volvo und vulva:
von HEIKE RUNGE
Zu den schlimmsten Fahrunfällen meiner Biografie zählt mein kurzfristiges Engagement auf dem Sektor des Automarketing. Mein Einsatzgebiet war der Osten Berlins in der späten Nachwendezeit, und mein Job war es, für ein unübersichtliches Kartell von Autohäusern Werbung zu machen. Unübersichtlich war es für mich schon allein deshalb, weil die Buden einerseits über ganz Ostberlin verstreut waren, ich aber andererseits keinen Führerschein besaß und deshalb mit der Straßenbahn zu meinen Autohäusern gondeln musste. Bis dahin war ich lediglich als Beifahrerin mit Autos vertraut gewesen, wusste also, dass man dem Fahrer bei längeren Touren leckere Apfelschnitzchen anzureichen hat und bei Fahrten in unbekanntes Gebiet seine Knie als Kartenablage zur Verfügung stellen muss. Ansonsten beherrschte ich nur solch grundlegende Kfz-Techniken wie Eiskratzen oder Kassetten umdrehen. Selbstverständlich hielt ich mich in diesem Punkt gegenüber den Bossen des Autokartells bedeckt.
Es war die Hochzeit der Schildermacherei und die Blütezeit der falschen Apostrophe, und ich war im Wesentlichen damit beauftragt worden, den Schilderwald noch weiter aufzuforsten. Tatsächlich jedoch existiert in ganz Ostberlin keine einzige Autoreklametafel, die auf meine Initiative hin zustande gekommen wäre. Nicht, dass ich prinzipiell ästhetische Bedenken gehabt hätte. Aber die Autoverkäufer hatten komplett andere Vorstellungen als ich, deshalb beschränkte sich meine schildertechnische Beratungstätigkeit auf den einen oder anderen orthografischen Tipp. Zum Beispiel riet ich ausdrücklich davon ab, das „Desing“ des Twingo zu bewerben, und verlagerte ansonsten den Schwerpunkt meiner Arbeit hin zum Eventmarketing. Das hieß vor allem, erfolglosen Kreuzberger Künstlern Ausstellungsmöglichkeiten in den zumeist geräumigen Autohäusern im Osten zu vermitteln. Um die im Weg stehenden Pkw herum organisierte ich ein paar hübsch kostenintensive Partys.
Immerhin brauchte die Geschäftsführung Wochen, um herauszufinden, dass sich von monochromen Flächen in Hellersdorfer Autohäusern kein einziger Kunde zum Kauf eines Wagens inspirieren ließ. Ich geriet also mächtig unter Druck und willigte schließlich ein, in einem Volvo-Autohaus Batikarbeiten einer noch unbekannten Künstlerin aus Friedrichshain auszustellen. Diese Präsentation war der Höhepunkt meiner kurzen Karriere als Automarketing-Fachkraft. Insbesondere der Geschäftsführer des Hauses war begeistert. Was wohl auch daran lag, dass er mit der Batikkünstlerin verheiratet war. Allerdings trugen auch die von ihr gefertigten Vulva-Formen in Pastell rein gar nichts zum Volvo-Verkauf bei. Selbst die minderjährigen Töchter, die sich die Batikarbeiten der Mutter um die Hüfte geschlungen hatten und zu Sally Oldfield durch das Autohaus tanzten, erzielten nicht den gewünschten Auto-Erotik-Kauf-Effekt. Eigentlich wäre das der Zeitpunkt gewesen, um zu kündigen. Aber das Kartell war schneller und erklärte, Automarketing könne man selbst viel besser. Und irgendwie stimmte das sogar.
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