: Ein Raum für wandelnde Farbstriche
Die Geburt der Moderne aus dem Geist der holländischen Kachel: Nach dem Umbau eröffnet die Münchner Villa Stuck mit einer Retrospektive des De-Stijl-Künstlers und Architekten Theo van Doesburg. Seine Idee der absoluten Neutralität spiegelt sich auch in der Neugestaltung des Hauses wider
von IRA MAZZONI
Man möchte meinen, München habe genügend Ausstellungshäuser für internationale Kunst. Nun kommt die altbekannte, aber neu ausstaffierte Villa Stuck hinzu, genauer: der aufwendig sanierte und modernisierte Ateliertrakt, den der Malerfürst Franz von Stuck 1914 seiner Residenz anfügte. Die Künstlervilla selbst, ein düsteres, symbolistisches und klassizistisches Gesamtkunstwerk, hat derzeit ihre medusengeschmückte Bronzepforte geschlossen, um mit denkmalpflegerischer Sorgfalt instand gesetzt zu werden.
Der Münchner Architekt Uwe Kiessler hat derweil den Ateliertrakt kräftig entrümpelt. Die schweren Holztore der Hofdurchfahrt mussten gläsernen Portalen weichen. Gartenseitig öffnet sich die Torhalle jetzt zu einem Wintergarten. Das so neu gewonnene lichtdurchflutete Foyer glänzt mit schneeweißen Marmorböden. Die alte Dienstbotentreppe wurde entfernt, um einem Aufzug Platz zu machen, der für manchen Rollstuhlfahrer jedoch zu eng sein dürfte.
Die neuen Ausstellungsräume haben Weite. Abgerissen die niedrige Zwischendecke im Erdgeschoss, verschwunden die schmale Galerie im oberen Kuppelsaal. Keine Spur mehr von muffigem Nadelfilz und fleckigem Sisal. Stattdessen sind zwei wohlproportionierte Säle mit edlen Parkettböden und optimalen Raumhöhen von fünf und sieben Metern entstanden. Elegant wendelt sich eine Ateliertreppe vom Erdgeschoss über eine seitliche Empore zum Kuppelsaal empor. Der teure Clou dieser Freitreppe sind ihre gläsernen Wangen. Damit ist sie Blickfang des puren Raums und doch fast unsichtbar.
Im Kuppelsaal sorgt ein quadratische Lichtdecke für weiche Highlights. Doch wenn empfindliche Kunstschätze ausgestellt werden, muss dämmriges Dunkel herrschen. Die weißen Rollos vor den Fenstern sind so dicht, dass sich an den kalten Fensterscheiben dahinter Schwitzwasser bildet, während die neue Klimaanlage hörbar auf Hochtouren läuft.
Programmatisch eröffnet das Museum Villa Stuck mit einer Retrospektive zu Theo van Doesburg. Programmatisch, weil der Holländer wie Franz von Stuck sich dem Gesamtkunstwerk verpflichtet hatte. Doch während Stuck sein Leben verkunstete, wollte Doesburg Kunst im öffentlichen Leben aufgehen lassen. War Stucks Haltung antimodern, so gerierte sich Doesburg provozierend revolutionär. Selbst die Meister des Weimarer Bauhaus beschimpfte er als „wirre, romantische Sentimentalisten“.
Die Doesburg-Ausstellung ist die erste Werkschau des De-Stijl-Mitbegründers in Deutschland nach jener historischen monographischen Ausstellung 1923/24 in Weimar und Hannover. Damals hatte Doesburg das Bauhaus heftig aufgemischt, sodass die erhoffte Berufung zum Meister ausblieb. Die Präsentation von 86 seiner Werke, nur wenige Monate nach der legendären Bauhausausstellung, war Abrechnung und Abschied zugleich. Bis heute ist dem deutschen Kunstpublikum weder der Name noch die korrekte Aussprache – Du:sbürch – geläufig. Dem Münchner scheint die holländische Moderne gar entlegen und fremd: Bisher haben nur wenige Interessierte den Weg ins neue Stuck-Atelier gefunden.
Dabei gäbe es viel zu entdecken. Doesburg war eine streitbare, ruhelose Person: Kunstkritiker und Theoretiker, Maler, Möbelbauer und Architekt. Unter dem Pseudonym I. K Bonset veröffentlichte er Dada-Gedichte, als Aldo Camini „antiphilosophische“ Texte. Auf der Suche nach dem Neuen ließ sich der Künstler schnell von anderen inspirieren: 1915 hieß sein „Messias“ Kandinsky, der übrigens ein Schüler Franz von Stucks war.
Ein Jahr später lernte Doesburg Mondrian kennen und verließ das Lager der „Intuitiven“, um sich den „Bewussten“ anzuschließen. Ab sofort dekonstruierte er naturalistische Skizzen und brachte sie in geometrische Ordnung. Aus einem tanzenden Paar entwickelte er 1919 das Grisaille „Ragtime“ genauso wie kurz zuvor Kompositionen zu bunten Glasfenstern. Seine ersten Architekturbeiträge beschränkten sich auf ornamentale Ergänzungen. Zusammen mit dem Architekten J. J. P. Oud hoffte er eine ästhetische Einheit vom Briefpapier bis zum Haus zu schaffen. Das Portal der Villa „De Vonck“ in Noordwijkerhout schmückte Doesburg mit einem abstrakten Mosaik aus farbig glasierten Backsteinen. Das Entree erhielt einen Kachelboden aus schwarzweiß mäandernden Riemchen auf gelben Grund. Selbst den Schriftzug der 1917 gegründeten Zeitschrift De Stijl setzte er aus Riemchen zusammen. So leitete Doesburg die Moderne aus der Form des in Holland allgegenwärtigen Backsteins und der Fliesen ab.
