piwik no script img

Zölle bleiben

Freier Handel sollte ärmsten Ländern der Welt helfen. Doch die EU-Landwirtschaftsminster haben blockiert

BRÜSSEL taz ■ Eigentlich wollte die EU-Ratssitzung heute über die „Ausdehnung des zollfreien Zugangs zu Erzeugnissen mit Ursprung in den am wenigsten entwickelten Ländern“ abstimmen. Eine knappe qualifizierte Mehrheit für einen Beschluss schien möglich, doch die Landwirtschaftsminister legten sich quer.

Hinter dem sperrigen Titel der Vorlage verbirgt sich die „Everything but arms“ (EBA)-Initiative von Handelskommissar Pascal Lamy und seinem für Entwicklungshilfe zuständigen Kollegen Poul Nielson. Sie hatten vorgeschlagen, alle Handelsbeschränkungen und Zölle für die 48 ärmsten Länder der Erde aufzuheben. Die EU-Landwirtschaftsminister reagierten empört. Sie fürchten, die Billigkonkurrenz aus der Dritten Welt könnte die Preise für Zucker, Reis und Bananen kaputt machen. Rindfleischimporte aus BSE-freien Teilen der Welt könnten sich gar zum Kassenschlager entwickeln und die europäischen Fleischhalden zusätzlich vergrößern. Agrarkommissar Fischler hatte dafür ein offenes Ohr. Vergangenen Mittwoch stellte er sich in Straßburg gegen die Pläne seiner beiden Kollegen.

Nach dem ursprünglichen Zeitplan hätte der europäische Markt zum 1. Januar für die meisten Produkte geöffnet werden sollen. Für Zucker, Reis und Bananen waren Übergangsfristen bis Ende 2004 vorgesehen. Nur Waffen sollten von der Liberalisierung ausgenommen werden. Bei der Präsentation des Plans hatte der nüchterne Technokrat Lamy Gefühl gezeigt: Mit der EBA-Initiative eröffne sich der Union die Möglichkeit, nicht immer nur über Armutsbekämpfung zu reden, sondern einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung dieser Länder zu leisten.

Was für die EU ein kleiner Schritt wäre, könnte die Lage in den Armenhäusern der Erde verbessern: 1998 exportierten diese 48 Länder rund 56 Prozent ihrer Exportwaren im Gesamtwert von 8,7 Milliarden Euro in die EU. Aus EU-Perspektive entspricht das einem Importanteil aus Drittländern von etwas mehr als einem Prozent. Das Institut für Entwicklungsstudien hat im Auftrag von Oxfam ermittelt, dass 39 der betroffenen Länder zur AKP-Gruppe gehören, die von der EU bereits jetzt durch Handelsvergünstigungen gefördert wird. Gegenüber den verbleibenden neun Ländern gilt die Meistbegünstigungsklausel mit niedrigen Zollsätzen. Würden die abgebaut, entstünde der Union nach Schätzung des Instituts ein Einnahmeausfall von sieben Millionen Euro. Ob dieses Geld allerdings den Produzenten in den ärmsten Ländern zugute kommt oder im Zwischenhandel hängenbleibt, kann heute niemand voraussagen. Möglicherweise kann ein Teil des Exports aus der Region nach Europa verlagert werden, um dort bessere Preise zu erzielen.

All diese Spekulationen bewegen sich aber auf unsicherer Zahlengrundlage, wie das Institut betont. Ein Vergleich der Außenhandelsziffern von Eurostat und der UN-Agraragentur FAO macht deutlich, dass keine gesicherten Statistiken über den Export aus den ärmsten Ländern der Erde vorliegen. Die Angst der europäischen Erzeuger vor der Billigkonkurrenz halten die Experten jedenfalls für unbegründet. Angesichts der Produktionsmengen, um die es geht, wirkt die Reaktion der europäischen Zuckerindustrie auf die Lamy-Initiative hysterisch: 18 Millionen Tonnen Zucker werden jährlich in der EU produziert. Selbst wenn es den ärmsten Ländern gelingen würde, ihren Import um ein Drittel zu steigern, kämen nur 100.000 Tonnen mehr auf den Markt.

Morgen wird Lamy dem Agrarausschuss des EU-Parlaments Rede und Antwort stehen. Vielleicht wird er von seiner Bauernverwandtschaft erzählen, die ihm wegen der EBA-Initiative keine Weihnachtsplätzchen mehr schickt. Rache ist süß – besonders im Zuckerkrieg.

DANIELA WEINGÄRTNER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen