: Berlusconi am Apparat
Nerven liegen blank, Enthüllungen liegen auf dem Tisch: Mitten im italienischen Wahlkampf boykottiert Silvio Berlusconis oppositioneller Rechtsblock das öffentlich-rechtliche Fernsehen RAI
aus Rom MICHAEL BRAUN
Dass es großen Ärger bereiten kann, wenn man in den Verdacht gerät, irgendwann mal vor Jahren mit den falschen Leuten unter einem Dach geschlafen zu haben – das weiß ein prominenter deutscher Politiker nur allzu gut. Eine Nacht oder zwei soll Margrit Schiller in dem Haus zu Gast gewesen sein, in dem auch die WG Joschka Fischers ihre Adresse hatte, und allein dieser dünne Fakt reichte, um dem Außenminister ein Skandälchen ans Bein zu binden.
Vielleicht sollte Fischer emigrieren, nach Italien zum Beispiel. Dort nämlich gibt es einen ebenfalls recht erfolgreichen Politiker, der über Fischers Probleme mit den falschen Besuchern anderer Wohngemeinschaften nur müde lächeln kann: Silvio Berlusconi. Der damals noch landesweit ziemlich unbekannte Jungunternehmer hatte 1974 einen Dauergast in seiner Villa, der nicht eben präsentabel war. Vittorio Mangano hieß der Palermitaner, der über ein Jahr lang als Angestellter zu Hause bei Berlusconi Dienst tat. Von Beruf war er angeblich Stallmeister, ab und zu auch fuhr er die Kinder des Hausherrn zur Schule – im Hauptjob allerdings war Mangano ein einflussreicher Mafiaboss und Drogenhändler.
Die Fakten sind seit Jahren bekannt, und Berlusconi stört das auch nicht weiter – solange man nicht davon spricht. Ebendies aber wagten jetzt zwei Buchautoren; schlimmer noch: Das Buch wurde auch noch im Staatsfernsehen RAI zu bester Sendezeit vorgestellt. Da hatte Italien nun seinen Skandal – ausgerufen von Berlusconi samt allen seinen Bündnispartnern aus der Rechtsopposition.
In der Tat stellt das Buch „Der Geruch des Geldes“ von Marco Travaglio und Elio Veltri unangenehme Fragen. Da wird das letzte TV-Interview mit dem von der Mafia 1992 in die Luft gesprengten Staatsanwalt Paolo Borsellino abgedruckt, und dummerweise fallen immer wieder drei Namen: Mangano, Berlusconi und Marcello Dell’Utri, jener Berlusconi-Intimus und Mangano-Kumpel aus Palermo, der zur Zeit wegen Mafia-Verdachts vor Gericht steht.
Da sind die Dokumente über die im Dunkeln liegenden Anfänge des Berlusconi-Medienimperiums nachzulesen, genauso wie Dell’Utris und Berlusconis Vernehmungsprotokolle. Und schließlich erfahren die Leser, wie 1994 der Ministerpräsident Silvio B. dem Unternehmer gleichen Namens mit einer kleinen Steueränderung den bescheidenen Extra-Ertrag von 240 Millionen Mark spendierte.
Nicht weiter schlimm, wenn das Buch weiterhin die Existenz eines in so gut wie keiner Zeitung rezensierten Untergrundtitels gefristet hätte. Doch am letzten Mittwoch lud der Satiriker Daniele Luttazzi den Autor Marco Travaglio in seine RAI-Sendung ein, ließ ihn vor Millionen Zuschauern alle seine Vorwürfe gegen Berlusconi wiederholen, ließ ihn auch über die Frage spekulieren, warum zum Beispiel das Interview mit dem ermordeten Staatsanwalt neun Jahre lang in der Versenkung verschwunden war, und lobte schließlich gar noch Travaglio für seinen Mut, den er in dem „Scheißland Italien“ an den Tag lege.
„Entwaffnet“ fühlte sich Berlusconi nach der Sendung – aber nicht etwa vom Inhalt der unschönen Vorwürfe, sondern von der Frechheit, sie überhaupt zu erheben. Eine „Falle der Linken“ sei das, empörte er sich, „gelyncht“ solle er werden, nun werde er seinerseits die Buchautoren und den TV-Satiriker verklagen.
Als „Killer“ musste sich Luttazzi auch von anderen Politikern der Rechten bezeichnen lassen; die Berlusconi-Tageszeitung Il Giornale beschwerte sich, die RAI werde von der Linken „in terroristischer Manier“ eingesetzt. Nur eine Antwort sei denkbar, so Berlusconis Rechtsblock unisono: Die gesamte RAI-Spitze müsse weg, und natürlich auch Luttazzi mit seiner unbotmäßigen Satiresendung.
Sehr originell ist diese Forderung nicht; Italiens Rechte hat sie in den letzten Monaten immer wieder erhoben. Doch diesmal liegen die Dinge anders, denn in knapp zwei Monaten stehen die Parlamentswahlen an. Diesmal macht die Rechte Ernst: Am Samstag legten die beiden von der Rechtsopposition benannten Mitglieder im fünfköpfigen RAI-Vorstand ihr Amt nieder; und alle Politiker des Berlusconi-Blocks leisteten feierlich den Schwur, bis auf weiteres die Teilnahme an allen Sendungen der RAI zu verweigern, solange dort noch irgendein Verantwortlicher des „unglaublichen Angriffs“ auf den Oppositionsführer Dienst tue. Die RAI stünde damit als reiner Regierungssender da, während die Rechte den Informations-Blackout mitten im Wahlkampf nicht fürchten muss: Schließlich gibt’s ja noch die drei Kanäle der Berlusconi-Anstalt Mediaset.
Die Folgen des Boykotts ließen sich schon am Freitagabend besichtigen: Der prominente RAI-Moderator Michele Santoro, der seine Sendung dem Fall Luttazzi/Berlusconi gewidmet hatte, stand vor drei leeren Stühlen – sie waren für die Vertreter der Opposition reserviert. Santoro ließ sich nicht beirren, strahlte in voller Länge das für Berlusconi peinliche Interview mit dem toten Staatsanwalt Borsellino aus, befragte dann den mittlerweile in der Politik aktiven Exkorruptionsermittler Antonio Di Pietro. Der nutzte die Gelegenheit, um den treuherzigen Standpunkt Berlusconis, die Vorwürfe gegen ihn hätten doch bisher nichts Gerichtsverwertbares ergeben, zu attackieren und auf den Unterschied zwischen justiziabler und politischer Verantwortung hinzuweisen.
Zu viel für Berlusconi: Der Führer der Anti-RAI-Boykottfront rief mitten in der Sendung an, wetterte gegen die von der RAI angeblich inszenierten „Prozesse in Life-Übertragung“, brüllte den Moderator an, er solle sich „zusammenreißen“, und erklärte noch schnell die Herkunft seiner Kapitalien für glasklar. Ihn könne man doch nicht verantwortlich machen, wenn die Banken leider alle damaligen Unterlagen vernichtet hätten. Ob der Boykottaufruf gegen die RAI mit seinem Anruf schon wieder hinfällig geworden sei, wollte Santoro schließlich von Berlusconi wissen. Mitnichten, gab mit feiner Dialektik der Mann zurück, der sich mit raschen Rollenwechseln vom Unternehmer über den Fußball-Vereinspräsidenten zum Parteichef ganz hervorragend auskennt: Diesmal sei er gar nicht „als Politiker“ an der Strippe gewesen, allein der „Privatmann Berlusconi“ habe sich mal eben Luft gemacht.
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