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Hurra, es ist ein Gayby!

„We are family“ – der einstige Schlachtruf der Aidshilfe beschreibt eine neue Realität: In Berlin haben Lesben und Schwule ihre Lebensplanung längst selbst in die Hand genommen – gegen alle Vorurteile

von NICOLE MASCHLER

Früher betreute Susan Darrant Messen und Kongresse. Nun organisiert die gebürtige Engländerin das Kinderkriegen kreuz und quer durch die hauptstädtischen Paarungsmodelle. „Queer and kids“ heißt die Friedrichshainer Agentur, die sie gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Melanie Klein gegründet hat: Vermittlung und Beratung für Lesben und Schwule mit Kinderwunsch. Seit dem Start im März 1999 haben sich nach Angaben der Agenturbetreiberinnen rund 550 Zeugungswillige gemeldet, um den fehlenden Geschlechtspart vermittelt zu bekommen. Wichtigstes Kriterium: Das andere Elternteil sollte möglichst homosexuell sein.

Ihre Geschäftsidee gebaren die bekennenden Lesben aus der Not heraus. „Wir wollen selbst ein Kind“, erzählt Klein, eine große, dunkelhaarige Mittzwanzigerin. Doch ebenso undenkbar ist es für beide, deshalb mit einem Mann zu schlafen. Auch Institute wie in den Niederlanden, die anonymes Spendersperma vermitteln, lehnen sie ab. Wie also einen Schwulen finden, der Papa werden will und die eigenen Vorstellungen von Lebensplanung und Erziehung teilt?

Mehr als andere sind Lesben und Schwule auf Eigeninitiative und rechtliche Winkelzüge angewiesen, um eine eigene Familie gründen zu können. Zwar ist die rot-grüne Bundesregierung angetreten, der Diskriminierung ein Ende zu bereiten. Aber gerade wenn es um Kinder geht, nimmt sich der am Freitag im Bundesrat behandelte Gesetzentwurf zur eingetragenen Partnerschaft bescheiden aus. Mehr als ein kleines Sorgerecht, das die Dinge des alltäglichen Lebens regelt, ließ sich gegen Widerstände auch in den eigenen Reihen nicht durchsetzen.

Dabei ist es an der Zeit, das alte Familienstammbuch um neue Seiten zu ergänzen. „We are family“ – einst wollte die Aidshilfe mit diesem Schlachtruf vor allem lesbische Frauen für den Kampf gegen die tödliche Immunschwäche gewinnen. Familie bedeutete so viel wie „Community“. Heute beschreibt der Begriff eine neue Realität: 20.000 lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Eltern gibt es in Berlin, schätzt Lela Lähnemann von der Berliner Senatsjugendverwaltung. Meist stammt der Nachwuchs aus heterosexuellen Beziehungen. Doch immer mehr Lesben und Schwule entscheiden sich bewusst für ein Kind, durch künstliche Befruchtung, Pflege oder Adoption. 40 Prozent der Lesben und jeder dritte Schwule wünschen sich laut Umfragen Kinder mit ihren Partnern. In der Hauptstadt haben sie ihre Lebensplanung selbst in die Hand genommen.

Da der Gesetzgeber die künstliche Befruchtung streng reglementiert hat, geschieht bei „Queer and kids“ das meiste in Heimarbeit. Am Bürotisch wird der Deal vorbereitet. Via Fragebogen müssen die Bewerber sich zunächst selbst vorstellen: Angaben zur Person, Wertvorstellungen, Zukunftspläne. Äußerlichkeiten wie Größe, Haar- oder Augenfarbe sind Nebensache. Dafür müssen die Kunden ankreuzen, wie sie sich die familiäre Beziehung zu den Wunschmüttern oder -vätern vorstellen und ob sie sich an der Erziehung des Sprösslings beteiligen wollen. Besondere Menschenkenntnis braucht es für den Vermittlungsjob nicht, glaubt Melanie Klein. Ein Abgleich der Daten, fertig. Nur wenn die Profile zusammenpassen, betont sie, werden Vorname und Telefonnummer des potenziellen Zeugungspartners herausgegeben. Am Ende bleibt es dem Kunden überlassen, was er mit den Adressen anfängt. „Unsere Arbeit ist damit abgeschlossen.“

„Queer and kids“ sei eine Partneragentur wie jede andere auch. „Nur dass sich hier nicht Menschen finden, um sich zu lieben, sondern um Kinder zu kriegen.“ Meist sind es homosexuelle Paare, die mit einem anderen Pärchen Kinder haben möchten. Aber auch eine heterosexuelle Frau mit Sohn hat sich gemeldet. Sie will das Kind eines Schwulen austragen und dann gemeinsam mit ihm aufziehen. Für die Aufnahme in die Kundenkartei zahlen Frauen 390 Mark, Männer 100. Jeder vermittelte Kontakt kostet noch einmal extra. Doch finanzielle Interessen, betont Klein, haben weder Kunden noch Agentur. Für ihr Geld kommen die Klienten in den Genuss eines Rundumpakets: Medizinische Ratschläge zur Insemination, Hinweise zu rechtlichen Fallstricken, Adressen von Anwälten und Ärzten. Denn auch wenn ein passendes Elternteil ausgeguckt ist – der Weg zum gemeinsamen „Gayby“ ist noch weit. Tests auf HIV oder Hepatitis C sind nötig und ein vom Anwalt abgesegneter Vertrag, der den ungewöhnlichen Bund fürs Leben besiegelt.

„Je mehr Frauen sich wegen einer künstlichen Befruchtung melden, desto deutlicher werden die rechtlichen Lücken“, bedauert auch Cornelia Burgert vom Feministischen Frauen-Gesundheitszentrum. Burgert und ihre Kolleginnen vermitteln Anschriften von holländischen Spezialkliniken und geben praktische Handreichungen: Wie funktioniert das mit der Plastikspritze genau? Was muss ich in Sachen Eisprung beachten? Denn auch wenn die Befruchtung im Do-it-yourself-Verfahren eigentlich verboten ist – ins heimische Schlafzimmer schaut ja keiner.

Die Frustration ist groß, berichtet Burgert. Denn für das Thema mache sich kaum jemand stark. „Diejenigen, die im Lesben- und Schwulenverband politisch aktiv sind, haben keine Kinder. Und wer Kinder hat, ist damit beschäftigt, den Alltag zu bewältigen.“ Die Kinder leiden, so das zählebige Vorurteil, wenn sich die Erwachsenen beim partnerschaftlichen Patchworken ein ungehöriges Maß an Kreativität gönnen. Dem schwulen Vater wird Promiskuität, der lesbischen Mutter Männerhass unterstellt – als positives Vorbild taugen demnach beide nicht. Dabei belegen wissenschaftliche Studien, dass ihr Nachwuchs sich nicht anders entwickelt als der heterosexueller Eltern. Im Gegenteil. Die meisten wachsen mit großem Verständnis für alternative Lebensweisen auf.

Seit vier Jahren ist Ivo Stephan Vater. Seine beiden Söhne bekam er innerhalb von sechs Monaten – übers Jugendamt. Rund 30 lesbisch-schwule Familien mit Pflegekindern gibt es in Berlin, die größte Zahl in Deutschland überhaupt. Im Gesprächskreis schwuler Pflegeväter der Berliner Schwulenberatung, den Stephan leitet, geht es um die großen und kleinen Probleme des Alltags. „Die Zwangsverbrüderung“, erinnert sich Stephan, „kostete viel Kraft.“ Nicht nur die Kinder.

Inzwischen, vier Jahre später, trifft er sich mit den Mitarbeitern lediglich einmal im Jahr zur „Hilfekonferenz“. Dort muss er über die kindliche Entwicklung in den vergangenen zwölf Monaten Bericht erstatten. Gemeinsam legen sie die „Ziele“ für das kommende Jahr fest. Doch überprüft wird das nicht. „Die Jugendämter suchen händeringend nach Leuten.“ Schwule und Lesben, glaubt der gewordene Vater, sind sehr stabile Persönlichkeiten. „Wer sich als Homosexueller entscheidet, ein Kind aufzunehmen, hat sich das sehr gut überlegt.“ Eine Erfahrung, sagt er, die leibliche Eltern nicht gemacht haben.

Ivo Stephan hat sich bewusst für seine beiden Söhne entschieden. Klaus-Peter Büchner hatte bei seinem Coming-out bereits zwei Kinder. Seit drei Jahren lebt er alleine mit der elfjährigen Tochter und dem achtjährigen Sohn. Die riesige Altbauwohnung im Berliner Westen hatten sie noch als ganz normale Familie bezogen: Vater, Mutter, Kinder. Ein lang gehegter Traum. Doch die Realität sah anders aus. Bald kriselte die Beziehung. Mehr und mehr hatte Büchner das Gefühl, dass etwas fehlt. Nach quälenden Monaten der Schlussstrich: Es geht nicht mehr. Sich offen fürs Schwulsein zu entscheiden, ist für Familienväter nach wie vor ein konfliktreicher Prozess. Doch für Klaus-Peter Büchner und seine Frau stand bald fest, dass die Kinder beim Vater besser aufgehoben sind – in der vertrauten Umgebung, mit den alten Schulkameraden und Freunden.

Zur Mutter haben die beiden auch weiterhin Kontakt. Erst am Nachmittag hat sie angerufen, wollte nach einem Streit den Kleinen sprechen. Der Achtjährige, gerade erst vom Spielen zurück, murrt. Doch Büchner bleibt hart: „Ich habe versprochen, dass du zurückrufst.“ Die Kinder homosexueller Eltern, glaubt er, lernen ein hohes Maß an Verantwortung, Toleranz und Menschenkenntnis. Nicht zuletzt, weil sie früh mit Anfeindungen konfrontiert sind, von Gleichaltrigen und Erwachsenen.

Der Junge knallt den Hörer auf und rennt aus dem Raum. Das Chaos im Flur lässt sich nur im Zickzacklauf umschiffen. Gerade hat Büchner mit den Kindern die Tapete heruntergerissen. Dahinter haben sie alte Zeitungen gefunden, die jahrzehntelang als Wandisolierung dienten. Vor zwanzig Jahren, glaubt Büchner, hätte noch keiner über das Thema Homosexualität und Familie zu sprechen gewagt. „Die Gesellschaft braucht einfach Zeit.“ Das Problem sei, dass sich lesbisch-schwule Eltern im rechtsfreien Raum bewegten. Wenn er sich vom gleichgeschlechtlichen Partner trennen würde, müsste dieser beispielsweise keinen Unterhalt zahlen. „Was nicht rechtsverbindlich geregelt ist, gilt vielen unbewusst als Unrecht.“ Deshalb hat Büchner im April zusammen mit sieben anderen den Verein „Love makes a family“ gegründet.

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