: Pilzköpfe, Janker, Beat
Die Beatles waren die Blaupause für folgende Boygroups, das illustriert der neue Bildband „The Beatles-Anthology“ mit 1.300 Fotos und zahlreichen Interviewzitaten. Ansonsten ist der Bestseller wohl das größte Belanglosigkeiten-Brikett aller Zeiten
Die weiblichen Popregenten sind ihnen nur eine Fußnote wert: „Wir trafen die Ronettes, was sehr aufregend war“, berichtet Paul McCartney auf Seite 123: „Und verschiedene andere, wie Jackie De Shannon, einen großen Songwriter, und Diana Ross und den Rest der Supremes. Sie waren Leute, die wir bewunderten, und wie wir so unseren Weg gingen, trafen wir sie alle – all die Leute, die sich gleichzeitig mit uns einen Namen machten.“ Der Rest im neuen Bildband „The Beatles – Anthology“ ist Boygroup-Talk, passend veröffentlicht zum Tag X-Mas.
Vorweihnachtszeit, Zeit der Entscheidung, und an den Kassen wird der Vogel mal wieder von John, Paul, George und Ringo abgeschossen: 20 Millionen Exemplare des Druckausgabe von „The Beatles – Anthology“ liegen in den Buchhandlungen, das verspricht, rechnet der deutsche Rolling Stone vor, einen Umsatz von 2,5 Millionen Dollar. Dagegen können auch N’Sync und andere Reißbrett-Boygroups nicht anstinken.
„I’m talking about boys – yeah, yeah – boys“, wie es die Beatles selbst in einem ihrer ersten Hits, ihrer Coverversion einer alten Shirelles-Nummer, kokett in die Welt posaunten: Liverpools Fab Four waren, sind und bleiben, das zeigen die 368 großformatigen „Anthology“-Seiten mit ihren 1.300 Abbildungen und O-Tönen, O-Tönen, O-Tönen überdeutlich, der Blueprint für die Boygroup wie wir sie heute kennen. Und weil das so ist, können sie mit ein und derselben Geschichte nach der dreiteiligen Doppel-CD-Ausgabe und dem sechsteiligen Videopaket nun bereits zum dritten Mal absahnen wie niemand sonst: mit der Geschichte von den vier Fabelwesen, die auszogen, nicht nur Mick Jagger („the four-headed monster“) das Fürchten zu lehren. Und der Welt mit Hilfe ihres Managers Brian Epstein und ihres musikalischen Direktors George Martin den Pilzkopf gaben, Stiefelettchen und Janker, den Beat.
„Ich erinnere mich, dass wir eines Tages ins Schwimmbad gingen“, so George über seinen ersten Pilzkopf in Hamburg: „Und mein Haar hing runter vom Wasser, und sie (Astrid Kirchherr, der der Schnitt später zugeschrieben wurde, und Klaus Voorman, Bassist und Freund) sagten, nein, lass es, es ist gut.“ Weiter mit den Klamotten: „Brian Epstein hatte einen Obere-Mittelklasse-Hintergrund und wollte, dass wir den Radio-, Fernseh- und Plattenfirmenproduzenten gefielen. Wir warfen uns für ein bisschen mehr Geld und Gigs nur zu gern in Anzüge“ (wieder George). Und so vollendeten sie das Werk, das Elvis und sein „Colonel“ Tom Parker in den USA begonnen hatten: die Urbarmachung des Rock ’n’ Roll für die ganze Familie.
Welches Mädchen könnte dem jungen Paul im Ruderboot wiederstehen, wie er im Schneidersitz, die Paddel im Schoß, versonnen unter seiner Tolle hervorlugt? Welche Mutter dem halbwüchsigen George in Hemd und Pullover, mit der Akustischen in der Hand? Und welcher Junge John, der selbst wenn er sich bloß einen Kaffee eingoss noch aussah, als könne er sich keinen anderen Lebenszweck vorstellen, als die Welt bei den Hörnern zu packen, sie aufs Kreuz zu legen und auf ihr herumzuspringen, bis sie alle fab Viere in Demut von sich strecke?
Ein Siegeszug, der allerdings vor allem auf musikalischem Talent fusste. Paul McCartney erinnert sich an den Moment ihrer Emanzipation: „Mitch Murray schrieb Songs. Er hatte ‚How do you do it? How do you do what you do to me?‘ geschrieben. Wir hörten uns das Demo an und sagten, ‚Es ist ein Hit, George (Martin, Produzent), aber wir haben einen eigenen Song, ‚Love me do‘. George sagte ‚Ich glaube nicht, dass eures ein so großer Hit ist.‘ Wir sagten, ‚Ja, aber es ist WIR, und es ist, worum es bei uns geht. Wir versuchen, Blues zu sein und nicht ‚La di da di da‘“.
Dagegen muss auch der bloße Augenschein der „Anthology“ verblassen: Zwar gibt es im Wust der wüst in- und übereinandergeschachtelten Abbildungen Unmengen kleiner Sehenswürdigkeiten zu entdecken, aber Ikonen wie James Dean im Regenmantel auf den Straßen New Yorks oder Marilyns zahlreiche Schlafzimmerblickporträts sind nicht darunter. Dafür viel Geplapper: „Anthology“ ist vermutlich das größte Belanglosigkeiten-Brikett aller Zeiten – was wiederum ein weiterer Beweis für die Einzigartigkeit der Beatles ist.
Ihren Niedergang bekamen sie im selben Tempo hin, mit der sie es geschafft hatten, „populärer als Jesus“ zu werden – einer der wenigen Lennon-Sprüche, der wohl bleiben wird. Am Ende gingen sie den Weg, den später auch die Königinnen nahmen: 1970 war Schluss für die Beatles.
CHRISTIAN BECK
„The Beatles Anthology“: Chronicle Books, San Francisco/Cassell, London, 368 S., ca. 150 DM. Deutsche Ausgabe: Ullstein Berlin, 368 S., 128 DM.
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