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Einschläfernde Proseminare als Auslaufmodell

Vom Internetkurs über die Schreibwerkstatt bis hin zu Studienmodulen – die Hochschulen beginnen, angestaubte Lehr- und Lernformen aufzumotzen

DÜSSELDORF taz ■ Pfeifenbesteck, Glühbirne und Heftpflaster liegen in einem Körbchen. Diese Sammlung von Dingen dient Germanistikstudenten der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf als Schreibanlass. Die Studis sollen Sonette, Krimis oder Dramen verfassen. Die Melange im Korb ist dazu da, die Fantasie der Teilnehmer der Übung „Kreatives Schreiben“ zu beflügeln.

Im Nebenraum sausen Studierende derweil durch das gesamte Werk Friedrich von Schillers von den „Räubern“ bis zu „Wallenstein“ – innerhalb von nur drei Monaten. Lehr- und Lernformen der deutschen Universitäten geraten in Bewegung, wenn auch schwerfällig und oft gegen den Widerstand von Professoren.

Die letzte große Reform der Lehre initiierten die 68er. Sie stürmten die Katheder, forderten ein Ende des autoritären Vorlesungsstils. In Seminaren sollte gleichberechtigt zwischen Dozent und Student diskutiert werden über Marx, Marcuse und Adorno. Geblieben an den Unis aber sind nicht selten espritlose Stunden mit langweiligen Referaten, gehalten vor SMS-schreibendem Publikum und abwesend nickenden Professoren.

Die Strukturreformwelle der 90er-Jahre suchte deshalb nach neuen Lehr- und Lernmethoden. Zahlreiche Modellprojekte wurden von den Ländern ins Leben gerufen. „Ich sehe neue Formen im Bereich der Schreibwerkstätten und Internetseminare“, sagt Sigrid Metz-Göckel, Leiterin des Hochschuldidaktischen Zentrums Dortmund. „Ich halte E-Mail-Sprechstunden und stelle Unterlagen ins Netz. In elektronischen Foren gibt es einen Austausch jenseits des analogen Treffens im Seminarraum“, beschreibt die Didaktikerin. Die neue Art des humboldtschen Gesprächs begeistere und motiviere die Studierenden.

„Auch Spaß ist ein wichtiger Faktor bei den Schreibübungen“, bestätigt Corinna Kaiser vom Projektbereich Schriftlichkeit der Uni Düsseldorf. Spielerisch lernten Studierende so die „Schlüsselkompetenz“ Texte zu verfassen, die in vielen Berufsfeldern gefordert sei. Zudem bringen Werkstattgespräche mit Schriftstellern frischen Wind in den grauen Seminaralltag.

Mit Strukturreformen soll das Studieren beschleunigt, Wissen effektiver vermittelt werden. „Wir haben das Grundstudium differenziert, um einen vernünftigen, transparenten Studienaufbau zu bieten“, erklärt Ulrich Welbers, Leiter des Studienreformbüros Germanistik in Düsseldorf. Das alte Proseminar wurde abgelöst durch Orientierungstutorien, Einführungen, Grundseminare – eine Epoche oder ein Autor pro Semester – und thematische Seminare, etwa das Gartenmotiv bei Goethe.

Bundesweit versuchen Unis so das Studium klarer zu gliedern, die Studiosi wie Schüler an der Hand durch die Alma Mater zu geleiten. Welbers kritisiert: „Solange dieselben Kopien verteilt und die Art der Lehre gleich bleibt, ändert sich nichts.“ Didaktische Fortbildung sei für viele Professoren ein Fremdwort. Deshalb fehle ihnen auch die Kompetenz, die neuen Magister- oder Bachelorstudien (BA) zu gestalten.

Auch Sigrid Metz-Göckel warnt vor allzu hohen Erwartungen an den Kurzstudiengang BA. „Neu ist bislang nur das begleitende Prüfungssystem, die so genannten Creditpoints – die Vorlesungen haben sich nicht geändert“, erklärt die Professorin, für die eine Reform inhaltliche Neustrukturierung bedeutet, nicht allein die große Schlussprüfung abzuschaffen.

Während an vielen Unis nur das schmucke Etikett Bachelor alte Inhalte ziert, strebt die Uni Greifswald mit ihrem BA-Studium eine Strukturveränderung an. Seminare, Vorlesungen und Übungen, die ein Thema behandeln, werden in Modulen zusammengefasst – auch Fächer übergreifend. Zusätzlich müssen die Studis „Mesomodule“ in „General Studis“ absolvieren. Dahinter verbergen sich Social Skills wie Kommunikations- und Kontaktfähigkeit sowie Englisch oder Schreibkompetenz im Deutschen. ISABELLE SIEMES

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