: Was hinten rauskommt
Geschichte verdauen: Martin von Ostrowski malt sich zum 300. Krönungstag von Friedrich III. sein ganz eigenes Preußenbild zwischen Pop- und Shit-Art. Nur der Lack sichert die Geruchsfreiheit
von ANDREAS HERGETH
Halb Deutschland feiert: Am 18. Januar 1701 krönte sich Friedrich III. selbst zum preußischen König. Was dabei in der Flut von Artikeln und Fernsehsendungen auffällt, ist der Bildmangel. Der ORB etwa überspielt das visuelle Loch, indem er für seinen Rückblick auf Preußens Geschichte Katharina Thalbach als Alten Fritz über den Bildschirm geistern lässt. Schön, wenn man sich wie Martin von Ostrowski sein eigenes Preußenbild malen kann. Der 42-Jährige nimmt ein nach dem Zweiten Weltkrieg verloren gegangenes Gemälde von Adolf Menzel zum Ausgangspunkt seiner künstlerischen Auseinandersetzung.
Das Historienbild von 1850 zeigt eine Tafelrunde Friedrichs des Großen um 1750, der schöngeistige Konversation mit Voltaire betreibt. Mit am opulent beladenen Tisch sitzen edle Männer und ein paar Militärs. Frauen sind keine zu sehen. Die Dienerschaft ist nur schemenhaft angedeutet. „Den Kronleuchtern hat Menzel mit seinen komplexen Reflexionen deutlich mehr Beachtung geschenkt“, erklärt von Ostrowski, der deshalb den Lüstern und auch anderen Fragmenten des Bildes eigene Studien widmete.
Seine neue Version der königlichen Plauderrunde kommt poppig bunt daher. Die auf das Bild geschriebene Frage „Auch dein Preußen?“ zielt auf die Ambivalenz preußischer Geschichte: aufgeklärter Absolutismus, Schulpflicht und Gleichstellung der Juden auf der einen Seite; Zucht und Ordnung, Pflichterfüllung bis zur Selbstaufgabe und Autoritätshörigkeit auf der anderen. Viele Politiker haben sich aus Preußens Historie das herausgepickt, was ihrer Ideologie entsprach. Menzels ins Bild gesetzte Präsenz des Militärischen und die „Abstufung zwischen Dienern und am Tisch Versammelten verdeutlicht den hierarchischen Aufbau des preußischen Staates“, so von Ostrowski. „Kein Wunder, dass sich gerade die Nazis auf preußische Traditionen beriefen.“ Hitler ließ sich für eine Postkarte in einer Reihe mit Friedrich II. und Bismarck stellen. Das macht auch der Berliner Künstler, nur hat der den drei Köpfen Helmut Kohl als Vierten im Bunde dazu gesellt. Der hielt viel auf Preußen. 1991 ließ er die Überführung der Gebeine Friedrich II. von der Burg Hohenzollern nach Potsdam als Staatsakt zelebrieren.
Nun benutzt ja jeder Geschichte nach Gutdünken, hütet sie wie einen Schatz, missbraucht sie. Vielleicht hat von Ostrowski deshalb seine eigene Scheiße zum Malen der „Viererbande“ und deren Einzelporträts verwendet, die vor als Tapete an die Wand geklebten Siebdrucken des Menzelmotivs hängen. Schließlich ist ein Essen doch das Thema des Historienbildes – was liegt da näher, als für seine Geschichtsporträts das Produkt der Verdauung als Metapher und zugleich ganz wörtlich zu nehmen? Ein sehr spezieller, übrigens geruchsfreier (weil gelackter) Versuch, Geschichte zu verdauen. Deshalb kann man von Ostrowski auch beim Farbeessen sehen. „Preußen verdauen“ nennt er diese Siebdrucke. Entscheidend ist, was hinten rauskommt.
Herausgekommen ist mit der Schau „Warum Kunst? Mein Preußen!“ ein ironisch-subversives Preußen-Potpourri in grellen Neonfarben. „Preußen ist Pop!“ hat jemand ins Gästebuch der Galerie „Movin’ Art“ geschrieben. Wer den Gründungstag des preußischen Königreiches heute gebührend begehen möchte, sei in die Galerie gebeten. Dort wird Königin Luise alias Martin von Ostrowski eine Rede halten. Getreu dem Motto Friedrich II., jeder solle nach seiner Fasson glücklich werden, über die Möglichkeiten freier Künste.
Bis 27. 1, Mi.–Sa., 15–19 Uhr; Movin’ Art Gallery, Linienstraße 161, Mitte. Heute Abend hält hier Königin Luise um 20 Uhr ihre Rede zur Dreihundertjahrfeier des Königreichs Preußen
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