: „Jedes Herz eine revolutionäre Zelle“
Anders als die RAF waren die RZ in der linken Westberliner Szene überaus populär. Ihr Mythos allerdings ist längst noch nicht aufgearbeitet, wie der Prozess gegen Tarek Mousli sowie dessen Beschuldigungen jetzt zeigen
von UWE RADA
Die Meldung lief im Radio. Die „Revolutionären Zellen“ hätten einen Anschlag auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, verübt. Unbekannte hätten ihm von einem Motorrad aus zwei Mal in den linken Schenkel geschossen. Als Grund wurden Korbmachers Urteile im Asylverfahren genannt. Kurze Zeit später wurde auf den linken Demos in Westberlin skandiert: „Schüsse in die Beine – für die Richterschweine!“
Anschläge der Revolutionären Zellen (RZ) waren in den Achtzigerjahren in manchen Kreisen so populär wie später ein Sieg des FC St. Pauli gegen Bayern München oder die Finten, die der Kaufhauserpresser Dagobert der Berliner Polizei geschlagen hat. Die Freude war nicht nur klammheimlich, sondern ausdruckstark, und das RZ-Logo wurde, noch lange bevor die Webdesigner zu ihrem Siegeszug antraten, zum Markenzeichen linksradikaler Popkultur. Ob die „Feierabendterroristen“ das wollten oder nicht.
Der gängige Sound
Wahrscheinlich wollten sie, auch wenn sie das selbst nie zugegeben hätten. „Jedes Herz ist eine revolutionäre Zelle“ war der gängige Sound dieser Jahre. Und wer wollte von sich nicht behaupten, revolutionär zu sein und gleichzeitig Herz zu haben. Wer wollte nicht „Gefühl und Härte“ zeigen, und das alles im Hier und Jetzt?
Anders als in den 90er-Jahren, in denen der subkulturelle Underground zwischen Techno, Hiphop und der ethnischen Selbstdefinierung in der „Kanak Sprak“ oszillierte, hatten die Achtziger mit individuellen Selbstbehauptungsstrategien noch wenig am Hut. „We don’t want just one cake, we want the whole fucking bakery“ – „Wir wollen nicht nur ein Stück Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei“, lautete die Metapher für den unversöhnlichen Gestus der radikalen Linken, der von den „Revolutionären Zellen“ weit in die Kreuzberger und Schöneberger Wohngemeinschaften reichte.
Das „Revolutionäre“ der 80er-Jahre war die Permanenz einer tatsächlichen oder vermeintlichen „Kampfsituation“, die sich entlang der damaligen Ereignisse, vom Häuserkampf der frühen Achtziger bis hin zum IWF-Kongress in Berlin im September 1988 wie Perlen an einer Kette reihten.
Permanent im Kampf
Von all diesen Jahren war 1987 ein ganz besonderes. Mobilisiert von den Straßenschlachten und Plünderungen beim Kreuzberger „Maiaufstand“ und dem Reagan-Besuch im Juni, befanden sich vor allem die Szenegänger, Politaktivisten und Subkulturellen in Kreuzberg im Zustand der ständigen Konfrontation mit der Staatsmacht.
Gleichzeitig zeichnete sich eine Verschiebung der linksradikalen Themenschwerpunkte und Kampagnen zu Gunsten der sozialen Konflikte in den „Stadtteilen“ ab. Zu einer Kreuzberger Kiezdemonstration, die im November 1987 stattfand, versammelten sich neben der autonomen Szene auch jene Aktivisten, die bereits in der AL eine politische Heimat gefunden oder sich schon damals ins Privatleben zurückgezogen hatten.
Als im September 1987 die Meldung vom RZ-Anschlag auf Günter Korbmacher im Radio lief, knallten in nicht wenigen Wohngemeinschaften die Sektkorken. Die „Revolutionären Zellen“ waren damals ebenso Teil der Szene wie jedes Herz eben eine revolutionäre Zelle war.
