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Die Konkurrenz ist schuld

Das Chaos in der Union ist auch ein Ergebnis fehlender Maßstäbe in der Politikberichterstattung der Berliner Republik. Wo Politik und Medien allenthalben Verschwörung wittern, stellt diese sich von selbst ein. Die CDU-Führungskrise ist aber real

von PATRIK SCHWARZ

„Soll man das noch lesen?“, fragen laut manche Zeitungskäufer. „Soll man das noch berichten?“, fragen verstohlen manche Zeitungsmacher. Eine Meldung vom gestrigen Tage erhellt den Irrsinn, dem derzeit die CDU anheim fällt: Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Repnik, hat gestern bestritten, dass es zwischen Angela Merkel und Friedrich Merz zu einem Streit um anstehende Auftritte im Bundestag gekommen ist.

Vorausgegangen waren Spekulationen, Merz sei dagegen, dass die Parteichefin morgen auf die Regierungserklärung der neuen Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) antworte. Nach Repniks Angaben hat Merz am Montag Angela Merkel gefragt, ob sie nicht in der BSE-Debatte sprechen wolle. Der Fraktionschef ergreift demnach am Freitag in der Debatte zur Zukunft der Bundeswehr das Wort.

Gut möglich, dass es diese Meldung in der einen oder anderen Zeitung auf die Seite 1 schafft. Sie könnte dort dann, je nach Blatt, als Beleg zitiert werden für sehr gegensätzliche Behauptungen: Entweder als Beweis für die weitere Eskalation der Verhältnisse in der CDU (weil es offenbar erst einer Erklärung des Parlamentarischen Geschäftsführers brauchte, um den Sachverhalt klarzustellen). Oder als Beweis fürs Gegenteil, nämlich eine vorübergehende Beruhigung der Lage (weil sich beide Seiten offenbar geeinigt haben).

An objektiven Kriterien lässt sich der Unterschied nicht mehr festmachen – und das ist das gemeinsame Merkmal der jüngsten Debatten um die Verfassung der Union. Die allseits besprochene Krise der CDU ist also nicht zu verstehen ohne einen Blick auf die selten beleuchteten Verhältnisse, unter denen in der Berliner Republik über Politik berichtet wird. Natürlich gibt es die zweifelsfreien Pleiten der CDU. Das Fahndungsplakat, das den Bundeskanzler zum Rentenbetrüger stempelte, war so ein Fall. Dabei haben reale Personen reale Fehler gemacht, für die sie in ihrer Partei ziemlich reale Prügel einstecken mussten.

Anders liegt der Fall bei Friedrich Merz und seinem Satz zur Kanzlerkandidatur 2002. „Es liegt in der Natur der Sache, dass der Fraktionsvorsitzende in Frage kommt“, sagte er am letzten Donnerstag auf hartnäckiges Drängen bei einem Pressefrühstück vor geladenen Journalisten. Banaler kann eine Aussage zu dem Thema nicht ausfallen – in der aufgeheizten Berliner Atmosphäre reichte sie, eine Flut von Berichten über einen neuen Führungsstreit in der CDU auszulösen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei nicht nur die Konkurrenz der Medien untereinander, sondern auch das Verhältnis zwischen den Zentralredaktionen in München, Hamburg oder Köln und ihren Korrespondentenbüros in Berlin. Die Berichterstatter vor Ort wollen die Zentrale mit dramatischen Geschichten beeindrucken, umgekehrt erwartet die Zentrale von ihren Korrespondenten, ja nicht weniger Drama zu liefern als die anderen Medien. An einem Realitäts- wie Relevanzfilter haben beide Seiten nur wenig Interesse.

So bezweifelten im Fall Merz selbst professionelle Beobachter der Union, dass der Fraktionschef eine ernsthafte politische Aussage machen wollte. Geschrieben wurden die Kommentare und Analysen trotzdem. Der Effekt: Wo alle allenthalben Verschwörung wittern, stellt sie sich von selbst ein. So kritisierte erst Thomas Goppel (CSU) Friedrich Merz (CDU), dafür wiederum Peter Hintze (CDU) Thomas Goppel (CSU). Bis dem CSU-Generalsekretär gestern einfiel, der Streit um Merz’ Satz sei „von Fremden hereingetragen“ worden. Wahr bleibt bei alledem: Einer glücklichen Union würde das nicht passieren.

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