: Highlife mit Down-Syndrom
Led Zeppelin, Schlager und Karaoke: Einmal im Monat feiern Behinderte und Nichtbehinderte zusammen ihren Club der Schlumper im Schlachthof. Mit Pflegern, aber ganz ohne Bevormundung ■ Von Mona Hope
Es ist mitten in der Woche, aber auf dem Schlachthofgelände im Karolinenviertel hört es sich nach Wochenende an. Bässe hämmern den BesucherInnen schon auf dem Hof entgegen und weisen den Weg zur Disco. Aber es ist keine normale Party, die dort steigt, und das ist spätestens am Eingang nicht mehr zu übersehen. Um die Kasse herum ist es eng, und es dauert eine Weile, bis die kleine Frau im Rollstuhl mit ihren „fünf Mark, nur fünf Mark“-Rufen durchdringt. Sie hat das Down-Syndrom. Wie sie sind die meisten der BesucherInnen an diesem Abend geistig behindert. Und extra für sie ist diese Party auch gedacht.
Einmalig ist die Veranstaltung in dieser Form in Hamburg. Yvonne Koos, die Veranstalterin, hatte das Konzept in Dänemark entdeckt, und die Idee mit nach Hamburg gebracht. „Wir wollen den Leuten die Möglichkeit geben, sich genauso zu vergnügen, wie es Nichtbehinderte tun“ erklärt sie. Die Verantwortlichen im Schlachthof fanden das Konzept gut und stellten Räume, Anlage und Tresenkräfte. Der Rest wird von Yvonne Koos mit ihren HelferInnen organisiert. Seit Januar steigt nun diese Party einmal im Monat, und wenn sie ankommt, wird das auch so bleiben.
Es soll eine Faschingsparty sein, und für alle, die es zu Hause nicht mehr geschafft haben, sich schön zu machen, steht ein Schminktisch bereit. Und der ist nötig. Schon gegen acht sind die ersten Tuben leergedrückt, und die Schminke hängt in den Gesichtern ebenso wie an umliegenden Scheiben. Drinnen in der Disco flackern die Scheinwerfer, und der DJ lässt nicht nur die Gläser auf der Theke wackeln. Ralph Dommel heißt er, seine Plattensammlung reicht von Schlagern bis Led Zeppelin, und wie ein Profi lässt er die Lieder ineinander übergehen. Auch Ralph Dommel ist, was man geistig behindert nennt.
Die Musik ist nur ein Teil des Konzepts. Eine Karaokeanlage ist aufgebaut, und je nach Lust darf jedeR, der den Mut aufbringt, sein Lied zum Besten geben. Auch eine Single-Pinnwand wurde eingerichtet. „Es ist für diese Leute ziemlich schwierig, einen Partner zu finden, das wollten wir damit erleichtern.“ Da kleben auch schon die ersten Zettel. Eine Künstlerin, die gerne raucht und Musik hört, sucht einen Mann, der den Kuchen am Besten selbst mitbringt. Vielleicht findet sie ja Christian, der gerne backt, und Moped fährt. Seine Traumfrau soll nicht lügen, schreibt er dazu. Auch an der Bar vergnügt man sich. „Natürlich dürfen hier die Besucher auch Alkohol trinken, es soll eben keine Bevormundung geben“ meint Yvonne Koos dazu.
Und das kommt an. Brigitte nippt an ihrem Sekt, während ihr Freund Norbert mit einem Glas Bier in der Hand seinen Rollstuhl in Millimeterarbeit unter dem Tisch parkt. Brigitte kann heute nicht tanzen, sie hat sich den Arm gebrochen. Ob es ihr hier gefällt? Brigitte sucht nach Worten, und sieht dann hilfesuchend ihren Norbert an. Es sei schön, hier mit vielen Leuten zusammen zu kommen, sagt der. Brigitte nickt. Und nippt noch mal am Sekt. Das geht trotz Gipsarm. Aber das Brot zum Frühstück, das muss ihr Norbert jetzt streichen, sagt sie, und lächelt in sich hinein.
