nebensachen aus moskau: Die Duma sorgt sich um die Demokratie
Wahlbeobachter in die USA!
Wo wäre die Zivilisation ohne die atmosphärische Intelligenz und sittliche Sensibilität so manch eines russischen Dumaabgeordneten? Als Erste haben Russlands Volksvertreter erkannt, welche latente Gefahr die universale Zivilisation inzwischen bedroht. Amerikas Demokratie steht auf dem Spiel, warnt eine Gruppe russischer Parlamentarier. In einem Resolutionsentwurf zum Thema „Verteidigung der amerikanischen Demokratie und internationale Beobachter bei den Präsidentschaftswahlen“ bringt die suprafraktionelle Parlamentariergruppe „tiefste Besorgnis“ über den Zustand der Demokratie und „mögliche Wahlfälschungen“ in den USA zum Ausdruck. Selbstlos tragen sie dem US-Kongress am Wahltag ihre Dienste als unparteiische Beobachter an.
Das ist neu: Statt der multipolaren Weltordnung nachzuträumen, finden sich die Parlamentarier mittlerweile nicht nur mit der US-amerikanischen Dominanz ab. Sie sind sogar bereit, Pflichten als Bürger einer globalen Demokratie zu übernehmen: „Angesichts der wachsenden amerikanischen Einflussnahme auf die Weltgesellschaft“, schlussfolgert das Dokument, seien die „Präsidentschaftswahlen alles andere als eine ausschließlich innenpolitische Angelegenheit der USA“. Dementsprechend werden die Vereinten Nationen, die OSZE und die Organisation afrikanischer Einheit aufgefordert, gemeinsame Initiativen einzuleiten, um einen fairen Ablauf der Wahlen zu garantieren.
Höchstgradig beunruhigt sind die Advokaten der Weltgesellschaft über das elektorale Prozedere in Texas und Kalifornien. Dort sei mithin erhöhte Wachsamkeit geboten: wie auch in „anderen Gebieten, die sich die USA gewaltsam einverleibt haben und wo nach Autonomie strebende Kräfte unter Druck gesetzt und deren verbriefte demokratische Rechte verletzt werden“.
„Der freie Handel mit Wählerstimmen via Internet in den USA,“ von den Volksvertretern laut beklagt, verrät unterdessen: Trotz guten Willens konnten sie den Antiamerikanismus nicht ganz ablegen. Dessen Surrogat, die Ablehnung der der Verwertungslogik des Kapitals unterworfenen Geschäftswelt und Ängste vor deren Rationalität – als höchster Stufe seelenloser Abstraktion –, rufen Verunsicherung und Unbehagen hervor. Ein Übergangsphänomen, gleichwohl.
Vor dem Hintergrund der finanziellen Engpässe in Russland sind die materiellen Opfer, die man zur Stärkung der Demokratie leisten will, bemerkenswert. Präsident Putin baten sie, einen Fonds zum „Schutz unabhängiger Medien und nichtstaatlicher Organisationen der USA“ großzügig zu unterstützen und das „Grundrecht auf alternative Informationsquellen“ dort durch den Aufbau eines russischen Senders namens „Stimme Russlands“ zu ermöglichen und zu gewährleisten. Der Haushalt für 2001 erfordert daher dringend einen Nachtrag.
KLAUS-HELGE DONATH
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