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Das Leben nach dem Tode

Einen neuen Bischof gibt es noch nicht. Dafür aber ab dem Frühjahr Schwangerschaftsberatungen. Dennoch: Die Luft der Freiheit ist nicht zu spüren

aus Fulda HEIDE PLATEN

Die barocke Bischofsstadt am Rande der hessischen Rhön, knapp 60.000 Einwohner, ist so weltlich wie andere bundesdeutsche Kleinstädte auch – samt Einkaufszonen, dem reichlichen Kübelgrün und den Betonbausünden. Das italienische Bistro in der Innenstadt interpretiert das Abendmahl kulinarisch: „Vini & Panini“. Fulda ist Einkaufs- und kulturelles Zentrum der Region. Der Mönch und Missionar Bonifatius ist allgegenwärtig, Bonifatiusapotheke, Bonifatiusplatz, als Statue in Stein gehauen und in Bronze gegossen. Der Überlieferung nach ließ der kämpferische Kirchenmann im Jahr 744 zu Fulda über einer römischen Siedlung ein Benediktinerkloster errichten. Jahrhundertelang waren die Äbte des Klosters mächtige geistliche und weltliche Herren, ab 1220 im Range von Reichsfürsten. Das mit der Weltlichkeit aber ist lange her.

Die Gruft unter dem Fuldaer Dom ist Pilgerstätte und Touristenattraktion zugleich. Der Heilige Bonifatius ruht hier unter weißem Alabaster. Unter den roten Sandsteinplatten oben in der Johanneskapelle ruht der am 23. Juli 2000 verstorbene Erzbischof Johannes Dyba. Der streitbare Bischof kannte den Platz, an dem er bestattet werden würde, zeigte ihn noch kurz vor seinem Tod stolz Journalisten. Über seinem Grab prangt der barocke Stuck besonders üppig weiß und golden. In der Kuppelwölbung halten Putten Medaillons mit bildlichen Darstellungen der Worte des Propheten Isaias: „Er machte meinen Mund gleich einem scharfen Schwert. Er barg mich im Schatten seiner Hand und machte mich gleich einem auserlesenen Pfeil; in seinem Köcher hielt er mich verwahrt.“ Dyba, der seit 1990 auch Militärbischof der Bundeswehr war, mag das zu Lebzeiten als Aufforderung zur zeitgemäßeren Aufrüstung verstanden haben. Maschinengewehr Gottes nannten ihn seine Gegner.

Dyba war das Markenzeichen der Diözese, in der sich alljährlich im Herbst die Deutsche Bischofskonferenz versammelt. Die wirkte Ende September, zum ersten Mal ohne Dyba, fast ein wenig verloren, so, als fehle ihr am rechten Rand ein Teil ihrer selbst. Vorsitzender Bischof Karl Lehmann würdigte seinen einstigen Widerpart posthum versöhnlich. Er wolle, habe Dyba ihm noch kurz vor seinem Tod gesagt, endlich weg von der ständigen Außenseiterrolle: „Ich möchte auch mal wieder zurück in die Rotte.“

Trauer? Nicht sehr üppig

Der Blumenschmuck auf Dybas Grab zeugt, gemessen an anderen letzten Ruhestätten charismatischer Kirchenfürsten, nicht gerade von tiefster Trauer. Eher verloren stehen die Alpenveilchen da, ein Kranz der Kirchengemeinde Baunatal und einer der Pfarrei Mainz-Bretzenheim, vorne ein Herz, gesteckt aus Erika und Efeu, eine einzelne rote Rose, Kastanien und Herbstlaub dazwischen verstreut wie Kindergaben. Ein Foto zeigt Dyba im weißgoldenen Ornat, lebensfroh, lachend, fast tänzelnd, darunter ein Bibelzitat: „... denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Markus 6,30ff). Das Bild ist eine ökumenische Gabe von „evangelischen und katholischen Christen aus Hanau“, Dyba gewidmet „In Dankbarkeit für seine mutig klaren und richtungsweisenden Stellungnahmen“. Hätte der papsttreue Eiferer und ausgemachte Ökumene-Gegner Dyba sich darüber gefreut? Die päpstliche Erklärung „Dominus Jesus“, die die harte Linie der Aus- und Abgrenzung der römisch-katholischen gegen andere christliche Religionen manifestiert, hat er nicht mehr hören können. Aber fünfzig Prozent seiner „Fanpost“, ließ er eimal wissen, komme von evangelischen Christen: „Die sagen: Ach, hätten wir doch auch so einen!“

