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Der Nazi-Bestseller

Elektronische Bücher eröffnen ganz neue Möglichkeiten. Vom Marketing für gedruckte Bestseller bis zur Veröffentlichung umstrittener Biografien weißer Rassisten. Und Bertelsmann verdient mit

„Klare Vorstellung des weißen Nationalismus und dessen Kritik an der Gesellschaft “

von STEFFEN GRIMBERG

Seit einer Woche gibt es den neuen Roman von Ken Follet. Wer „Code to Zero“ allerdings in einer Buchhandlung sucht, ist nicht auf der Höhe der Zeit: Gedruckt kommt das Buch erst am kommenden Montag auf den US-amerikanischen Markt. Vorab ist der bizarre Thriller aus dem Kalten Krieg bei Gemstar eBook zu haben: per Download aus dem Internet.

Bizarr auf ganz andere Weise kommt ein weiterer elektronischer Bestseller daher: Seit über drei Wochen rangiert eine äußerst wohlwollende Biografie des Hitler-Bewunderers William Pierce an der Spitze der E-Book-Liste von MightyWords.com. Für acht Dollar kann sich jedermann weltweit 420 Seiten über den Mann auf die eigene Festplatte laden, dessen Roman „The Turner Diaries“ den Oklahoma-Bomber Timothy McVeigh „höchstwahrscheinlich zum Anschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City 1995 inspirierte“, wie es dazu werbend auf der MightyWords.com-Website heißt.

Hinter dem Online-Verlag stehen dabei keinesfalls obskur-rechte Dunkelmänner, sondern – über ein gemeinsames Tochterunternehmen – niemand anderes als der US-Buchhandelsmarktführer Barns & Noble – und Deutschlands Medienkonzern Nummer eins, Bertelsmann.

Beide sind mit jeweils 40 Prozent am Internet-Buchversand Barnes&Noble.com beteiligt, der auf den Erfolg der E-Books setzt und daher im Sommer rund 20 Millionen Dollar in MightyWords investierte.

Dort gibt man sich wortkarg: Für den Inhalt der „mächtigen Worte“ sei man nicht verantwortlich, schließlich halte man nur eine Beteiligung. MightyWord selbst verweist auf den Ersten Verfassungszusatz, der in den USA grundsätzliche Meinungsfreiheit garantiert, und darauf, dass das Buch des Vermonter Universitätsprofessors Robert Griffin über Pierce doch immerhin „einigermaßen differenziert“ sei.

Pierce, ein ehemaliger Physikprofessor, ist der intellektuelle Kopf der „National Alliance“, nach Angaben der US-Anti-Defamation-League die „gefährlichste hate group Amerikas“. Griffin porträtiert den Nazi-Bewunderer („Hitler sah die Dinge so ziemlich genau wie ich“) nach Angaben der Village Voice aber keinesfalls so differenziert, wie der Online-Verlag behauptet. Vielmehr werde Pierce als ein „kluger Kopf dargestellt, der durch umfangreiches Literaturstudium zu dem Schluss gekommen ist, dass die Juden die natürlichen Feinde“ der Menschheit und „Farbige uneingeschränkt dumm“ seien. Griffin lasse pseudowissenschaftliche rassistische Ausfälle von Pierce unwidersprochen und unkommentiert stehen. Gegenüber der Village Voice hatte der Wissenschaftler betont, das Urteil den LeserInnen überlassen zu wollen.

Die meisten, das belegen die Online-Rezensionen auf der MightyWords-Website, stehen Pierce’ Ideen positiv gegenüber: „Die liberalen Medien“, schreibt da ein Leser, hätten Pierce immer als Verrückten dargestellt: „Diese Studie zeigt, dass Pierce tatsächlich ein vernünftiger Mann ist, dem es ernsthaft um Amerikas genetische Zukunft geht.“

MightyWords betont, dass das Buch mit dem klangvollen Titel „The Fame of a Dead Man’s Dead“ keinesfalls besonders beworben werde. Allerdings führt die angebliche Bestseller-Position – eine Anzahl der verkauften Downloads ist anders als bei den meisten anderen Online-Buchhändlern nicht angegeben – zu einer prominenten Plazierung auf der Website, und das Buch wird ausdrücklich empfohlen: Ein „We recommend“-Logo findet sich neben dem vollständigen Eintrag, und in der vom Verlag verantworteten Zusammenfassung steht als Fazit: „Leser des Buches werden eine klare Vorstellung des weißen Nationalismus (...) und dessen Kritik an der amerikanischen Gesellschaft erhalten.“

Zwar könnte das jüngste Urteil eines französischen Gerichts, dass dem Online-Dienst Yahoo auferlegt, bestimmte Auktions-Websites für Nazi-Andenken für französische Nutzer zu sperren, langfristig auch hier Handlungsspielräume eröffnen.

Bisher gilt allerdings, dass für derartige „deutsche Empfindlichkeiten“, so zitierte die Netzeitung den Pressesprecher des ebenfalls zu Bertelsmann gehörenden US-Großverlags Random House zur Debatte über das Pierce-Buch, in den USA eben das Verständnis fehle.

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