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Der Zeremonienmeister geht

Ende des Jahres verlässt Ulrich Eckhardt die Berliner Festspiele. Mit ihm nimmt die Stadt von einem Kulturbetrieb Abschied, der von den Idealen der Aufklärung bewegt war. Im letzten Jahr wurde Eckhardt heftig kritisiert: für Lichtdom und Sieben Hügel

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Als Ulrich Eckhardt 1973 als Intendant der Berliner Festspiele an die Spree kam, hatte er klare Ziele: Er wollte die Kultur aus der Randexistenz führen, Zugangssperren aufheben und sich in die Lebenswirklichkeit einmischen. Wie hätte er ahnen können, dass die euphorische Formel „Kultur für alle“ der Reformpolitiker der Sechzigerjahre knapp drei Jahrzehnte später als Vorbote einer Event-Kultur der permanenten Zerstreuung angesehen wird?

Eckhardts letztes Jahr war nicht sein bestes. Es begann mit den Silvesterfeiern zum Jahr 2000, für die er als offizieller Zeremonienmeister des Senats das Programm betreute. Da zog ausgerechnet er, der so viele Projekte aus der Verantwortung gegenüber der Vergangenheit des Nationalsozialismus begründet hatte, sich den Vorwurf zu, leichtfertig einen Lichtkünstler engagiert zu haben, dessen Stilmittel an die Masseninszenierungen des Faschismus erinnerten. Später geriet das Festwochenprogramm unter den Verdacht der Ignoranz gegenüber Künstlerinnen, weil unter dem Titel „Jahrhundertklang“ Kompositionen von 82 Männern und nur einer Frau aufgeführt wurden. Viel Kritik zog sich Eckhardt auch für Kosten und Konzept der Ausstellung „Sieben Hügel“ zu.

Das alles überschattet einen Abschied, der erstaunlich leise ausfällt. Denn über lange Jahre sorgten die Festspiele nicht für internationalen Austausch, sondern bündelten das kritische Potenzial der Stadt. In einer vor drei Jahren erschienenen Chronik kann man in alten Plakaten blättern: Die Reihe „Horizonte – Festival der Weltkulturen“ galt 1979 Afrika, 1982 Lateinamerika, 1985 dem Fernen Osten und 1989 den wechselseitigen Bildern von Orient und Okzident. Sie reagierte damit auf die Grenzen des westlichen Kunst- und Kulturbegriffs.

Eckhardt, ausgebildet als Jurist und Dirigent, war nie bereit, die Habenseite im kulturellen Gedächtnis der Stadt von der Sollseite zu trennen. Auf der Habenseite stehen die Strömungen der Moderne, auf der Soll-seite hingegen „alle Befehle zur Zerstörung von Menschen und Kulturgut mit der Absenderadresse Berlin“. So gehört zur Erbschaft der 750-Jahr-Feier die Gründung der Stiftung „Topographie des Terrors“. Die Wiedergewinnung der Emigranten und die Dokumentation dessen, was in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft an europäischer Kultur vernichtet wurde, ist ein Lebensthema Eckhardts. Aus diesem Motiv entstanden Konzertreihen, die ausgewanderten Musikern und noch nicht gehörten Kompositionen gewidmet waren. Zu einer Institution der Erinnerung wurde die Vortragsreihe „Berliner Lektionen“, die lebensgeschichtliche Rückblicke unter anderem von Giselle Freund, Imre Kertész, Billy Wilder mit einer Analyse der Gegenwart verbanden. Eckhardt suchte in dieser Erinnerungsarbeit nicht nach der monumentalen Geste, der allzu leicht eine politische Funktion der Entsorgung von Geschichte angehängt wird, sondern immer wieder nach Geschichten, Erfahrungen, Erzählungen. Zusammen mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, und der Fotografin Elke Nord brachte er 1996 das Buch „Jüdische Orte in Berlin“ heraus, das in über 400 Ortsbeschreibungen die Geschichte der Juden in Berlin zurückverfolgt.

Mit Elke Nord arbeitete er auch an zwei Büchern über den „Berliner Ring“, die 1990 und 2000 erschienen und die Veränderung in den Dörfern und Siedlungen nahe des Stadtrands von Berlin zeigen. „Als ich anfing“, sagte Eckhardt in einem Rückblick, „gab es Mitteleuropa nicht mehr. Jetzt ist es wieder da.“ Er war aus Bonn, wo er als Kulturreferent gearbeitet hatte, nach Berlin gekommen, denn er wollte wissen, was im Osten vorgeht. Berlin schien da der beste „Horchposten“. Doch wenn auch die Grenzen nach Osteuropa durchlässiger geworden sind, ist er mit der Weltoffenheit Berlins nach wie vor nicht zufrieden. Geradezu als eine „Versündigung des Westens gegenüber dem Osten“ begreift er die Beschneidung von Jugendprojekten. „Das wäre das Gebot der Stunde, nicht über drei Opernhäuser in der Stadt nachzudenken, sondern darüber, was wir für junge Leute tun.“

Noch immer scheint ihn pädagogische Wachsamkeit und Kritik zu beflügeln. Seine Bereitschaft, Defizite der kulturpolitischen Verantwortung zu benennen, die all seine Reden zu Eröffnungen und Pressekonferenzen prägte, zeigt sein Festhalten am Idealbild der Kultur aus dem Widerstand. Das wollte er auch als höchster Festspielleiter der Stadt zur 750-Jahr-Feier oder dem Millennium nicht aufgeben. Ironisches Rollenspiel lag ihm fern. Das hat ihm eine Glaubwürdigkeit eingebracht, von der lange auch der Senat profitierte.

Dennoch haben die Festspiele in den Neunzigerjahren der wachsenden Selbstbespiegelung der Stadt, die Großbaustellen ebenso gut wie Ruinen als spannende Location zu vermarkten weiß, nicht mehr viel entgegengesetzt. Programme wie die Festwochen verloren an Profil, und von den einstigen Inhalten sind oft nur die prominenten Namen übriggeblieben. Mit der Pensionierung von Ulrich Eckhardt gehen die Festspiele zugleich aus der Trägerschaft der Stadt an den Bund über. Um eine neue Begründung und Auswege aus der Identitätskrise der Festspiele muss sich Eckhardts Nachfolger Joachim Sartorius bemühen.

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