: Kekse von der Kampftruppe
Seit dem 1. Januar dürfen bei der Bundeswehr auch Frauen Dienst an der Waffe tun. Bei den Beratungsstellen für Bewerberinnen hat man sich auf verstärkten Zulauf eingestellt. Doch von einem Ansturm junger Offiziersanwärterinnen kann noch nicht die Rede sein
von GITTA DÜPERTHAL
Stabfeldwebel Gerd Eckert gibt sich ganz leger, serviert Plätzchen und Kaffee und tut kund, für ihn sei die Gleichberechtigung längst kein Thema mehr. Er selbst könne schließlich auch kochen und waschen. Der Wehrdienstberater ist im „Amt für Flugsicherung“ in der Insterburger Straße in Frankfurt-Hausen für die Beratung des Bundeswehrnachwuchses im Großraum Frankfurt zuständig.
Die Arbeit mit den jungen Frauen, die entsprechend dem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes seit dem 1. Januar nun auch den Dienst an der Waffe leisten dürfen, macht ihm sichtlich Spaß. Nach dem Gespräch mit der 24-jährigen Sonja Kolodziej scherzt er jovial, die junge Dame habe bereits „alles gewusst, als sie zu mir kam“. Eigentlich habe sie nur Bewerbungsunterlagen abgeben, eine Unterschrift haben und dann wieder gehen wollen. Die junge Dame ihrerseits grinst, gibt zu, so ähnlich sei es wohl gewesen. Dann sei es allerdings doch noch zu einem klassischen Beratungsgespräch gekommen. Und das, schwärmt Sonja, „lief richtig klasse“. Eckert hat die gute alte Einstellungsregel angewandt, „die Eignung der Kandidatin, ihre Wünsche und gleichzeitig den Bedarf der Streitkräfte zu prüfen“. So ist es auch in einem Leitspruch festgehalten, der hinter ihm an der Wand hängt. Außerdem steht da noch: „Wir versprechen Ihnen, Sie offen, umfassend, ehrlich und individuell zu beraten.“
Kein Zweifel, die Bundeswehr wirbt heftig um Nachwuchs. Und siehe da: Volltreffer! Für die zierliche Sonja, die Polnisch spricht, Abitur hat und derzeit auf Lehramt Religion, Deutsch und Mathematik studiert, sei ihm sofort etwas eingefallen, freut sich Eckert. Sein Vorgesetzter, Oberleutnant Ingo Hauck, ist ebenfalls begeistert. Er ist im Außenbereich tätig, unternimmt Werbefeldzüge in Frankfurter und Offenbacher Schulen oder auf der Offenbacher Motorradmesse – „überall, wo man junge Leute vermutet“. Hauck weiß, wo es Bedarf für die Offiziersanwärterin gibt: Seit Polen Nato-Partner ist, gibt es in Stettin eine deutsch-polnische Kommandobehörde „Partnership for Peace“. Gerade weil Polen ehemals zum Warschauer Pakt gehörte, sei es wichtig, dass man sich „auch menschlich näher kommt“.
Man möchte kaum meinen, dass es sich um ein Bewerbungsgespräch bei der Bundeswehr handelt. Erst recht nicht eines, das den Dienst an der Waffe betrifft. In der Frankfurter Wehrdienstberatung schwimmt man auf der Softwelle: Plätzchen mit rosa Zuckerguss und lockerer Plauderton. Um das Maß voll zu machen, bekennt Stabsfeldwebel Eckert, selbst „aktiver Pazifist“ und Kriegsgegner zu sein. „Schließlich“, erklärt er lächelnd, „halten Soldaten genauso wenig vom Krieg, wie Ärzte ‚für Verletzte‘ sind.“
Kritik wird sanft dosiert, man wirft sozusagen mit Wattebäuschchen. Sicher gebe es auch negative Punkte, die ihm bei der Anwärterin aufgefallen seien. „Na, was haben wir da falsch gemacht?“ Sonja hat eine alte Bewerbungsregel missachtet: mit ihrem Gesprächspartner keinen Blickkontakt gehalten. Doch die Bewerberin hat gleich gewusst, was man in so einem Fall sagt: „Ich werde dran arbeiten.“ „Eine gute Antwort“, findet Eckert.