Lars ist zusammen mit Rollifahrer Björn gekommen. Lars ist Zivi und schiebt einen Extradienst, um Björn seinen Wunsch zu erfüllen. Der wollte unbedingt hierher. Ob er nicht lieber in eine „normale“ Disco will? Da kämen zu oft negative Reaktionen, meint Lars, und rollstuhlgerecht seien die wenigsten Clubs in Hamburg. Björn, der bisher zugehört hat, versucht, etwas zu sagen, es fällt ihm schwer. Er nimmt seine Arme zu Hilfe, damit die Worte schneller kommen. „Wir kommen wieder?“ fragt Lars, um sicher zu gehen, dass er ihn auch verstanden hat. Björn lacht und nickt heftig, um seine Worte zu unterstreichen.
Wiederkommen will auch Olaf. Er ist als Hexe verkleidet mit ausgestopftem Busen und Gummimaske. Aber die hat er meistens hochgeschoben. „Ich sehe auch so schon gruselig genug aus“, scherzt er und setzt ein schiefes Grinsen auf. „Das letzte Mal habe ich hier meine große Liebe gefunden“ erzählt er auf die Frage, was ihm hier am besten gefällt. Er ist immer auf Achse, kennt fast alle hier, redet überall mit. Aber er kann auch ernst sein. „Ich bin geistig behindert“, sagt er. „Viele hier sind behindert, das ist der Grund, warum wir hier sind.“ In andere Clubs gehe er selten. „Die schauen uns schief an, dort sind wir unerwünscht.“ Er rückt näher, um sicher zu gehen, dass er verstanden wird. „Hier wollen wir uns vergnügen, und das Vergnügen bieten wir für euch mit an.“
Ganz ohne Schattenseite verläuft die Party diesmal nicht. Mitten auf der Tanzfläche ist jemand umgefallen, hat einen Anfall, erzählt Yvonne Koos. Der Notarzt musste kommen, „das hat die Stimmung doch ganz schön gedrückt“. Eigentlich wollten sie noch einen Preis verleihen für die beste Verkleidung, aber das fiel aus. „Wenn so ein Unfall passiert, kann man eben nicht einfach so weiter machen.“ Auch mit den Besucherzahlen, an die 150 Leute waren da, ist sie nicht zufrieden. Sie hatte mit mehr gerechnet. Wenns gut geht, sind die Kosten für den Schlachthof drin. Wenn die Veranstaltung erst einmal bekannt ist, hofft sie, dass auch der Rest gedeckt ist. Vorerst wird der Schlachthof die Idee auch weiter unterstützen. Bis Juni wird es die Disco einmal im Monat geben, was danach kommt, hängt von dem Erfolg der Partys ab. „Die Veranstaltung muss sich genauso entwickeln, wie jede andere Veranstaltung auch.“
Gegen Mitternacht ist ein gutes Duzend Gäste übriggeblieben. Die meisten sind um den Karaoke-Bildschirm versammelt, und verfolgen dort den Text zum Lied. Olaf ist auch noch da und lässt es bei den 99 Luftballons richtig krachen. Etwas abseits steht ein Junge mit einem Bass, stöpselt das imaginäre Kabel in den unsichtbaren Verstärker und rückt ein umherstehendes Kamerastativ, sein Mikro, zurecht. Dann legt er los, gibt sein Bestes zu jedem Lied. Er wirkt glücklich. Björn ist auch noch da. Auch er strahlt, während sein Körper versucht, den Takt zu halten. Vielleicht hat er Glück, und Lars schiebt am 25. März wieder eine Sonderschicht. Denn dann steigt die nächste Party im Schlachthof, und nicht nur Björn hat sich vorgenommen, wieder zu kommen.
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