) oder das Mitführen unerlaubter Gegenstände (bis zu 100). Was nach devisenhungriger Wegelagerei und Überwachungsstaat aussieht, macht zumindest beim Umweltschutz Sinn.
Im Unterschied zu den regungslos bis finster dreinblickenden Soldaten, die die Straßen bewachen, wirken die wenigen Dutzend zivilen Aufpasser im Gebirge eher unsicher angesichts der großen Zahl der Südkoreaner. Da stehen blondierte Frauen aus dem Süden in Jacken mit Aufdrucken wie „James Dean Underwear“, „Pierre Cardin“ oder „Quicksilver“ Nordkoreanerinnen gegenüber. Die haben Einheitsfrisuren aus den 60er-Jahren mit Dauerwellen und züchtigem Zopf und einen Kim-Il-Sung-Anstecker auf der Brust. Doch der Kulturschock ist nicht nur auf Seiten der Aufpasser. Eine Südkoreanerin, die gerade ein Foto machen will, ist völlig perplex, als ein nordkoreanischer Aufpasser sie neckt, indem er sie im entscheidenden Moment immer wieder anstupst.
„Ich liebe die Leute aus dem Norden“, sagt Park Shin-Eon (58). Der katholische Pfarrer aus Seoul ist ganz gerührt. „Die Nordkoreaner sagen mir, Korea muss wiedervereinigt werden.“ Der Fotograf Y. W. Lee, der bereits das fünfzehnte Mal hier ist und schon 1998 bei einer der ersten Fahrten dabei war, meint: „Die Nordkoreaner sind viel entspannter geworden. Damals konnten wir nicht an Land essen, sondern nur auf dem Schiff. Das musste nachts sogar den Hafen verlassen und auf See hinausfahren.“
Seit dem 18. November 1998 haben bisher über 320.000 meist ältere Südkoreaner von südlichen Häfen aus die Kreuzfahrt zum Kumgang-Gebirge angetreten. Erst mit der Amtsübernahme von Kim Dae-Jung lockerte der Süden deutlich seine Reiserestriktionen. Zuvor durften nur etwa 250 Südkoreaner pro Jahr in den Norden – formal befindet man sich immer noch im Kriegszustand. Der aus Nordkorea stammende Gründer des Hyundai-Konzerns vereinbarte dann in Pjöngjang die Touren – ein Türöffner für den zuvor völlig verschlossenen Norden. Sechs Jahre lang zahlt Südkoreas größter Mischkonzern Pjöngjang dafür jährlich 155 Millionen Dollar. Dafür erhielt Hyundai ein 30-jähriges Monopol auf die Kumgang-Region. Zwar kosten die Reisen je nach Dauer und Saison pro Person stolze tausend bis dreitausend Mark. Dennoch macht der ohnehin angeschlagene Hyundai-Konzern mit koreanisch-koreanischen Touren große Verluste. „Wenn wir 500.000 Menschen pro Jahr nach Kumgang bringen, dann sind wir in der Gewinnzone“, sagt Marketingmanager Shin Hyun-Jong. Das soll schon 2002 der Fall sein. Der Konzern ist optimistisch, die Bestimmungen würden schrittweise gelockert. So dürften seit neuestem auch die zahlungskräftigen Japaner mit.
Bisher investierte Hyundai mehrere hundert Millionen Dollar in die nötige Infrastruktur. Inzwischen fahren bereits vier Charterschiffe in die nordkoreanische Ostküstenstadt Changjon. Von der grauen Hafenstadt, die nicht fotografiert werden darf, sehen die Besucher aus der Ferne nur ein paar verrostete Hafenkräne, einige Marineschiffe, wenige Hochhäuser und einen alles überragenden Obelisken. Die Stadt liegt an einem Ende einer Bucht unterhalb des Gebirges. Am anderen Ende baute Hyundai einen neuen Hafen. Dort machen die Schiffe aus dem Süden fest. Jetzt wurde hier das erste Hotelschiff mit 300 Betten verankert. Bald sollen an Land Hotels, Golfplätze, Ferienhäuser, Skilifte sowie Parks folgen. Ein aus heißen Quellen gespeistes Bad gibt es bereits. Eine Exportproduktionszone ist geplant. Das Personal einschließlich der Busfahrer sind ethnische Koreaner aus China, die Crew des Hotelschiffes stammt aus den Philippinen.