Warum Bewerberinnen hier mit Samthandschuhen angefasst werden? Eine mögliche Erklärung: Der Ansturm von weiblichen Bewerberinnen ist ausgeblieben. Zumindest im Großraum Frankfurt. Die Hochburgen, so Hauck, seien anderswo, im Osten und im Saarland in den ländlichen Gebieten. Hier hingegen müsse man mit der Konkurrenz der Wirtschaft rechnen, dem Flughafen, den Banken. Im ersten Halbjahr 2000 hat es neunzehn Beratungen gegeben, dreizehn Frauen wollten in den Sanitätsdienst und sechs hätten sich für „Fremdverwendung“ interessiert, wie der Dienst an der Waffe im Bundeswehrjargon umschrieben wird. Beworben haben sich nur sechs Frauen, eine von ihnen als Kampfschwimmerin. Im zweiten Halbjahr gab es dreißig Beratungen, davon 22 zur „Fremdverwendung“. Tatsächlich haben sich acht Frauen beworben, davon fünf für die Kampftruppe.
Aufgabe der Soldaten und Soldatinnen, so Hauck, sei nicht nur „die grüne Seite“, also der militärische Dienst, sondern auch die fachliche Seite: Logistik, Technik und Ausbildung an der Waffe. Manchmal allerdings müsse man BewerberInnen auch desillusionieren, Männer wie Frauen. Fallschirmjäger heiße eben nicht, drei bis vier Mal die Woche Fallschirm zu springen. Die ernüchternde Wahrheit: „Der Fallschirmjäger ist ein Infanterist, ein Bodenkämpfer, und der Fallschirm nur Mittel zum Zweck.“
Auf „Frauenthemen“ hat sich Stabsfeldwebel Eckert schon eingestellt. Nur selten fällt er aus der Rolle, etwa wenn er sich temperamentvoll freut, „stets den richtigen Mann an den richtigen Platz“ zu vermitteln. Neue Sprachregelungen? Nach Wehrdienstberatungsoffizier Hauck sind das „nur Marginalien“; an die neue Form werde man sich bald gewöhnen. Eckert fällt es schon etwas schwerer. Ob denn Hauptmann fortan „Hauptmännin“ heißen soll? In der vom Verteidigungsministerium herausgegebenen Broschüre „Frauen in der Bundeswehr“ findet sich die Lösung: „Übrigens ist nicht beabsichtigt, weibliche Dienstgradbezeichnungen einzuführen. Eine ‚Feldwebelin‘ oder ‚Majorin‘ wird es also nicht geben.“ Alles nur Marginalien?
Generell jedenfalls sieht Beratungsoffizier Hauck die Frauen in den Kampftruppen „als Bereicherung“: „Ich könnte mir vorstellen, dass sich im täglichen Umgang etwas ändern wird, im Miteinander.“ Und: Es gebe mehr Möglichkeiten, Bewerber gezielter auszuwählen. Wenn er, Hauck, an den Schulen unterwegs sei, würde ihm oft auffallen, dass die Bundeswehr bei den Schülern als Sozialstation angesehen werde. Motto: „Wenn alle Stricke reißen, geh‘ ich zur Bundeswehr.“ Natürlich könne es eventuell auch Probleme geben, wie in der freien Wirtschaft auch, etwa mit dem Mutterschafts- und Schwangerschaftsurlaub. Und vielleicht könne auch der eine oder andere Soldat Schwierigkeiten damit haben, wenn seine Vorgesetzte eine Frau ist.
