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Die Scham ist vorbei

von KOLJA MENSING

Der Mann ist in der Krise. Das ist auch vor den Regalen der Buchhandlung nicht mehr zu übersehen. Immer mehr Neuerscheinungen erklären, „wie das weibliche Denken die Zukunft beeinflussen wird“, wie die „natürlichen Talente der Frauen die Welt verändern“ und warum er selbst, der Mann also, dagegen ein „Auslaufmodell“ ist.

Das 21. Jahrhundert gehört der Frau, und nachdem der Mann seine klassische Rolle als Ernährer der Familie offensichtlich verloren hat, wachsen nun auch die Unsicherheiten in anderen angestammten Bereichen: „Wasser läuft nicht ab?“, wundert sich der irritierte Mann vor der Spüle und muss ausgerechnet in einer Hochglanzzeitschrift nach Hilfe suchen: „Der Abfluss ist verstopft“, erklärt ihm Men’s Health. „Schrauben Sie die Teile auseinander. Achten Sie beim Losschrauben darauf, dass das Rohrknie nicht verdreht wird ... Hilft das nicht? Rufen Sie den Profi.“ Das war’s dann wohl wirklich. Der Mann ist nicht nur den veränderten Bedingungen der Moderne weder physisch noch psychisch gewachsen. Er ist offenbar auch als Heimwerker nicht mehr zu gebrauchen.

Aber immerhin gibt es ja Men’s Health, wo dem Mann von heute nicht nur gezeigt wird, wie man eine Rohrzange richtig hält. Das Magazin ist zusammen mit Blättern wie FHM, GQ oder das für Deutschland erst geplante Maxim angetreten, das angeschlagene Selbstbewusstsein der Männer insgesamt zu stärken – und ihnen einen Weg aus einem widersprüchlichen und vollkommen überladenen Rollenmodell der vergangenen 20 Jahre zu weisen. Frauen machten sich ja gar keine Vorstellung davon, wofür ein Mann stehen müsse, beklagte sich der 32-jährige Schauspieler Jürgen Vogel in der aktuellen Ausgabe von FHM: „Für Schutz und Geborgenheit, natürlich auch für Stärke, aber auch für Verletzlichkeit und Weichheit.“

Das ist zu viel. Während Frauenzeitschriften (und in dieser Woche mal wieder der Stern) immer noch darum bemüht sind, ihren Leserinnen zu erklären, dass man den Dreisprung zwischen Karriere, Kindern und Küche mit Leichtigkeit bewältigen kann, konzentrieren sich die ziemlich erfolgreichen neuen Männerzeitschriften deshalb auf einen einzigen Gegenstand, auf den sie die Blicke ihrer Leser lenken wollen. Es geht um den Körper – und zwar um den männlichen Körper.

Natürlich gibt es auch in diesen Magazinen genau wie bei ihren angestaubten Vorgängern Playboy oder Penthouse Fotos von mehr oder weniger dürftig bekleideten Models, die sich am liebsten auf der Motorhaube eines Sportwagens räkeln und allesamt laut Bildunterschrift noch nicht den richtigen Freund gefunden haben. Doch gleich neben diesen Bildern des eindeutig Imaginären werden Fragen an die reale Physis des Mannes gestellt. „Wetten, dass Sie Ihr Auto besser kennen als Ihren Körper?“, unterstellt Men’s Health und druckt einen Testbogen, an denen sich der „Bodychecker“ beweisen kann: „Was gibt Ihnen die Gewissheit, dass Ihre Spermien in Topform sind?“ oder „Bei Blut im Stuhl sollten Sie den Arzt aufsuchen. Was ist meistens der Grund?“ Eine von drei Antworten ist richtig, bitte ankreuzen.

