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Die Türkei lässt die EU noch weiter warten

Die türkische Regierung streitet über das Brüsseler Partnerschaftsprogramm, die Stimmung wird immer EU-feindlicher

ISTANBUL taz ■ Mit Unverständnis und Kritik haben EU-Diplomaten in Ankara auf die erneute Verschiebung einer türkischen Antwort auf das Brüsseler Partnerschaftsprogramm reagiert. Nach Informationen der englischsprachigen türkischen Daily News wiesen Vertreter von EU-Staaten darauf hin, dass durch die in den nächsten zwei Jahren anstehenden Wahlen sich die politischen Verhältnisse in der EU so ändern könnten, dass für die Türkei die Chance auf einen Beitritt endgültig verspielt ist.

Die EU-Kommission hatte im November ein so genanntes Partnerschaftsprogramm vorgelegt. Darin präzisiert die EU die Voraussetzungen, die die Türkei vor Beginn regulärer Beitrittsgespräche erfüllen soll. Bereits im Dezember hätte die Türkei ihr „Nationales Programm“ mit konkreten Reformvorhaben und einem Zeitrahmen präsentieren sollen. Nachdem die Verabschiebung des Programms bereits im Dezember um einen Monat vertagt worden war, hat die türkische Regierung die Entscheidung jetzt erneut bis zum Frühjahr verschoben.

Der Grund sind Auseinandersetzungen zwischen den drei Regierungsparteien, die durch Interventionen des Militärs noch verschärft wurden. Innerhalb der Regierung ist im Moment nur noch die kleinste Koalitionspartei (Anap) unter Mesut Yilmaz uneingeschränkt für ein EU-kompatibles Reformprogramm. Demgegenüber machen die ultrarechten Nationalisten der MHP immer deutlicher, dass ihnen die ganze Richtung hin zur EU nicht passt. Zwischen den beiden versucht Ministerpräsident Bülent Ecevit zu vermitteln, dessen DSP gegenüber den EU-Forderungen ebenfalls gespalten ist.

Erschwerend für Yilmaz’ Anap kommt hinzu, dass auch die öffentliche Meinung mittlerweile auf eine eher EU-kritische Position umgeschwenkt ist. Seit die EU-Kommission ihr Partnerschaftsprogramm präsentierte, behauptet die Rechte, die Forderung nach kulturellen Rechten für Minderheiten solle das Land spalten, die geforderte Meinungsfreiheit würde den Separatisten eine Propagandaplattform geben, und in der Zypernfrage solle die Türkei gezwungen werden, ihre Brüder und Schwestern auf der Insel zu verraten.

Diese Verschwörungstheorien erhielten zusätzliches Gewicht, als führende Militärs, frustriert durch ihren Ausschluss aus der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die Debatte ebenfalls um so geistreiche Stellungnahmen wie: „Man werde nie zulassen, dass die EU das Land spaltet“, bereicherten. MHP-Chef Bahceli weigerte sich gegenüber Yilmaz und Ecevit kategorisch, in den Fragen kurdisches Fernsehen oder Schulunterricht in kurdischer Muttersprache Konzessionen zu machen. Auch bei der Abschaffung der Todesstrafe blockiert die MHP, solange PKK-Chef Öcalan nicht hingerichtet ist. Kompromissbereitschaft wollen einige Kommentatoren dagegen bei der Neufassung der Bestimmungen der Meinungsfreiheit ausgemacht haben.

Zur größten Krise zwischen Türkei und EU dürfte die Zypernfrage führen. Während der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen darauf hinweist, dass die Zeit für eine Lösung drängt. Während die Griechen drohen, sonst auch die Beitritte Polen oder Ungarns zu blockieren, stärkt Ecevit dem türkischen Oberzyprioten Denktasch den Rücken. Der weigert sich derzeit, an den UN-Gesprächen teilzunehmen.

Die gestrige Verabschiedung einer Resolution zum Völkermord an den Armeniern durch die französische Nationalversammlung wird die Anti-EU-Stimmung in der Türkei weiter anheizen. Schon jetzt zirkulieren Papiere in verschiedenen Zeitungen, in denen armenische Gruppen angeblich Ansprüche auf „Westarmenien“, die heutige Osttürkei, geltend machen. Wenn nach dem europäischen, italienischen und jetzt französischen Parlament bald auch der Bundestag oder das britische Unterhaus ähnliche Resolutionen verabschieden, wird man der türkischen Bevölkerung einreden, die EU sei eigentlich gegründet worden, um die Türkei zu zerstören.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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