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Revolution 9

John Lennon als Wanderurne ■ Wenn einer, der schöne Sachen gemacht hat, tot ist, bricht die Zeit der Heldengesänge an. Zu seinem 100. Todestag wurde Oscar Wilde in der taz vom grandiosen Schriftsteller zum vorbildlichen Schwulenjesus heruntergekitscht, der so vieles „für uns auf sich genommen“ habe, schnüff. Ähnlich machen sich seit 20 Jahren allerlei Schmieris an den 1980 unfreiwillig abgetretenen John Lennon heran.

Der unvermeidliche Wolfjang Niedecken murkste Lennons Universalschmonzette „Imagine“ zu einem lokalen Kitschlied um: „Stell disch führ es jütt köön Krüsch möhr“, möhrte der Mann, bis manches Autoradio den Dienst quittierte. Zu Lennons zehntem Todestag 1990 hob in der Alten Oper in Frankfurt am Main dann ein ganz gewaltiges Flennen um Lennon an: Klaus Lage sang „Ich bin das Walross“, Klaus Hoffmann machte aus „Crippled inside“ ein jauliges „Weil du iiiiinnerliiiich veeerkrüüüüüüppelt bist“, und der damals noch gern genommene Stephan Krawczyk eierte als Bandoneonquäler. Es war zum Davonlaufen. Heute, zehn Jahre später, ist alles noch viel besser. Yoko Ono, deren Hauptverdienst es ist, die Idee der Witwenverbrennung in ein erstaunlich attraktives Licht zu rücken, hat endlich ein Einsehen und entzündet Brigitte Seebacher-Brandt in der Rolle der Yoko Ono. Die Frankfurter Inszenierung besorgt Peter Stein, das Geld Hilmar Kopper. Im Gegenzug wird Rio Reiser exhumiert, auch einer, der postum das Schicksal erlitt, zu dem Nazarener Schmerzensmann der Irgendwielinken gemacht zu werden, der er nie war noch jemals sein wollte. Reiser, von Fresenhagen im Kühlbrummi nach Berlin kutschiert, singt beim Konzert in der Volksbühne unpassenderweise Lieder der Stones und zitiert aus den Werken von Karl May. Anhänger des toten Lennon brüllen ihn nieder: „Give John a second chance!“ Als die älteren Herrschaften beginnen, ihre Unterbuxen auf die Bühne zu feuern, verschwindet Rio Reiser für immer mit einer Rolle nirgendwärts. Wo er unter anderem Lennon trifft und Wilde und wo Kitschbedürftige, die sich für lebendig halten, keinen Zutritt erhalten. WIGLAF DROSTE

WIGLAF DROSTE schätzt als höchste Lennon-Flennerei den von J. Elsässer postulierten „Marxismus/Lennonismus“.

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