: Das Mekka der Bibliophilen
Erstmals seit Jahrzehnten wird jetzt mit der Liber Berlin in der Stadt wieder eine internationale Antiquariatsmesse veranstaltet
Alte Bücher landen entweder in der Papiermühle, bei nahen oder fernen Verwandten des Dahingeschiedenen, in der Apfelsinenkiste auf einem Flohmarkt oder im Ramsch beim Antiquar um die Ecke.
Halt, ein „oder“ fehlt, ein allerdings ganz seltenes. Besonders rare, vielleicht sogar noch ältere Exemplare, die zusätzlich nicht zerfleddert, von bösen Kindern bekritzelt oder von gedankenlosen Erwachsenen mit Eselsohren verziert wurden, kommen in die Vitrine mit den gläsernen Fensterchen eines besseren Buchhändlers. Ganz Seltenes darf auf eine ehrwürdige Antiquariatsmesse mitreisen, auf der die Händler von New York bis Genf ihre Schätze anbieten.
In Berlin sind solche Messen freilich bisher eher selten: Es gab sie in den letzten Jahrzehnten nämlich gar nicht. Seit gestern Abend und bis zum Sonntag können Bibliophile und solche, die es werden wollen, aber in Berlin mit der Liber Berlin 2000 in der Fasanenstraße eine Antiquariatsmesse ansteuern.
Hier wird der Versuch unternommen, besonders Seltenes – also auch Teures – feilzubieten, eine Sache, von der man zu Mauerzeiten angesichts der fehlenden Kaufkraft der armen Stadt abgesehen hat.
Es ist schon ganz praktisch, wenn man heute und morgen Millionär ist: Da lässt sich beispielsweise die Abschrift Hartmann Schedels Familienchronik für 580.000 Mark erstehen. Oder wie wäre es mit Schedels berühmter Weltchronik in einer Auflage von 1493 für 120.000 Mark?
Andererseits muss man kein Millionär sein: Ein paar Hunderter genügen auch schon, um Merkwürdigkeiten oder Bemerkenswertes zu erstehen: Die Verse des Anarchisten Erich Mühsam in „Alarm“ werden beispielsweise für 750 Mark angeboten – zu Lebzeiten wäre der Mann wohl glücklicher über den Verkauf gewesen als heute der Antiquar.
Kurt Hillers „Paragraph 175“ aus dem Jahre 1922 kostet „nur“ 350 Mark. Mit „Jedermann sein eigener Fußball“ sorgten die Dadaisten 1919 für einen Skandal, weil sich einige Herrschaften beleidigt fühlten, das Werk kostet denn auch gleich 8.500 Mark. Wem auch die Hunderter in der Brieftasche fehlen, der kann sich immer noch von alten Schwarten und wertvollen Handschriften faszinieren lassen, die es so hautnah und in diesen Mengen sonst nicht zu besichtigen gibt: Der Eintritt von 8 Mark entspricht dem Preis eines besonders schmalen Taschenbuchs. KLAUS HILLENBRAND
Liber Berlin, in der Fasanenstr. 85, geöffnet heute von 11 bis 19 und morgen von 11 bis 18 Uhr
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