Vom Hafen fahren die Touristenbusse nach der aufwendigen Sicherheitskontrolle in bewachten Konvois auf den von Hyundai neu gebauten Straßen. Die sind mit Stacheldraht eingezäunt. Alle paar hundert Meter wachen Soldaten. Auf einem abgezäunten Areal sieben Kilometer vom Hafen entfernt gibt es ein neues Restaurant. Das reichhaltige Buffet für die südlichen Gäste kommt mit dem Schiff – der Norden ist vom Hunger geplagt. Nebenan stehen ein Kuppelbau für tägliche Zirkusvorführungen und Läden, in denen nordkoreanische Produkte gegen Dollar verkauft werden: Ginsengpulver (300 Gramm für 45 Dollar), ein Lebenselixier „Vitaton“ und ein Aphrodisiakum namens „Sexton“ (je 20 Dollar). Die Südkoreaner kaufen reichlich.
Teilweise führt die Fahrt auch auf ganz normalen Straßen ins Gebirge. Außer einigen Militär-Lkws, wenigen altersschwachen Traktoren, Ochsenkarren und einigen Fahrrädern sind keine Fahrzeuge zu sehen. In einigen Feldern wehen rote Fahnen. Die Bauernhäuser sind ummauert und sehen alle gleich aus. Die Menschen winken vereinzelt zurück, selten ist eine Kuh oder Ziege zu sehen. Auf der Straße oder auf verrosteten Eisenbahngleisen gehen die Nordkoreaner mit Bündeln auf dem Rücken. Manche marschieren in Kolonnen. Als die Touristen an Schulkindern in blauen Uniformen mit roten Tüchern vorbeikommen, hält die Südkoreaner nichts mehr auf ihren Sitzen. Sie reißen die Fenster auf, winken und rufen. Die marschierenden Kinder winken lachend zurück. Ihre Lehrerinnen blicken verunsichert, die wachenden Soldaten ernst. Die nordkoreanischen Kinder hätten so reine, unschuldige Augen, meint eine 79-Jährige im Bus.
Als das Nobelkomitee in Oslo am Freitag bekannt gibt, dass Südkoreas Präsident Kim Dae-Jung wegen seiner Entspannungspolitik der Friedensnobelpreis verliehen wird und in Seoul schon Feuerwerke gezündet werden, läuft das Kreuzfahrtschiff „Schatzinsel“ gerade in Changjon ein. An Bord ist von dem politischen Akt nichts zu spüren, sämtliche Handys, Radios und Funkgeräte mussten vor der Reise abgegeben und versiegelt werden. Und Nordkoreas Medien verschweigen das Ereignis.
„Wir dürfen hier keinen direkten Kontakt mit dem Süden haben. Die Nordkoreaner bestehen darauf, dass die nur für den Notfall vorgesehene Kommunikation über einen Agenten in Hongkong läuft“, erklärt Kapitän Shi Yuk-Jon. Während dies nach nordkoreanischer Paranoia aussieht, ist man bei den Hoheitszeichen der Zeit voraus. Die in Panama registrierte koreanische „Schatzinsel“ führt eine weiße Flagge. Darauf ist in Blau die vereinigte koreanische Halbinsel abgebildet. Unter der gleichen Fahne marschierten schon die Mannschaften aus Nord und Süd gemeinsam ins Olympiastadion von Sydney. „Wir bekommen hier von dem Menschen im Norden nur ganz wenig mit“, sagt Pfarrer Park. „Aber das wird sich ändern. Es ist etwas in Bewegung geraten. Auch wenn es vielleicht noch Rückschläge gibt, eines Tages wird Korea wiedervereinigt. Da bin ich mir sicher. Bis dahin werde ich oft wieder herkommen.“
Zitat:EIN TOURIST AUS SÜDKOREA„Die Nordkoreaner sind viel entspannter geworden. Damals konnten wir nicht an Land essen.“
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