Aus heutiger Sicht befremdet vieles. Warum hatte man zu Schüssen in die Beine Beifall geklatscht, wo doch die Grenze zwischen der Gewalt gegen Sachen und der Gewalt gegen Personen immer eine Rolle gespielt hatte? Und was war mit dem Anschlag auf den hessischen Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry? Ein „Versehen“, wie es in den Veröffentlichungen der RZ immer hieß, oder doch eine billigend in Kauf genommene Tötung oder sogar ein kaltblütiger Mord?
Keine Zeit für Fragen
Solche Fragen waren damals nicht en vogue. Bis zum Fall der Mauer genossen die RZ nach wie vor den Ruf der populären Guerilla, ganz im Gegensatz zur RAF und auch zur damals schon nicht mehr aktiven Bewegung 2. Juni.
Als im Wintersemester 1988 zahlreiche Universitätsinstitute in Berlin besetzt wurden und einer der längsten Studentenstreiks zu dieser Zeit begann, war das Otto-Suhr-Institut in Dahlem schnell in Ingrid-Strobl-Institut umbenannt. Ingrid Strobl, langjährige Redakteurin der Frauenzeitschrifft Emma, befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Monaten in Haft und wartete auf ihren Prozess wegen angeblicher Mitgliedschaft bei der „Roten Zora“. Später wurde sie zu fünf Jahren Haft verurteilt – der Kauf eines bei einem Anschlag der Roten Zora gegen die Lufthansa benutzten Weckers hatte dem Oberlandesgericht Düsseldorf als Indiz zum Schuldspruch genügt.
Beifall für die Rote Zora
Im linken universitären Milieu war Strobl schnell zur Identifikationsfigur, zur „revolutionären Heldin“ geworden. Ihre journalistischen Arbeiten zur Bevölkerungspolitik, zu den Täterprofilen im Faschismus, zu Frauenhandel und Sextourismus fanden damals ein breites Publikum. „Wenn das eine Terroristin ist, dann sitzen wir alle auf der Anklagebank“, hieß es damals auch bei Professoren.
Entsprechend groß war die Solidarisierung. Und entsprechend gering die Distanz zu tatsächlich von den Revolutionären Zellen und der Roten Zora verübten Anschlägen. Das betrifft vor allem die Brandanschläge auf die Bekleidungsfirma Adler. Nach einem Streik der Adler-Mitarbeiterinnen in Südkorea hatte die Firma zunächst alle Mitarbeiterinnen entlassen. Nach einer von Frauengruppen organisierten Kampagne gegen Adler und den Anschlägen der Roten Zora waren zumindest Teilerfolge in diesem Arbeitskampf erzielt worden. Erfolge konnten zuvor auch die „Revolutionären Viren“, die selbst ernannte „Jugendorganisation“ der RZ, verbuchen. Sie zerstörten 1987 bei einem Brandanschlag zahlreiche Akten bei der zentralen Sozialhilfestelle für Asylbewerber in Berlin. Zeitweilig war es dadurch zu einem ungeplanten Abschiebestopp durch die Berliner Ausländerbehörde gekommen.
Eine erste Entfremdung
Das war der Stoff, aus dem der Mythos RZ gemacht war, ein Mythos, der erst nach dem Fall der Mauer zu bröckeln begann.
Ende April 1990 fackelte eine Gruppe der Revolutionären Zellen am Berliner Wittenbergplatz das Möbelgeschäft „Wohnen 2001“ ab. In einem Bekennerschreiben hieß es, dass es nach dem nationalen Taumel zu einer beabsichtigten Zerstörung des sozialen Milieus in Kreuzberg komme. Das Möbelgeschäft sei ausgewählt worden, weil es zahlungskräftige Kunden in Berlin halten und nach Berlin locken solle.
Der Anschlag auf „Wohnen 2001“ war eine der ersten RZ-Aktionen, die in der Berliner Szene weit gehend auf Ablehnung gestoßen waren, und dies nicht nur, weil „Schöner Wohnen“ längst auch bei den Politaktivisten in Kreuzberg zum selbstverständlichen Standard gehörte. Es war vor allem das ungebrochene Freund-Feind-Denken, das nach dem Fall der Mauer befremdend anmutete. Hatte nicht gerade die DDR gezeigt, dass der Zweck die Mittel gerade nicht heiligte, dass es mehr Widersprüche als die zwischen Kapital und Arbeit, Metropole und Dritter Welt, Frauen und Männern gibt? Und: Trug nicht jeder, auch die selbst ernannten Protagonisten der sozialen Revolution, diese Widersprüche in sich? War nicht auch jedes revolutionäre Herz zugleich eine bürgerliche Zelle?
Gerd Albartus ist tot
Es ist vielleicht eine der Ironien linker Geschichte, dass weniger die linksradikale Szene sich diesen Fragen stellte als vielmehr die Revolutionären Zellen selbst. Eine Gruppe aus den RZ veröffentlichte im Dezember 1991 ein mehrseitiges Papier mit dem schlichten Titel „Gerd Albartus ist tot“. Sie schildert darin nicht nur die Ermordung des RZ-Mitglieds Albartus durch militante Palästinenser, sondern auch die Zäsur, die die Entführung eines Flugszeugs im äthiopischen Entebbe für die RZ bedeutet hätte.
1976 hatte ein Kommando einen Airbus der Air France in seine Gewalt gebracht und die Freilassung von 50 Gefangenen gefordert. Nachdem die übrigen Passagiere freigelassen wurden, nahm das Kommando 100 israelische Passagiere als Geiseln. Am 4. Juli 1976 wurden die Flugzeugentführer, zu denen auch die RZ-Mitglieder Brigitte Kuhlmann und Wilfried Böse gehörten, erschossen.
Der Mythos bröckelt
Erst hinterher, so die späte Selbstkritik, habe man überhaupt die Dimension dieser Aktion, die Aussonderung von jüdischen und nicht jüdischen Passagieren begriffen. Doch erst der Mord an Albartus hatte dazu geführt, die Selbstkritik öffentlich zu machen.
Auch das RZ-Mitglied Tarek Mousli, gegen den derzeit in Berlin verhandelt wird und wegen dessen Aussagen vier andere Personen der Mitgliedschaft bei den RZ beschuldigt werden, ist nach eigenen Angaben nach Bekanntwerden des Tods von Albartus, der ihn selbst angeworben haben soll, auf Distanz zu den Revolutionären Zellen gegangen. In dieser Zeit, nach einem gescheiterten Anschlag auf die Berliner Siegessäule und der Selbstauflösung einer westdeutschen „Zelle“, spielten die RZ in der Szene eine immer geringere Bedeutung.
Die 80er unter Anklage
Beim aktuellen Prozess gegen Tarek Mousli und dem folgenden, bei dem dann die von Mousli beschuldigten Axel Haug, Harald Glöde, Sabine Eckle und Matthias Borgmann auf der Anklagebank sitzen werden, wird es aber nur juristisch um die von den RZ verübten Anschläge und eine mögliche Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gehen.
Politisch sitzen, nach all den Jahren trügerischer Ruhe, auch all jene auf der Anklagebank, die in den Achtzigerjahren dem Mythos RZ zur Popularität verholfen haben. Dies ist für die linke Szene von damals in doppelter Hinsicht ein „Schock“.
Einmal, weil viele von ihnen längst andere biografische Abschnitte begonnen haben. Zum andern, weil zugleich eine Aufarbeitung der eigenen Widersprüche in jener Zeit zumeist unterblieben war. Viele der Fragen von damals stellen sich nun mit umso größerer Dringlichkeit.
Der Bundesanwaltschaft kann das freilich gerade recht sein, kann sie so doch einen „Terroristenprozess“ präsentieren, bei dem ein reuiger Tarek Mousli gegen die unverbesserlichen Verfechter militanter Politik zu Felde zieht. Und bei dem ganz nebenbei die RZ wieder zum Mythos zu werden droht.
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