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Die Parteien sind in den USA zerstrittener als je zuvor. Der neue Präsident Bush wird versuchen, die Demokraten einzubinden und dennoch die Konservativen zu bedienen

Die USA wollen die Überreste des Multilateralismus kippen, der sie in die Weltgemeinschaft einbindet

Experten, die jetzt wahlweise prophezeien, dass Amerika ganz gewiss respektive bestimmt nicht vom Kurs abweichen wird, wissen mehr als der designierte Präsident. Dabei gilt der bewährte Lehrsatz „Nixon in China“: Vom erklärten Kommunistenfresser Richard Nixon hätte niemand erwartet, dass er Chairman Mao die Hand schütteln und Quoten für Minderheiten einführen würde. Von Bush Jr., der im Wahlkampf den „mitfühlenden Konservativen“ gegeben hat, erwartet man weniger als von Nixon oder Ronald Reagan. Doch auch der erste Präsident des neuen Jahrtausends hat Pläne für einen Politikwechsel im Inneren und eine äußere Kurskorrektur.

Wie er sie umsetzen möchte, wurde an der Zusammenstellung des Kabinetts erkennbar; ob sie Wirklichkeit werden, hängt ab von der stets diffizilen Arbeitsbeziehung zwischen Kongress und Weißem Haus. Zunächst steht ein Präsident, der noch Vertrauen aufbauen muss, einem verunsicherten Kongress gegenüber, dessen beide Häuser ohne rechte Mehrheit sind. Das Patt in und zwischen den Institutionen hat den Eindruck erweckt, die Vereinigten Staaten seien ein „tief gespaltenes Land“. Keinesfalls hat man es mit einer ideologischen Konfrontation im Stil europäischer Lagerparteien zu tun; doch haben sich die erklärten Parteianhänger seit den Siebzigerjahren in einen „Kulturkrieg“ verstiegen, dessen Unversöhnlichkeit sich zuletzt beim Impeachment-Versuch gegen Clinton erwies. Die Parteien in den USA sind heute stärker polarisiert als in der Alten Welt, wobei sie weniger ein Rechts-links-Gegensatz trennt als vielmehr weltanschauliche Aversionen.

Einkommensunterschiede und Ethnizität spielen keine so große Rolle mehr; einzig die Afroamerikaner haben sich im Verhältnis von neun zu eins auf Al Gores Seite geschlagen. Die größte Divergenz des glatt geteilten Elektorats (48,3 zu 48 Prozent) besteht in dem markanten Milieugefälle. Städte und Vorstädte an der West- und Nord-Ostküste haben sich als Bastionen der Demokraten konsolidiert, während Gore im L-förmigen Kernland, von den Rocky Mountains über die Great Plains bis in den tiefen Süden, sogar hinter Michael Dukakis, den unterlegenen demokratischen Bewerber von 1984, zurückgefallen ist. Der Kolumnist des US News & World Report, Michael Barone, drückte es so aus: Die Apalachen votierten für Bush, Beverly Hills für Gore. Fragen wie Abtreibung, Waffenkontrolle und gleichgeschlechtliche Ehen spielen dabei eine Rolle, auch das Geschlechterverhältnis und Unterschiede im Lebensstil: Verheiratete Männer und Kirchgänger sind eine Bank für die Grand Old Party, die „neue Klasse“ der Wissensarbeiter tendiert zu den Demokraten, genau wie Gewerkschafter und Staatsbedienstete. Das ist, wie man gesehen hat, nicht genug für einen Wahlsieg.

Fürderhin kommuniziert nicht mehr der Gouverneur von Texas mit der Bevölkerung des Hinterlands, sondern der Präsident mit einer zynischen politischen Klasse in Washington und ihm nicht sonderlich wohl gesinnten Medien. Und er hat Bringschulden: Seine Anhänger erwarten eine kräftige symbolische Distanzierung von den verhassten Clinton-Jahren, das republikanische Establishment einen guten Teil der Macht, nicht zuletzt will auch der Oberste Gerichtshof ein Dankeschön.

Gelüste nach einer konservativen Restauration hatte der Kandidat hintangestellt, die religiöse Rechte, die ihn bei den Vorwahlen in South Carolina gerettet hat, ist seine Sache nicht. Er favorisiert Zentrismus und „bipartisanship“, also Kompromisse unter Einbeziehung möglichst vieler Demokraten. Wenn Bushs Wunschliste die Hearings übersteht, beherrschen im Kabinett die Manager die Ideologen. Man findet in ihm eine große Zahl von „Bushies“, ältere Herrschaften aus der Entourage des Vaters und allen republikanischen Regierungen seit Gerald Ford, die in den Chefetagen der Old Economy (Öl, Aluminium, Pharma) überwinterten. Den Ton geben Militärs an: die Exverteidigungsminister Cheney und Rumsfeld und vor allem Golfkrieger Powell. Dem künftigen Gegenüber Joschka Fischers wird schon jetzt die Statur eines Henry Kissinger zugeschrieben.