Am Grab nehmen vor allem Menschen Abschied, die eine Respektsperson verloren haben, zu der sie aufblicken konnten, alte Menschen zumeist, einige junge auch. Es sind die, denen er aus der Seele gesprochen hat. Sie sind mit ihm eins: „Er hat immer das gesagt, was wir denken.“ Ein junger Mann hält dagegen und zitiert aus den Klosterregeln des Heiligen Benedikt, der in Fulda ebenfalls verehrt wird: „Bei vielem Reden entgeht man der Sünde nicht.“

Die Erinnerung an den streitbaren Bischof ist schon so kurz nach seinem Tod seltsam vage geworden. Leutselig und freundlich sei er gewesen, habe Kinder geliebt: „Die kamen bei ihm immer zuerst.“ Er habe gerne gelacht, gut gegessen und getrunken, Briefmarken und Lithografiekarten gesammelt, Schach gespielt, sei begeistert im Meer geschwommen. Alles das ist nichts, was nicht längst öffentlich bekannt gewesen wäre. Am Ende läuft die Erinnerung doch immer auf dasselbe hinaus. Alles persönlich Bekannte ist längst medial vermarktet, Konkreteres lässt sich eigentlich nicht sagen, aber das eine wiederholt sich immer wieder: „Er hatte Austrahlung, Charisma eben.“ „So einen bekommen wir nicht wieder.“

Dass aber das, was, und vor allem wie er es gesagt hat, immer gut war, meinen in Fulda überraschend wenige. In seiner Heimatgemeinde sind die Stimmen verhalten. Er sei, sagt Anna M., „wohl mehr ein Medienbischof“ gewesen und habe weniger die Stadt geprägt, sondern mehr sein eigenes Image als Quertreiber und Provokateur gepflegt. Fulda ohne sein kantiges Markenzeichen, das müsste irgendwo Spuren des Verlustes hinterlassen haben. Und doch, scheint es, geht hier alles so seinen Gang wie vorher auch. Die Stadt lebt auch ohne ihren herben Hirten ohne Aufhebens weiter. Dyba war, meinen viele, eher ein Fernsehstar, berühmt als zuverlässiger Horrorgast diverser Talkshows, berüchtigt vor allem außerhalb seiner Stadt. Anna M., klein, rundlich, deren patente Art an die einstige Gastwirtin erinnert, lebt in Fulda. Sie ist zwar katholisch, konservativ, vermisst Dyba aber nicht, „kein bisschen“, sondern empfindet seine 17-jährige Amtszeit auch im Nachhinein noch eher als Bürde: „Er hat zwar gesagt, was viele Leute denken. Aber er hätte das alles auch geschickter formulieren können. Der Mann war einfach zu grob und hat der Kirche die Menschen entfremdet.“ Sie hat immer sehnsüchtig über die Diözesan-Grenzen hinweg auf das benachbarte Limburg mit dem liberalen Bischof Kamphaus geblickt: „Das ist ein feiner Mann. Und er lebt so bescheiden.“

Blattgoldpracht im Dom

Von Bescheidenheit ist in der funkelnagelneu renovierten Blattgoldpracht des barocken Domes nicht die Spur. Ein aus Thüringen angereistes Ehepaar staunt. Für sie ist der Dom eher Museum als Gotteshaus und Dyba kein Begriff. Währenddessen wird in der Diözese gerätselt, wer dessen Nachfolge antreten wird. Sein kommissarischer Vertreter ist der Fuldaer Weihbischof Ludwig Schick. Er ist vermutlich selbst einer der Kandidaten. Schick wirkte als Generalvikar hinter seinem temperamentvollen Vorgesetzten immer etwas blass. Auch er gilt als konservativ, befleißigt sich dabei aber einer gemäßigten Sprache. Auch der Kurienbischof Paul Cordes ist im Gespräch. Der war das aber schon mehrfach für andere Ämter, zum Beispiel in Aachen und Essen, wohl eher getrieben, sagen Kenner, von dem innigen Wunsch, seinen Posten im Vatikan endlich verlassen zu können.

