FPÖ-SPITZELAFFÄRE ERSCHÜTTERT ALPENREPUBLIK ÖSTERREICH: Skandalöse Seilschaften
„Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, der muss auch keine Überwachung fürchten.“ Mit diesem Argument versuchten Regierungspolitiker die erste Aufregung über die österreichische Polizei-Spitzelaffäre vom Tisch zu wischen. Den Überwachungsstaat, den uns die Regierung nach und nach bescheren will, haben die Freiheitlichen für ihre Parteizwecke offenbar längst geschaffen. Wenn nur die Hälfte dessen stimmt, was der Gründer der FPÖ-Gewerkschaft, Josef Kleindienst, behauptet und parteinahe Polizisten nach und nach bestätigen, dann wurden Datenschutz und Schutz der Privatsphäre längst abgeschafft. FPÖ-Spitzenfunktionäre mussten nur einen Vertrauensmann in der Polizei anrufen, um über Vermögensverhältnisse, Zweitwohnsitze, Vorstrafen und Strafmandate einer x-beliebigen Person Auskunft zu erhalten. Im Ekis-Computer der Polizei sind selbst ungerechtfertigte Strafanzeigen festgehalten.
Vom Caritas-Direktor bis zum ORF-Redakteur, vom Grünen-Politiker bis zur Dramatikerin: Alles, was bei den Freiheitlichen unter „Gutmensch“ läuft, wurde immer wieder ohne dienstlichen Auftrag untersucht. Aber nicht nur die Akten von politischen Gegnern wurden auf mögliche Schwachstellen durchleuchtet. Auch Bewerber für Landtags-, Gemeinderats- und Nationalratssitze der eigenen Partei wurden routinemäßig über das der Polizei vorbehaltene Ekis-System durchgecheckt. Der Grund: Während des raschen Wachstums der Partei waren scharenweise Kleinkriminelle auf die blauen Tickets gesetzt worden.
Inzwischen wird auch bei den Sozialversicherungsträgern ermittelt, inwieweit illegale Abfragen politische Hintergründe haben. Und dass selbst geheime Akten der Staatspolizei ungehindert den Weg in die FPÖ-Zentrale finden, ist nichts Neues. Jörg Haider selbst hat sich wiederholt gerühmt, er könne sich vertrauliches Material jederzeit beschaffen. Dass auch andere Parteien gelegentlich illegale Auskünfte verlangt und bekommen haben dürften, ist nicht weniger skandalös. Doch nur bei den Freiheitlichen gibt es Hinweise, dass ein System aufgebaut wurde, das den Rechtsstaat untergräbt.
Andreas Khol, Fraktionschef der regierenden ÖVP, hatte die FPÖ immer außerhalb des „Verfassungsbogens“ geortet. Allerdings nur bis seine Partei Jörg Haiders Truppe in die Regierung holte. Heute ist der habilitierte Verfassungsrechtler ein Herz und eine Seele mit dem FPÖ-Fraktionsvorsitzendem Peter Westenthaler und muss aus Disziplin jeden demokratiefeindlichen Ausritt des Koalitionspartners verteidigen. Man darf gespannt sein, wie lange die ÖVP zum freiheitlichen Spitzelnetz in der Polizei schweigt. RALF LEONHARD
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