Um diesen harten Kern herum gruppieren sich Konservative, die ideologischer gestrickt sind, allen voran der bekennende Fundamentalist John Ashcroft als Kandidat für das Justizministerium. In Sachen „Lebensschutz“ und Jugendstrafvollzug, Todesstrafe und Waffenkontrolle hat er sich als Hardliner profiliert und steht für die Aufweichung der verfassungsmäßigen Trennung zwischen Kirche und Staat. Mit ihm bekommt der erste wirklich radikale Rechte ein Regierungsamt von Bedeutung, und zusammen mit der entsprechenden Besetzung bald anstehender Vakanzen im Supreme Court wird der Weg zurück nach Alt-Amerika beschleunigt.

Außenpolitik spielt für Wahlentscheidungen in den USA kaum eine Rolle, im Wahlkampf sollen dazu eher pro forma gestellte Fragen die Amtserfahrung eines Bewerbers testen. Von einem Texas-Gouverneur, der selten außer Landes war, ist diesbezüglich wenig zu erwarten; noch vor kurzem hielt er „Taliban“ für den Namen einer Rockband. Aber man unterschätze nicht die Entschiedenheit seiner „realistischen“ Position, die ihm eine Gruppe ebenso erfahrener wie zielorientierter Berater aus Vaters Schule beigebracht hat, dessen „Idealismus“ aber weit hinter sich lassend. Hatten sich auch Clinton und Gore noch zu einem wertorientierten Interventionismus bekannt und Amerika als Vorbild für alle Welt angepriesen, hängt Bush Junior in Übereinstimmung mit der Mehrheit im Lande diese Mission erheblich tiefer und will ausschließlich „vitale Interessen“ verfolgen. Sein Credo, Amerika nicht in „Nationen-Bildungen“ einzuschalten, entspricht Powells Maxime, nur „hineinzugehen, um zu gewinnen“ – und das aus möglichst großer Höhe. Die anvisierte Arbeitsteilung sieht vor, dass regionale Streitkräfte an den „hot spots“ zum Einsatz kommen, während die USA mit intelligenten Waffen und Computertechnik die globale Kontrolle übernehmen, ohne Bodentruppen, schon gar nicht für friedenserhaltende Maßnahmen.

Der Abzug amerikanischer Truppen vom Balkan dürfte eine Frage der Zeit sein. Damit wird Amerika bereits weniger „europäische Macht“ sein, was Clintons Balkan-Unterhändler (und derzeitiger UN-Botschafter) Richard Holbrooke vor wenigen Jahren noch unterstellen konnte und für Bush Senior selbstverständlich war. Das pazifische Becken wird, im Guten wie Schlechten, bevorzugte Arena amerikanischer Außenpolitik sein. Das bedeutet nicht, die USA würden per se angriffslustiger, aber seine geostrategischen und geoökonomischen Alleingänge dürften ungenierter werden. Auch im Kongress hat sich in Abkehr von der „neuen Weltordnung“ ein tief greifender Paradigmenwechsel ergeben: Amerika begegnet der äußeren Welt mit offenem Misstrauen, und beide Häuser wollen die Überreste des Multilateralismus kippen, der die Supermacht in die Weltgemeinschaft eingebunden hatte – Vereinte Nationen, OSZE und dergleichen sind ziemlich passé. Erst recht werden keine neuen Selbstbindungen im Sinne transnationalen Regierens eingegangen, wie sie im Hinblick auf globale Umweltregime, internationales Strafrecht und Entwicklungshilfe notwendig wären, von grenzüberschreitendem Verbraucher- und Datenschutz oder gemeinsamen Vorkehrungen gegen die Eskapaden des biotechnologischen Komplexes ganz zu schweigen.

John Ashcroft ist der erste wirklich radikale Rechte, der ein Regierungsamt von Bedeutung erhält

Die Ernennung von Donald Rumsfeld zum Pentagon-Chef gibt ein deutliches Signal, dass die Vereinigten Staaten am strategischen Schutzschild über dem eigenen Territorium gegen „Schurken“ wie Iraks Saddam Hussein und Terroristen wie Ussama Bin Laden festhalten. Pearl Harbor 2001: Ob man so den sicherheitspolitischen Herausforderungen gewachsen sein wird, ist müßig zu spekulieren. Aber sollte die Lage rauer werden, müssen die Verbündeten häufiger auch mit „friendly fire“ rechnen. Der Schaden für das Nato-Bündnis, das die USA – nach den politischen Kollateralschäden des Kosovokriegs – in Sachen „Balkan-Syndrom“ erneut brüskiert haben, ist bereits sichtbar, die Folgen für das Verhältnis zu Russland und China noch gar nicht absehbar. Ob auch die europäischen Verbündeten unter den Schutzschirm geholt werden sollen, ist nicht nur militärtechnisch fraglich, sondern überdies politisch unangebracht, was auch immer transatlantische Schönredner empfehlen werden. Europa hat nun Gelegenheit, politisch erwachsen zu werden und militärisch zu sich selbst zu kommen. Der Wechsel im Weißen Haus stellt also eine Chance dar. Bush Senior war die deutsche Vereinigung zu verdanken, vielleicht wird sein Sohn Geburtshelfer der europäischen Wiedervereinigung.

CLAUS LEGGEWIE

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