Erst unter dem Einfluss von Malewitsch predigte Doesburg dann die „Religion des Quadrats“ und pries die „Form des Formlosen“, die das Universale auf den Punkt bringe. In diesem Sinne versuchte der eloquente Künstler auch das Bauhaus zu missionieren. Als seine Bemühungen um eine Berufung scheiterten, zog er die bittere Bauhaus-Bilanz „Von außen Quadrat – von innen Biedermeier“. Seine Bilder aus der Zeit zeichnen sich durch eine schwebende Ruhe aus. Das Quadrat rückt den Schwerpunkt der Bilder an ihren Rand. Die Primärfarben spielen zwar eine dominante Rolle, bekommen aber in spannungsreichen Mischungen dezente Valeurs. Auch hat Doesburg ein Faible für „Materialien“, seine Flächen haben Textur, Gold erzeugt eine kostbare Aura.
Und was tat sich in der Architektur? Zusammen mit dem jungen Cornelis von Eesteren entwickelte Doesburg 1923 farbige Haus-Modelle für die Galerie Rosenberg in Paris. Im Stuck-Atelier sind Rekonstruktionen der fast schwerelosen, exzentrischen Raumgebilde des „Maison Particulière“ und des „Maison d’artiste“ zu bestaunen. Aus dem Kern springen die einzelnen Räume in alle vier Himmelsrichtungen hervor. Hatte Doesburg eben noch behauptet, die Malerei sei dazu da, Architektur zu destabilisieren, so verwendete er jetzt Primärfarben sowie Schwarz, Weiß und Grau zur Akzentuierung der Raumflächen. Aber auch dieser „Stil“, der samt den begleitenden axiometrischen Zeichnungen auf das Bauhaus abfärbte, war schnell wieder verabschiedet.
Kaum eine seiner Künstlerfreundschaften hielt länger als zwei Jahre. Doesburg brauchte die ironische und dogmatische Abgrenzung. Ein Wunder, dass die Zeitschrift De Stijl all die Querelen überstand und erst nach Doesburgs Tod 1930 eingestellt wurde. Vor allem der Bruch mit Piet Mondrian 1923/24 hätte das Gemeinschaftsprojekt gefährden können. Die beiden De-Stijl-Protagonisten hatten begeistert gemeinsam in einem Atelier gearbeitet, bis Doesburg eine neue Dimension in der Malerei entdeckte: die Zeit. Dass er gleichzeitig auch noch seine Kompositionen kippte und diagonale Spannungen zum Generalthema erklärte, war nur eine Marginalie im Positionsstreit. Auch mit van Eesteren ging es nicht lange gut. Noch entwarf Doesburg eine totale, Böden, Decken und Wände überspannende Farbkomposition für die Halle der Amsterdamer Universität. Aber dem Architekten hat das antitektonische Environment wohl kaum behagt.
Alleine arbeitet Doesburg an der Steigerung seiner „elementaristischen“ „Kontra-Kompositionen“ weiter. Den Höhepunkt bildete die Ausstattung des Vergnügungspalastes „L’Aubette“ in Straßburg, den Doesburg zu einem dreidimensionalen Gemälde macht. Dadurch, dass sich die Besucher in farbigen Rautenmustern bewegten, wurden sie transitorischer Teil der Gesamtkomposition, die so eine reale zeitliche Dimension erhielt. Auch wenn man mit Blicken in das beleuchtete Raummodell schlüpft, es ist kaum vorstellbar, wie man sich als wandelnder Farbstrich in diesem synkopischen Material- und Mustermix fühlen würde. Den Straßburgern hat das Amüsement jedenfalls nicht behagt. Sie ließen die Raumfassungen entfernen.
Es dauerte nicht lange und Doesburg hatte ein neues Anti-Konzept: das neutrale Haus, das weder durch Material noch durch Komposition „verunreinigt“ wird. Der reine Raum sollte nur von einer Galerie aus betrachtet werden, Bäder sollten allen Schmutz von den Besuchern waschen, farblose Mäntel jeden Unterschied der Kleidung tilgen und Filzpantoffeln den Schall der Schritte dämmen. Zuletzt sollte sogar seine Malerei ganz „dünn“ und geistig werden. Insofern hat Kiessler einen perfekten Kunstraum für Doesburgs Werke geschaffen: eine kristallinweiße Hülle, die nicht einmal durch Erklärungen der Bilder, Zeichnungen, Modelle, Glasmalereien und Möbel verunziert wird.
„Theo van Doesburg: Maler-Architekt“, bis 14. 1. 2001, Villa Stuck, München. Der Katalog kostet 48 DM.
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