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Grüner Pate, grüner Zauber

Der Parteienforscher Joachim Raschke legt in seinem neuen Buch fundamentale Schwächen der Grünen bloß. Fritz Kuhn und Franz Müntefering nutzen die Buchpräsentation zu einer unterhaltsamen Plauderei über Macht und Führung in der Politik

von JENS KÖNIG

Joachim Raschke ist ein Riese. Ein Zweimetermann. Wenn er interviewt wird, stellen sich die Fernsehreporter auf kleine Kisten, damit sie auf einer Augenhöhe mit ihm reden können. Diese fast unverschämte Körpergröße gibt dem, was Raschke zu sagen hat, auf eine kaum fassbare Art und Weise eine hohe Überzeugungskraft. Raschke hat dieses zusätzliche Argument nicht nötig; der Hamburger Politologe ist einer der renommiertesten Parteienforscher der Bundesrepublik. Aber es erhöht die Wirkung seiner Botschaften. Sie fallen, präzise vorgetragen, von ganz oben auf seine Zuhörer herab.

Ganz unten saß gestern Fritz Kuhn, der Parteichef der Grünen. Dass er im Vergleich zu Raschke zunächst etwas klein aussah, lag nicht nur an seinen 1,68 Meter Körpergröße, sondern vor allem an dem Buch, das auf der Veranstaltung in Berlin vorgestellt wurde. „Die Zukunft der Grünen“ heißt es, und darin fällt Raschke, der die Partei seit ihrer Gründung als Wissenschaftler begleitet hat, ein paar Urteile, die Kuhn nicht gefallen können: Den Grünen fehlten klare politische Ziele, strategisches Wissen und eine starke Führung. Sie seien eine „blockierte Partei“.

Aber je länger Raschke dem Publikum seine Kernthesen erläuterte, desto mehr musste Kuhn schmunzeln. Schließlich drehte er lässig Däumchen. Er konnte sogar so tun, als hätte er das Lob des Wissenschaftlers überhört. Kuhn sei der erste grüne Parteichef, der die Macht wirklich ergriffen habe, hatte Raschke gesagt. Kuhn sei auch der Einzige, dem der „grüne Pate“ Joschka Fischer zugleich vertraut und etwas zutraut. „Ich bin nicht hierhergekommen, um alles zu dementieren“, antwortete Kuhn – kurze Pause, um die Wirkung zu steigern –, „aber wenn man das Buch liest, versteht man nicht so richtig, warum es die Grünen noch gibt.“ Da huschte sogar dem trockenen Franz Müntefering, der neben Raschke und Kuhn auf dem Podium saß, ein Lächeln übers Gesicht.

Vielleicht versteht der SPD-Generalsekretär das mit den Grünen ja selbst nicht. Darauf deutete seine Bemerkung hin, ihm sei diese Partei früher deswegen komisch vorgekommen, weil sie sich um Schmetterlinge gekümmert habe, um Sachen also, die er als alter Sauerländer und Sozialdemokrat nicht so gut kenne. Außerdem habe er sich immer schon gewundert, wie die Grünen ohne ein ordentliches Parteipräsidium überleben konnten. Kuhns Bemerkung, auch von informellen Strukturen gehe eine Art Zauber aus, machte die Sache für Müntefering nicht klarer. Im Gegenteil.

Er als SPD-Generalsekretär, erzählte Müntefering, habe in Raschkes Buch vor allem die Stellen angestrichen, die er den Leuten in seiner Partei unter die Nase reiben könne. Dass eine Partei ein klares Machtzentrum brauche, das habe ihm besonders gefallen. Aber Müntefering stellte klar, dass in einer Partei, die regiert, das Machtzentrum in der Regierung liege. Und das komplizierte Dreieck Regierung, Fraktion, Partei kriege man nur mit einer kleinen Führungsmannschaft und permanenter Kommunikation in den Griff. Das Machtzentrum der Regierung komme montags, mittwochs und freitags zu Lagebesprechungen zusammen, und dazwischen würde dauernd telefoniert, berichtete Müntefering. Kuhn, der auch ganz gut telefonieren kann, sagte, dass in seiner Partei kein Kommunikationsregiment herrsche. Die Grünen seien eine diskursive Partei.

Wenn das Machtzentrum so wichtig sei, wurde Müntefering gefragt, würde die rot-grüne Regierung dann auch überleben, wenn Joschka Fischer stürze? „Das ist doch eine Fangfrage“, antwortete Müntefering, „wenn, dann – was soll das?“ Willy Brandt habe immer gesagt: Wenn meine Oma Rollschuhe hätte – hat sie aber nicht. Wahrscheinlich gehört das zu dem, was Müntefering das „Geheimnis der Kommunikation“ genannt hat. Der Kommunikationswissenschaftler Fritz Kuhn weiß, was sich dahinter verbirgt. Wie er die Perspektive der Grünen sehe, lautete die letzte Frage, düster oder rosig? „Rosig“, antworte Kuhn. Und musste lachen.

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