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Kriegscomics mit Zara & Tustra

Olaf Metzel hat ihn angesägt, für Mike Tyson war er ziemlich cool und Erich Mielke hatte den Willen zur Macht: Die Ausstellung „Artistenmetaphysik“ im Haus am Waldsee zeigt Arbeiten von Künstlern, die sich mit Nietzsches Leben und Werk beschäftigen

Nietzsche bietet sogar Orientierung im rauen Alltagskampf moderner Metropolen

von RICHARD RABENSAAT

„Nietzsche war kein Augenmensch, dazu waren seine Augen einfach zu schlecht“, stellt Barbara Straka fest. Zusammen mit Gudrun Gorka-Reimus hat sie die Ausstellung „Artistenmetaphysik“ im „Haus am Waldsee“ kuratiert. „Obwohl es einige sehr schöne Landschaftsbeschreibungen von ihm gibt, hat er sich nicht besonders intensiv mit Kunst befasst“, behauptet Straka. Das hinderte Künstler jedoch ihrerseits nicht, sich mit dem vor hundert Jahren in geistiger Umnachtung dahingeschiedenen Philosophen zu befassen. Insgesamt 38 „Artisten“ spiegeln mit ihren Werken die aktuelle Bedeutung des Philologieprofessors für die heutige Kunst wider.

Verkannt wurde Nietzsche nicht zuletzt von seiner Schwester: „Mein Führer, es ist mir eine Ehre, ihnen den Spazierstock meines toten Bruders zu überreichen“, zitiert Matthias Wagner K. Elisabeth Nietzsche in seiner Installation. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Wanderstabes an Adolf Hitler war der Denker längst tot, er konnte sich gegen die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten also auch nicht mehr wehren. Diese griffen begierig seine Worte vom „Übermenschen“ auf und ignorierten dabei, dass Nietzsche sich mehrfach abfällig über die Ideologie ihrer Vorgänger geäußert hatte. „Die verfluchten Antisemiten-Fratzen sollen nicht an mein Ideal greifen!“, kommentierte Nietzsche erregt die Ehe seiner Schwester mit Bernhard Förster, einem Mann, der wegen seiner judenfeindlichen Äußerungen aus dem Schuldienst gefeuert worden war.

Dennoch stand Nietzsche nach dem Zweiten Weltkrieg im Ruch des faschistischen Vordenkers. Seine Philosophie war in der DDR tabuisiert, die Beschäftigung mit seiner Person dementsprechend verpönt. Nicht zuletzt hierauf nehmen Albert Oehlen und Werner Büttner in ihrem Triptychon „Triumphgeschrei“ Bezug. Dort blickt Ex-Stasi-Chef Erich Mielke als personifizierter „Wille zur Macht“ vom linken Rand. Im Zentrum des Monumentalschinkens erhebt sich düster und gespalten der „Zarathustra-Felsen“, den Nietzsche bei seinen Spaziergängen am Seeufer in Oberengadin passierte und der ihn zum Gedanken von der „ewigen Wiederkehr“ inspiriert haben soll. Auf der rechten Bildtafel rollt die Lottotrommel als ewig gleich bleibendes, profanes Glücksversprechen.

Obwohl der Philosoph nicht unmittelbar abgebildet wird, ist seine Präsenz in dem Werk offensichtlich. Das ist nicht bei allen ausgestellten Werken so, gelegentlich erschließen sich diese erst nach eingehender Exegese. „Nietzsche hat gefordert, dass der Leser mitdenken muss“, behauptet Straka. Das gilt offensichtlich auch für die Arbeit von Katharina Karrenberg. Sie zerlegt „Zarathustra“ in die beiden fiktiven Männchen „Zara & Tustra“. Nicht als Erste und wohl auch nicht als Letzte benutzt sie Goyas „Désastres de la Guerra“ als Steinbruch und lässt die beiden Figürchen zahlreiche Szenen aus dem Radierungszyklus nachspielen. Hierbei soll deutlich werden, dass „Desaster, die wir, die Menschen, geschaffen haben, uns im Gegenzug als Subjekte hervorbringen“. So zutreffend diese Aussage möglicherweise ist, fällt es doch schwer, sie mit dem von Karrenberg entworfenen Comic in Verbindung zu bringen.

Viel eindeutiger ist da die Arbeit von Olaf Metzel. Er forderte in der Gipsformerei der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz die Büsten zahlreicher Geistesgrößen an, um sie zu einem Ensemble in einer Plexiglasvitrine zu vereinen. Bei seiner Bestellung musste er auf Wagner warten, erhielt Schubert hingegen unverzüglich – auch Klassiker unterliegen dem Zeitgeschmack. Als er fünfzehn Köpfe beisammen hatte, machte er sich mit Flex und Stichsäge ans Werk, um seine zeitgemäße Götterdämmerung zu inszenieren. Hierbei blieben Bach und Nietzsche nahezu unversehrt, Voltaire hingegen fräste Metzel quer durchs Antlitz.

Durch eine Kugel zerstört ist auch das Gesicht auf dem Foto eines Mannes in der Installation von Richard Schütz. „Wie sieht der Mensch sich, wie sehen ihn andere?“, fragt er. Auf einem anderen Foto, das Schütz zufällig beim Stöbern auf dem Flohmarkt entdeckte, ist der anonyme Körper einer schwangeren Frau zu sehen, ein drittes Bild zeigt Schädel im Naturkundemuseum. Angesichts der drastischen Abbildungen drängen sich die Fragen nach der „ewigen Wiederkunft“, nach dem „Kreis von Leben und Tod“, die auch Nietzsche umtrieben, förmlich auf. Offenbar bietet Nietzsche am Ende sogar eine Orientierung im rauen Alltagskampf moderner Metropolen. „I thought that was pretty cool“, kommentiert Mike Tyson bei Lutz Dammbeck das Statement Nietzsches, dass nicht zum Ungeheuer werden dürfe, wer Ungeheuer verfolgt.

Bis 25. 2., Di-So 12-20 Uhr, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Zehlendorf

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