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Kleine Probleme mit Mister McCrindle

Von der Gefährlichkeit straff gespannter Drähte: Magnus Mills’ Romandebüt „Die Herren der Zäune“

Da sind diese schottischen Naturburschen Tam und Ritchie. Da ist aber auch der neue englische Vorarbeiter, den sie vor die Nase gesetzt bekommen und der als Ich-Erzähler die Geschichte dieses merkwürdigen Trios erzählt. Zwei Welten prallen aufeinander. Auf den ersten Blick hat der etwas pedantische Engländer gar nichts mit den schottischen Junggesellen zu tun, die immer alles stehen und liegen lassen und abends im Pub stoisch Pints in sich reinschütten. Dennoch existiert ein geheimes Einverständnis zwischen den Hardcore-Arbeitern, die bei Wind und Wetter Pfähle in den schottischen Boden rammen. Das kann eigentlich auch gar nicht anders sein. Würden die drei die sprichwörtliche englisch-schottische Erbfeindschaft ausleben, liefe nichts in der Einöde des Maschendrahts.

Spätestens nach der merkwürdigen Geschichte mit Mister McCrindle ist dann klar, dass die drei zusammenfinden müssen. McCrindle weiß offensichtlich nicht, dass die Drähte beim Zaunbauen sehr straff gespannt werden müssen. Ist man als Auftraggeber da zu neugierig, können selbst Zaunprofis, die um die Gefährlichkeit straff gespannter Drähte wissen, kurz unkonzentriert sein: Armer Mister McCrindle! Aber Gott sei Dank hat das schottisch-englische Trio ja bereits Löcher für die nächsten Zaunpfähle ausgehoben. Merkwürdig nur, dass trotz dieses doch weitreichenden Vorfalls alle ganz ruhig bleiben, das kleine Problem mit Mister McCrindle aus der Welt schaffen und in gewohntem Trott die Arbeit fortsetzen. Im schottischen Hochland, so scheint es, ist so was an der Tagesordnung.

Dasselbe passiert dann noch zweimal. Unter anderem gerät auch der eigene Chef in zu große Nähe der Zaunbauer. Aber Robert, so heißt er, spielt ja sowieso eine untergeordnete Rolle, seit sein Bruder Donald das Sagen hat, alles auf Effizienz trimmt und die Firma ins goldene Zeitalter elektrifizierter Zäune führen will. Am Ende bauen die drei dann ausgerechnet in England solch einen Zaun. Er ist merkwürdig hoch, merkwürdig ausbruchssicher und merkwürdig elektrisch. Dann bricht der Roman unvermittelt ab, und der Leser gerät doch noch in metaphysische Grübeleien.

Für wen bauen die sarkastischen Gehegekünstler eigentlich diesen schimmernden Hochsicherheitstrakt? Warum arbeiten nur Männer in der englischen Schlachterei, für die die Umzäunung gebaut wird? Warum sieht man nie einen der Schlachter heimgehen? Und was hat die halb geöffnete Falltür zu bedeuten, die als neues Firmenlogo auf den Overalls prangt, die die drei Zaunbauer von ihrem Chef zur Verfügung gestellt bekommen haben? Das sind Fragen über Fragen, die man allerdings überhaupt nicht beantwortet haben möchte. Andeutungen kribbeln doch wesentlich mehr.

Bei Magnus Mills ist man in puncto Andeutungen in besten Händen. Er lässt souverän alle Erklärungen weg und würzt seine Geschichte rund ums Zaunbauen in ländlichen Gegenden, wo der nächste Pub und die nächste Frau unerreichbar zu sein scheinen, mit lakonischem Understatement. Dass man es tatsächlich mit einem Debüt zu tun haben soll, will man nicht recht glauben. Eigentlich, so denkt man, müsste Magnus Mills schon mehrere Versuche vorgelegt haben. Es ist aber offensichtlich so. Und offensichtlich geht auch in Ordnung, dass der Erstling für den Booker-Preis nominiert und in zwölf Sprachen übersetzt wurde.

In seinem früheren Leben war Mills Briefträger, Busfahrer und (man ahnt es) Zaunbauer. Auf dem Umschlag von „Die Herren der Zäune“ ist ein Bild von ihm zu sehen, auf dem er andeutungsweise lächelt. Da weiß man nicht so genau: Ist das nun das Lächeln eines durchtriebenen Entertainers oder das Lächeln eines naiven Jungen? Sicher ist nur: Der Mann lächelt, wie er schreibt. JÜRGEN BERGER

Magnus Mills: „Die Herren der Zäune“. Aus dem Englischen von Katharina Böhmer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000, 216 Seiten, 36 DM

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