Genauso wie die neuen Männerzeitschriften im Bereich der Mode vor allem Standards vermitteln – „Strümpfe statt Socken“, „zum dunklen Anzug darf man immer noch ein weißes Hemd tragen“ – geht es auch im Bereich Gesundheit und Hygiene um das bei Männern offensichtlich kaum verbreitete Basiswissen. Täglich Zähne putzen, wöchentlich mit dem Bimsstein die Hornhaut an den Fußsohlen entfernen und einmal im Jahr beim Dermatologen die Leberflecken anschauen lassen, rät Men’s Health. Leserbriefe zu Themen wie Haarausfall oder Hodenkrebs werden gewissenhaft beantwortet, und in der sprachlich immer schön lässigen FHM darf man auch sagen, dass die Freundin „Hängebrüste“ hat und man damit nicht klarkommt: Die Scham ist vorbei.

Der gesunde beziehungsweise verantwortungsvoll gestählte Männerkörper soll dabei interessanterweise weniger die Blicke begehrenswerter Frauen auf sich ziehen, sondern ist vor allem ökonomischen Interessen untergeordnet. Die Redakteure der neuen Männerzeitschriften wissen vermutlich aus eigener Erfahrung, dass nur eine ordentliche Rückenmuskulatur den Tag auf dem Bürostuhl erträglich macht, dass Leistungssport viel mit Leistungssteigerung zu tun hat und dass ein verantwortungsvoller Umgang mit den eigenen Ressourcen der Karriere zuträglich ist.

„Das Geheimnis des Erfolgs“, erklärt GQ in seiner aktuellen Ausgabe in einem Text über „sabbaticcals“, „liegt im richtigen Rhythmus von Arbeit und Rückbesinnung“. Wer sich auch mal ausruhen kann, erfährt man hier, kehrt „motivierter denn je“ zurück ins Berufsleben. Widerstandslos möchte man sich dem neuerdings stärkeren Geschlecht im globalen Konkurrenzkampf des Turbokapitalismus dann doch nicht ergeben.

Egal ob fit for fun oder fit for job: Das Problem ist, dass mit der Konzentration auf den eigenen Körper, die die neuen Männermagazine vorantreiben, natürlich eine gewisse Entzauberung einsetzt, die auch vor den letzten Dingen nicht Halt macht. Sogar der Phallus, bisher das beständigste Bild der Männlichkeit, verliert an Kraft. Man darf in Features und Leseranfrage gerne und entspannt über Erektionsprobleme reden, Länge und Durchmesser des Penis sind statistisch erfasst, und auch der Priapismus – der sagenumwobene „Dauerständer“ also – wird von Men’s Health zur medizinischen Gegebenheit: Thrombose ist die Ursache.

Auf diesen gesunden, aber entzauberten Körpern lassen sich traditionelle Mythen der Männlichkeit wie Stärke, Aggression oder Unverwundbarkeit nicht mehr so leichthin inszenieren, wie Mann es gewohnt war. Und so wie der ehemals ungebrochene Bruce Willis in seinem letzten Film „Unbreakable“ seinen unkaputtbaren Superkörper selbstquälerisch malträtiert, so verkehrt sich auch jenseits von Hollywood die Idee des Bodybuildings bzw. Kraftsports in ihr Gegenteil: Immer mehr Männer erkranken an Essstörungen. Erste Erhebungen in Deutschland ergaben, dass hier bereits jeder zwölfte Mann zwischen 15 und 35 Jahren an einer der vermeintlichen „Frauenkrankheiten“ Magersucht oder Bulimie erkrankt ist.

Die neuen Männermagazine, in denen kein fotografierter Mann auch nur ein Gramm Fett zu viel auf den Waschbrettrippen hat, haben sich dieses Problems noch nicht angenommen, sondern sind auch hier noch dabei, die taxonomischen Grundlagen aufzuarbeiten: „Ich bin 19 Jahre alt, 1,93 Meter groß, wiege gerade mal 72 Kilo“, schreibt Leser R. aus Lörrach an die FHM und klagt: „Ich fühle mich zu dünn.“

Die Spezialisten in der Redaktion erklären R. den Body-Mass-Index – „du hast noch kein Untergewicht“ – und sagen ihm, was er essen soll: „reichlich Gemüse und Obst, viele Kohlenhydrate wie in Brot, Kartoffeln, Nudeln oder Reis, etwas Fleisch dazu.“ Da hätte R. eigentlich auch seine Mutter fragen können.

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