: Polizeischutz für Propaganda
Gemeinsam Geschichte bewältigen: Das Jüdische Museum Fürth hat den Film „Jud Süß“ gezeigt. Deshalb gibt es nun einen Streit – wird die Aufklärung über die Täter zu einem Zynismus gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus?
Das Andenken an die tausendjährige jüdische Geschichte Deutschlands in wissenschaftlichen Sammlungen zu konservieren, hätte der Bundesrepublik Deutschland schon vor Jahrzehnten gut angestanden. Im Subtext eines jüdischen Museums in Deutschland artikulierte sich ganz automatisch das schmerzhafte Eingeständnis: Deutschlands jüdisches Leben wurde zwischen Reichspogromnacht und Befreiung vernichtet.
Im nordbayerischen Fürth wurde dennoch erst 1990 über das Vorhaben „Jüdisches Museum Franken“ nachgedacht und ein Trägerverein gegründet. Die Stadt kann sich als Standort durchaus mit Frankfurt oder Berlin messen, wo zeitgleich ähnliche Häuser entstehen. Während der historischen Blütezeit im 18. Jahrhundert war ein Fünftel der Fürther Bevölkerung jüdisch. In der Produktion religiöser Buchdrucke rangierte Fürth im europäischen Vergleich gleich hinter Amsterdam auf dem zweiten Platz.
Der Verein saniert ein unscheinbares Haus aus dem Dreißigjährigen Krieg, das 200 Jahre lang eine hebräische Druckerei beherbergte und später eine Spiegelfabrik. Die historische Laubhütte wird rekonstruiert, die Mikwe, das Ritualbad im Keller, mit Grundwasser gespeist, im Erdgeschoss werden eine Buchhandlung und ein Café eingerichtet. Weil der Kurator Bernhard Purin den 1.000 Jahren realer jüdischer Geschichte mehr Bedeutung beimisst als einem zwölf Jahre dauernden 1.000-jährigen Reich, wählt er ein Ausstellungskonzept, das nicht um den Holocaust zentriert ist. Chronologisch nüchtern startet seine Besucherführung mit mittelalterlichen Funden aus dem Nürnberger Ghetto. Als dieses im 16. Jahrhundert geschleift wurde, durften sich die ersten Juden in Fürth ansiedeln. 1670 kam die aus Wien vertriebene jüdische Gemeinde hinzu, Fürth wurde jüdische Weltstadt. Objekte aus der religiösen Hoch-Zeit leiten zur weltlichen Emanzipation des 19. Jahrhunderts über.
Wenige Zimmer später warnt der Schriftsteller Jakob Wassermann, 1873 in Fürth geboren, vor dem chauvinistischen Antisemitismus der Zwischenkriegszeit. Mit dem Modell der in der Reichspogromnacht zerstörten Hauptsynagoge bricht die Chronologie ab. Erst mit den Displaced Persons nach 1945 hält auch der Holocaust im Museum Einzug. Die Räume des Nachkriegs erzählen davon, wie die Dimension des faschistischen Terrors kaum zu vermitteln ist. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber spricht zur Eröffnung im Juli 1999 – und weist auf das Schicksal deutscher Heimatvertriebener auch in Fürth hin.
„Wir finden es gut“, so schrieb die Klasse 8 c des Melanchton-Gymnasium Nürnberg in einem Leserbrief an die Fürther Nachrichten vom 25. November 1999 über Purins Museumskonzept, „dass nicht der Holocaust, über den sowieso viel berichtet wird, sondern der jüdische Alltag im Mittelpunkt steht.“ Damals war den Fürthern plötzlich aufgefallen, dass Purins Museum keine Gedenkstätte an den Holocaust ist. „Fürther Täter, von denen es einige später sogar zum städtischen Ehrenbürger gebracht haben, kommen überhaupt nicht vor“, so Siegfried Imholz am 18. 11. in einer Leserbriefdebatte, die bis Mitte Januar in den Fürther Nachrichten tobt. „Angesichts der gegenwärtigen Konzeption des Museums stimme ich jenem jüdischen Besucher zu, der empört in das Gästebuch geschrieben hat, dass hier der Holocaust zum zweiten Mal stattfindet.“ Imholz verdrängt, dass die Tatsache, dass diese Täter in der Fürther Heimatgeschichte nicht vorkommen, nur dem Fürther Stadtmuseum anzulasten wäre.
Bernhard Purin will die Fürther dahin führen, diese Zusammenhänge zu erkennen und anzuerkennen. Deshalb arbeitet sein Haus mit dem Dokumentationszentrum zu den NS-Verbrechen zusammen, das kommenden Herbst auf dem Reichsparteitagsgelände im benachbarten Nürnberg eröffnet wird. Fünfzehn Monate nach Imholz' empörtem Leserbrief kündigte nun Purin für den 19. Februar 2001 eine Aufführung von Veit Harlans Propagandafilm „Jud Süß“ an – im Rahmen einer Sonderausstellung in seinem Museum über den Bankier und Höfling Joseph Süß Oppenheimer und die Rückkopplung seiner Rezeptionsgeschichte auf den deutschen Antisemitismus. Am 6. Februar geht gegen Purin Strafanzeige wegen Volksverhetzung ein.
„Dass im Jüdischen Museum dieser Film gezeigt werden soll“, so Rabbi Nethal Wurmser gegenüber den Fürther Nachrichten, „ist das Schlimmste, was wir uns vorstellen könnten.“ Joel Berger, Sprecher der deutschen Rabbinerkonferenz, nimmt seine Zusage zurück, „Jud Süß“ kommentierend zu begleiten. Haim Rubinzstein, Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde, fordert Purins Rücktritt. Und Ralph Giordano veröffentlicht am 18. Februar in den Nürnberger Nachrichten einen Artikel, in dem er aus seiner Biografie als NS-Opfer die Empfehlung ableitet, die Veranstaltung abzusagen, denn deutsche Juden könnten sich die Frage stellen, ob sie besser „die Koffer packen sollen“.
Die Museumskomission verlegt die Veranstaltung in die Volkshochschule. Eine Recherche der Fürther Nachrichten ergibt: „Jud Süß“ wurde in Fürth seit 1980 mindestens zwei Mal gezeigt. Ohne Proteste. Awi Blumenfeld, Uni-Dozent in Ramat Gan/Israel, in den Fürther Nachrichten: „Die Aufführung und Diskussion eines Films wie ‚Jud Süß‘ (...) ist gerade in Deutschland in einem jüdischen Museum (...) ein Ding der Notwendigkeit.“ Die Besucherzahl am 19. Februar ist auf 40 beschränkt. Der Polizeischutz erweist sich als überflüssig. Purin hat einen Etappensieg errungen; nun hofft er, dass die hitzige Debatte sich in eine sachliche Auseinandersetzung verwandelt, und kündigt für Anfang März eine Podiumsdiskussion über sein Haus an. Dass Fürth bis dahin zur Ruhe kommt, ist nicht zu erwarten. Erst die Verleihung des Europäischen Museumspreises in Pisa am 19. Mai könnte seine Kritiker zu leiseren Tönen verleiten. Dann, so Purin, wird hoffentlich das gemeinsame Anliegen wieder wichtiger sein als das Wie: die Wachsamkeit vor Antisemitismus und das konsequente Auftreten gegen jede Form von Rassismus. MARTIN DROSCHKE
Jüdisches Museum Fürth, So. – Fr. 10 – 17 Uhr, Di 10 – 20 Uhr. Ausstellung über Joseph Süß Oppenheimer: bis 29. Juli
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