Das Prozedere der Bischofswahl ist kompliziert und langwierig. Das sechsköpfige Fuldaer Domkapitel schlägt der römischen Nuntiatur drei Kandidaten vor, die dort aber nicht zwingend berücksichtigt werden müssen. Nach dem preußischen Konkordat von 1929 können auch andere Bistümer auf ehemals preußischem Gebiet Vorschläge machen. Der Vatikan aber ist an keine der Listen gebunden und kann ebenfalls eigene Kandidaten in Erwägung ziehen, prüfen und auswählen. Die römische Bischofskongregation reicht dann die eigene Liste mit drei Namen zurück an das Fuldaer Domkapitel, das nur noch aus diesen die letzte Auswahl trifft. Das ganze Verfahren wird ungefähr neun Monate dauern, bis zum Sommer 2001 wird Fulda wohl einen neuen Bischof haben.

Bis dahin werden die Broschüren im Regal am Eingang des Fuldaer Domes wohl aufgebraucht sein. In den Faltblättern aus dem Jahr 1999, Auflage 100.000 Stück, strahlt Dyba die Besucher auf der ersten Seite noch an wie zu Lebzeiten, heißt sie „Willkommen im Bistum Fulda“, zitiert Bonifatius und zeichnet mit einem energisch schwungvollen „Johannes“.

Und bis dahin wird wohl auch die katholische Laieninitiative „Donum vitae“ ihre Schwangerschaftskonfliktberatung aufgenommen haben. Sie ist in Hessen Anfang Oktober vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt worden und hat vom Sozialministerium staatliche Zuschüsse zugesichert bekommen. Beratungsscheine für Frauen gab es im Bistum Fulda schon lange nicht mehr. Bereits 1993 hatte Dyba der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung strikt untersagt, die für Abtreibungen erforderlichen Beratungsscheine auszustellen. Er nannte sie „Tötungslizenzen“. Durch die Anordnung zu spektakulärem Trauerläuten in allen 244 Pfarreien seines Bistums hatte er schon im Dezember 1988 gegen den „Holocaust der ungeborenen Leben“ protestiert. Ein Jahr später gründete er den „Fonds für das Leben“, mit dem Familienfreundlichkeit unterstützt werden sollte. Gegen „Donum vitae“ polemisierte er von Anfang an im Bistumsblatt Bonifatiusbote. Nicht „Geschenk des Lebens“, sondern des Todes, „Donum mortis“, solle sich die Stiftung nennen.

Die „Luft der Freiheit“, sagt die hessische Landesvorsitzende von „Donum vitae“, Margit Hartmann, wehe in Fulda auch nach dem Tod von Dyba nicht gerade. Die Stadt sei auch ohne ihn konservativ genug. Aber „ruhiger“ sei es schon geworden. Sie rechnet, sagt sie, ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen, mit großem Zulauf von Hilfe suchenden Frauen. Und das liege nicht nur an ihrer guten Arbeit. „Wir werden mit dem Beratungsschein identifiziert.“ Die Fuldaer Beratungsstelle soll, nach einer Spendenaktion im Dezember, nun im späten Frühjahr 2001 ihre Arbeit aufnehmen.

„Donum vitae“ in Fulda, Beratungsscheine in Händen südhessischer Katholikinnen – da wäre Johannes Dyba, sagt Rentnerin Anna M., „das Lächeln wohl vergangen“. Dann lächelt die alte Dame feinsinnig. „Der wird sich im Grabe umdrehen.“

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