deutschland, einig finkelstein:
von WIGLAF DROSTE
Der 7. Februar 2001 ist ein aufschlussreicher Tag für Beobachter deutscher Befindlichkeiten. Norman Finkelstein stellt in Berlin sein Buch „Die Holocaust-Industrie“ vor. Auf einen Messias von der Stange haben viele Deutsche jahrelang gewartet, auf einen, der endlich ihr kindisches, aggressives Bedürfnis nach Erlösung befriedigt. Zwar spricht Finkelstein, als spule er in seinem Kopf ein Endlosband ab, aber das stört seine Anhänger nicht, denn der Mann spricht sie frei und erzählt ihnen, was sie so gern hören: wie gutmütig die Deutschen seien und wie sie ganz schlimm ausgenutzt und betrogen würden von den Juden, denen es auch beim Holocaust wieder nur um Geld gehe. Von „Bereicherung“ redet Finkelstein, von „Wiedergutmachungsschwindel“ und von „kriminellen Erpressern“ – seine deutschen Fans liegen ihm zu Füßen.
Geschwätz dieser Machart gibt es in Deutschland an vielen Ecken gratis. Doch Finkelstein hat gegenüber dem Schlussstricher Martin Walser und seinen willigen Afterplapperern einen unschätzbaren Vorteil: Er ist Jude und damit der ideale Kronzeuge für Deutsche, die sich von der Last der Geschichte befreien wollen. Antisemitismus ist die Religion der Kleinbürger, das Lieblingsressentiment all derer, die immer einen brauchen, den sie im Verein mit vielen anderen hassen dürfen, weil sie selbst und ihr Leben so schäbig sind. Für dieses klebrige deutsche Gebräu aus Heil! und Heilungsbedarf ist Norman Finkelstein der adäquate Heiland: Mit seiner Hilfe können verdruckste Deutsche sich einen Freiheitskampf für eine selbstbewusste Nation vorspielen und dabei noch mit dem Finger auf andere zeigen.
Weil sie nichts wissen wollen, behaupten die Finkelstein-Claqueure penetrant, sie wüssten schon viel zu lange viel zu viel. „Nie wieder Auschwitz!“ ist zum nationalen Schlachtruf geworden. Er beschreibt keineswegs den Wunsch, die industrielle Massenvernichtung von Menschen möge sich nicht wiederholen, sondern vielmehr das geheiligte Recht der Deutschen, von ihren Verbrechen nichts mehr hören und kein Opfer entschädigen zu müssen.
„Nie wieder Auschwitz!“ war auch die Parole der deutschen Regierung beim Eintritt in den Krieg der Nato gegen Jugoslawien im Jahr 1999. Hin und wieder brauchen die Deutschen es noch, ihr gutes altes Auschwitz: wenn es gilt, neue eigene Verbrechen moralisch zu decken. Am Tag nach Finkelsteins Berliner Auftritt zeigte die ARD den Dokumentarfilm „Es begann mit einer Lüge“. Die Autoren Jo Angerer und Mathias Werth weisen akribisch nach, dass Rudolf Scharping log, als er den militärischen Einsatz mit Massakern und Konzentrationslagern begründete. Scharping, mit seinen Widersprüchen konfrontiert, reagiert vollkommen unsouverän. Versteinert sitzt er da, wie in sich selbst eingenäht, die Wahrheit aggressiv abwehrend, zwanghaft, knurrend, pathologisch: eine Fußmatte, auf Rache für was auch immer sinnend. Hätte es die Schoah nicht gegegeben, Scharping hätte sie erfunden, um seiner billigen Existenz Gewicht zu verleihen. Rudolf Scharping ist Norman Finkelstein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen