hannibal, der alberne kannibal:
von HEIKE RUNGE
Seit ein paar Tagen herrscht Alarmstufe Rot in selbst ernannten Filmfachkreisen. Denn heute Abend kommt Ridley Scotts neuer Film „Hannibal“ in die Kinos. Erst sah es so aus, als würde es nichts mehr mit der Fortsetzung von „Das Schweigen der Lämmer“. Hundertschaften von Drehbuchschreibern schliefen über Thomas Harris’ speckiger Gruselgeschichte ein. Das Buch schrie nicht gerade nach einem Drehbuchautor, sondern eher nach einem vernünftigen Lektor mit profunden geografischen Kenntnissen. Der hätte dem Autoren erklären können, warum der Schauplatz des Gemetzels, Sardinien, nicht „in der Nähe von Europa“ liegt. Und zwar so was von nicht „in der Nähe“.
„Hannibal“ ist ein albernes Buch. Worum geht’s? Schweine greifen Menschen an. Die Natur ist aus den Fugen, und wir sind nichts weiter als ihr Knabbergebäck. „Molson Verger war ein Pionier auf dem Gebiet der Tierzucht, vor allem in Belangen der Wirtschaftlichkeit (...) Molson Verger verfeinerte die Futtermittel für seine Schweine, indem er Tiermehl, gemahlene Hühnerfedern und Mist in einem Maß beimischte, das selbst für damalige Verhältnisse als kühn angesehen wurde. In den Vierzigerjahren galt er als verwegener Visionär, der als Erster den Schweinen frisches Trinkwasser vorenthielt und sie eine Mixtur aus vergorenen tierischen Abfällen saufen ließ, um die Gewichtszunahme zu beschleunigen“, schreibt Harris, und das Ganze liest sich so unspannend und langweilig wie die wöchentliche BSE-Reportage im Stern.
Eines aber hat noch niemand behauptet, dass dieser Stoff irgendwie ansteckend ist. Doch schon vor dem Filmstart haben Politiker Dinge gesehen, die nie zuvor ein Mensch gesehen hat. „Politiker finden ‚Hannibal‘ unerträglich und pervers“, titelte die Bild-Zeitung. Das Infektionsrisiko sei hoch, warnt Bayerns Innereienminister Günther Beckstein. Er findet es „unerträglich, dass durch solche Filme alle möglichen Psychopathen inspiriert werden“. Wenn solche Filme gezeigt werden, dürften wir uns „nicht wundern, wenn es immer mehr pervers-kriminelle Auswüchse gibt“, warnt der CSU-Mann, der zumeist das ratzfatz verbieten will, was entfernt an ihn selbst erinnern könnte: Kampfhunde, Rechtsextreme und jetzt einen irren Psychopathen.
Auch die überaus kluge SPD-Medienexpertin Monika Griefahn, von der man nicht weiß, wie sie ausgerechnet an den Posten einer Kulturausschussvorsitzenden gekommen ist, äußert sich in der Bild zum unbesehenen Schweinefilm: „Wir dürfen unsere Kinder mit dieser Gewalt nicht allein lassen.“ Kinder kommt immer gut, wenn etwas unterbunden werden will. Bloß keine eigenständige Entwicklung zulassen. Am besten den Schrecken dieser Welt einfach verbieten. Genial, diese SPDler. Ob Ignoranz auch ansteckend ist?
Vor ein paar Tagen bewies ein Kandidat der Millionärsshow bei Sat.1 profunde Kenntnisse auf dem Gebiet des Horrorfilms, indem er auf die Frage nach dem Protagonisten von „Hannibal the cannibal“ instinktsicher antwortete: „Ich tipp mal auf ‚Hannibal the ripper‘“. Welch ein Trottel.
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