Die sechzehnjährige Sandra Fabian reizt vor allem eines: „Man ist immer in Bewegung.“ Den Tipp habe sie von der Berufsberatung im Arbeitsamt bekommen. Ihre Freunde fänden es „cool“, dass sie zur Bundeswehr geht, meint Sandra. Hat sie keine Bedenken, wenn es zu Auslandseinsätzen kommt, wie etwa im Kosovo? „Darauf muss ich halt gefasst sein. Das kann schon passieren, dass es zum Einsatz kommt“, meint sie mit entschlossenem Gesicht. Eckert tröstet, schließlich sei dies nicht im ersten oder zweiten Jahr zu erwarten.
Ob sie sich vorstellen kann, einen Schießbefehl zu erhalten und einen anderen Menschen zu töten? Sonja reagiert, als habe sie sich ein Leben lang mit nichts anderem beschäftigt: „Ich traue mir das zu.“ Eckert hält dagegen: „Sie werden hier nicht zum Töten ausgebildet. Es muss eine Gefahr da sein, die das Reagieren notwendig macht.“
Sonjas Wunsch war es „schon immer“, zur Bundeswehr zu gehen: „Für den Sanitätsdienst habe ich mich allerdings nie interessiert. Und singen kann ich auch nicht.“ Mit Freunden und Freundinnen habe sie sich oft darüber unterhalten. Vor allem die Frauen seien begeistert gewesen. War niemand besorgt, dass ihr bei Auslandseinsätzen etwas zustoßen könnte? So tiefgehend seien diese Gespräche nicht gewesen, meint Sonja. Und schließlich sei es auch gefährlich, nachts durch Frankfurt zu gehen. Deshalb habe sie, wenn sie allein unterwegs ist, stets eine Dose Haarspray dabei. Das stärke ihr Selbstbewusstsein.
Den raueren Umgangston, der in einer Männerdomäne herrscht, fürchtet die Sechzehnjährige nicht. Sie ist fest überzeugt, dass es überall Gleichberechtigung gibt. In ihren Augen gibt es längst keine männer- und frauentypischen Berufe mehr. Und was ist mit Disziplin, Befehl und Gehorsam und Spindordnung? „Sie müssten mal meinen Schrank zu Hause sehen“, sagt Sonja und strahlt. „Bestens aufgeräumt!“
Oberleutnant Hauck nutzt die Gelegenheit, um abschließend auf die zunehmende Demokratisierung hinzuweisen: „Im Unterschied zu früher wollen wir nicht mehr den Betonkopf.“ Auch sei man interessiert, von der Affinität für Leute, die rechts der Mitte denken, endlich wegzukommen. Deshalb habe die Bundeswehr unter anderem in der taz für Nachwuchs geworben. „Wenn es irgendwie geht, wollen wir vermeiden, dass Leute aus der rechten Szene zu uns kommen.“
Allerdings sind die Informationen, die Jugendliche über die Bundeswehr erreichen, bisweilen recht einseitig. In ihrer Schule, berichtet Sandra, sei die Bundeswehr gar kein Thema gewesen. Ist es dann ein Wunder, dass Jugendliche mitunter offenbar annehmen, dass die Bundeswehrlaufbahn einem Praktikum auf einem Abenteuerspielplatz gleichkommt?
Und lenkt die neuerliche Präsenz von Frauen in den Kampftruppen etwa von der eigentlich wichtigen Debatte ab, die es zu führen gilt: Wie hat sich der Auftrag von Soldatinnen und Soldaten im Rahmen eines stetig fester gezurrten Nato-Bündnisses verändert? Stattdessen wird erregt über die Errichtung sanitärer Anlagen und das Geschlechterverhältnis in der Armee diskutiert.
GITTA DÜPERTHAL, Jahrgang 1956, lebt als freie Journalistin in Frankfurt und unterrichtet bei Fortbildungseinrichtungen. Ihre Schwerpunkte: Medien, Staat und Gesellschaft
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen