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We Don`t Know Which Way To Turn

Die Gerüchteküche in Nizza brodelt: Angeblich ist Frankreich nun bereit, Deutschland mehr Stimmen im Rat zuzugestehen. Noch immer hat Paris aber keine Vorschläge für die strittigen Fragen des Gipfels vorgelegt

NIZZA taz ■ Die französische Tageszeitung Le Monde hatte gestern getitelt: „Sechs Monate politischer Schizophrenie für Chirac und Jospin“. Am Nachmittag gab es dann das Bild zur Schlagzeile. Seite an Seite saßen die beiden in Nizza vor der Presse: über den Mauerfall schwadronierend der eine, Staatspräsident Chirac; kühl die Ziele der EU-Reform abwägend der andere, Premierminister Lionel Jospin.

Auch die Anti-Gipfel-Aktionen auf Nizzas Straßen hatten beide unterschiedlich wahrgenommen. Jospin zeigte sich einig mit dem Anliegen der 60.000 Demonstranten. „Sie wollen uns sagen, dass Europa sozialer werden muss.“ Hier werde man unter französischer Präsidentschaft Fortschritte machen – mehr könne er noch nicht verraten. Chirac dagegen verurteilte die Gewaltakte vom Donnerstag. Isolierte Individuen hätten sogar versucht, die Arbeit der Feuerwehr zu behindern.

Zur Eingewöhnung in den mindestens viertägigen und damit längsten Gipfel, den die EU je erlebt hat, standen gestern zunächst die Routinethemen auf der Tagesordnung: Eine „Europakonferenz“ aus Mitgliedsstaaten, Beitrittskandidaten, Türkei und Schweiz. Sie dauerte drei Stunden und gab damit rein rechnerisch jedem Teilnehmer die Möglichkeit, sechs Minuten lang seinen Standpunkt darzustellen. Viele bekamen da wohl eine Ahnung, wie die Gipfelroutine nach den Erweiterungsrunden aussehen könnte.

Am Nachmittag wurde die Grundrechtecharta im Beisein von Nicole Fontaine, der Präsidentin des Europaparlaments, unterzeichnet. Einige Länder, darunter Deutschland, hätten es lieber gesehen, wenn die Charta schon in Nizza Verfassungsrang erhalten hätte. Frankreich hatte den Kompromissvorschlag gemacht, einen Hinweis auf die Charta in Artikel 6 EU-Vertrag einzubauen – dieser listet die Grundwerte der Gemeinschaft auf. Der massive Widerstand einiger Länder machte dies aber unmöglich. Vor allem Großbritannien wehrt sich gegen das Konzept einer EU-Verfassung.

Bei getrennten Abendessen wollten Außenminister und Staatschefs gestern zum ersten Mal über die geplante EU-Reform sprechen. Die Präsidentschaft legte dazu einen 170 Seiten umfassenden Entwurf vor. Die heiklen Fragen, wie die Stimmen im Rat gewichtet und die Parlamentssitze verteilt werden sollen und ob auch nach der Erweiterung jedes Land einen Kommissar erhalten wird, waren jedoch in dem Papier ausgespart.

Die Pariser Delegation hatte im Lauf des Tages durchsickern lassen, sie sei vielleicht doch bereit, Deutschland, das ein Viertel mehr Einwohner hat als Frankreich, mehr Stimmen im Rat zuzugestehen. Kanzler Schröder hatte bei einem Besuch in Warschau am Mittwoch betont, er werde die Reform an dieser Frage nicht scheitern lassen.

Der für Erweiterung zuständige Kommissar Michel Barnier wollte den aktuellen französischen Entwurf gestern nicht kommentieren. Er kritisierte aber erneut den mangelnden Reformgeist der französischen Präsidentschaft. Zum ersten Mal deutlich wurde Barnier bei der Frage der „verstärkten Zusammenarbeit“; diese sieht vor, dass besonders integrationswillige Staaten enger als andere zusammenarbeiten. Hierfür müssten großzügige Möglichkeiten geschaffen werden, sonst würden sich einzelne Staaten eben bilateral außerhalb der EU organisieren. Allerdings müsse die EU-Kommission bei verstärkter Zusammenarbeit in Binnenmarktfragen ein Vetorecht erhalten. Und auch bei der so genannten „zweiten Säule“ – der Außen- und Sicherheitspolitik – solle die Kommission konsultiert werden. Sonst könne es geschehen, dass Ländergruppen gemeinsame Rüstungsprojekte planten und damit die „erste Säule“, den Binnemarkt, in Frage stellten.

DANIELA WEINGÄRTNER

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