: Der Pirat ist im Kommen
Ob Draculas, Clowns oder Teletubbies: Ein Hamburger Kostümverleih für Kinder rettet Eltern über die Faschingszeit ■ Von Kaija Kutter
Klar, am kreativsten ist es, Kostüme selber zu machen. Drei rote Bommel an ein weißes T-Shirt, bunter Kragen dran, fertig ist der kleine Clown. Aber Faschingszeit kommt ebenso wie Weihnachten und Ostern immer wieder, und je älter die Kinder werden, desto ausgefallener die Wünsche und Ideen. Die Schwestern Andrea (33) und Birgit (38) Haertel bieten einen besonderen Service für hilflose Eltern, die sich nicht in der Lage sehen, mal eben ein Tigerkostüm zu schneidern, aber ihren Kindern den Spaß an der Verkleidungsparty nicht nehmen wollen. Für 15 Mark am Tag verleihen sie Kinderkostüme bis Größe 140. Günstig, wenn man bedenkt, dass ein Neues im Kaufhaus das Sechsfache kostet.
„Wir feiern selber mit unseren Kindern gerne Fasching“, sagt Birgit Haertel. Deshalb habe sie vor sechs Jahren privat von ihrer Wohnung aus den Verleih begonnen. Inzwischen quellen die Kleiderstangen in der Ladenwohnung an der Bramfelder Fabriciusstraße über: rund 1000 Kostüme, zu 98 Prozent selbst genäht, hat „Haertel Cou-ture“ im Angebot. Im Augenblick herrscht Hochkonjunktur, pro Tag kommen bis zu 100 Kunden in den Laden. In der Woche vor Aschermittwoch feiern die umliegenden Schulen und Kindergärten die obligatorische Verkleidungsparty. „Rosenmontag wird es hier ganz eng“, sagt Andrea Haertel. Da werden Kostüme zurückgebracht, in der Industriewaschmaschine gereinigt und zwei Stunden später noch mal verliehen.
Viele der bunten Roben sind für die heißen Tage schon ausgebucht. Bauchtänzerinnen und Schneeköniginnen zum Beispiel sind schon vergeben. Allerdings haben die Schwestern erst am Vortag an den Nähmaschinen im Hinterraum zwei neue Hawaitänzerinnen-Kos-tüme gefertigt. Und vier Seeräuber-Kostüme am Wochenende davor. „Der Pirat ist überraschender Weise wieder im Kommen“, sagt die jüngere Schwester. Dabei sei der Trend eigentlich umgekehrt: Eltern wollen für ihre Kinder Klassisches wie Indianer oder Cowboy, die Kinder wiederum lieber Dracula oder Ninja-Turtle. Als im vergangenen Winter die Teletubbies modern waren, wurden auch diese geschneidert. Bei den Pokémon allerdings wollen die Haertels streiken: „Das ist zu kurzlebig und will im nächsten Winter keiner mehr haben.“
Die Kostüme ähneln denen, die es im Kaufhaus zu erwerben gibt, sind aber aus festeren Stoffen, meist Panelsamt, genäht. Geht etwas kaputt, sollen die Kunden es sagen, damit die Näherinnen es reparieren können. „Bei den Kinderkostümen haben wir noch nie mutwillige Schäden gehabt“, sagt Andrea Haertel. Lediglich bei größeren Roben für Erwachsene (20 Mark pro Tag) komme es schon mal zu Brandlöchern durch Zigaretten. Weniger zuverlässig seien die Kinder beim Zurückbringen von Accessoires wie Kronen, Schwertern und Pistolen. Weil diese oft verloren gingen, werden sie nicht mehr verliehen, sondern nur noch verkauft.
Zum Nähen sind die Geschwis-ter, die beide Germanistik studiert haben, über Andreas Handicap gekommen. Sie verlor als Teenagerin ihre Haare und braucht immer neue Mützen. Ihre Schwester entwarf ausgefallene Zipfel-Modelle aus Fleece-Stoff. Bald stellten sie diese in Serie her und boten sie auf Märkten zum Kauf an. Als dann die eigenen Kinder kamen, merkten die beiden, wie groß der Bedarf an gut durchdachter Kinderkleidung ist. Übers Jahr stellt die kleine Firma deshalb Kinderjacken und Sweat-Shirts her, deren Form und Farbe Eltern auf privat organisierten Verkaufsparties auswählen können.
„Lieber wäre uns, wir könnten das ganze Jahr nur Faschingskleidung machen“, sagt Birgit Haertel. „Die Leute, die herkommen, um sich Kostüme auszusuchen, haben immer gute Laune. Das bringt uns viel Spaß.“ Doch wenn der Februar vorbei ist, hat der Laden nur noch dienstags und donnerstags geöffnet, und die Ausrüstungen für Vampirprinzessin und Spinnenfrau warten sehnsüchtig aufs herbstliche Halloween.
Haertel Couture, Fabriciusstraße 265, 22177 Hamburg, 040/642 70 14
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen