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Die Spione, die in die Kälte gehen

Wegen Spionageverdachts weisen die USA fünf russische Diplomaten mit sofortiger Wirkung aus, fünfzig weitere stehen auf der Abschussliste. Die Aktion ist nur ein weiterer Beweis für die abgekühlten Beziehungen zwischen Moskau und Washington

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Für Schnüffler im Auftrag Moskaus und Washingtons brechen frostigere Zeiten an. Die US-Administration forderte gestern fünf unter Spionageverdacht stehende russische Diplomaten auf, das Land unverzüglich zu verlassen. Noch fünfzig Mitarbeiter russischer Vertretungen stehen auf Washingtons Abschussliste. Die Bush-Administration räumte ihnen indes noch eine Galgenfrist bis zum Sommer ein.

Folgen den Worten Taten, wäre es seit Präsident Reagan 1986 die umfangreichste Massenvertreibung russischer Agenten aus den USA. Gewöhnlich reagiert die Gegenseite mit gleichwertigen Vergeltungsmaßnahmen.

Bisher hielt sich Moskau indes bedeckt. „Jede Art von Spionage-manie und Jagd nach Agenten ist eine Neuauflage des Kalten Krieges und äußerst bedauerlich“, verlautete aus der Präsidialkanzlei des Kreml. Auch US-Botschafter James Collins war bemüht, die Affäre herunterzuspielen. Nach Gesprächen im russischen Außenministerium dementierte er, die Spionageaffäre sei Anlass seiner Visite gewesen.

Gleichwohl kann die Zurückhaltung beider Seiten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beziehungen ein empfindliches Kältetief erreicht haben. Im vergangenen Sommer begnadigte Kremlchef Wladimir Putin nach Intervention von Präsident Bill Clinton den vermeintlichen US-Spion Edmund Pope. Zurzeit steht Igor Sutjagin, Mitarbeiter des Moskauer USA-Kanada-Institutes, in Kaluga wegen angeblichen Geheimnisverrats vor Gericht. In Woronesch nahm der russische Geheimdienst im Februar einen amerikanischen Studenten fest, gegen den der Spionagevorwurf aber nach wenigen Tagen fallen gelassen wurde.

Mit der Ausweisung russischer Diplomaten reagierte Washington auf die Spionageaffaire um den FBI-Agenten Philip Hanssen, der im Februar vom US-Geheimdienst enttarnt wurde. Der Experte für Gegenaufklärung hatte nach amerikanischen Darstellungen fünfzehn Jahre in Moskaus Diensten gestanden und dem Staat erheblichen Schaden zugefügt. In Moskau wird vermutet, Hanssen sei vom früheren Ersten Sekretär der russischen UNO-Vertretung und Auslandsaufklärer, Sergej Tretjakow, verraten worden, der im Herbst zu den Amerikanern überlief.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion baute Moskau laut US-Angaben die Zahl seiner Agenten in den USA ab. 1995 seien weniger als hundert Spione in russischen Vertretungen tätig gewesen. Seit Mitte der 90er-Jahre steige die Agentendichte wieder deutlich an. Zurzeit sollen sogar mehr im Einsatz sein als zu Hochzeiten des Kalten Krieges. Das behauptet zumindest Washington, das im Vorfeld versucht haben will, die Russen zu einem freiwilligen Abzug ihrer Kundschafter zu bewegen.

Wladimir Lukin, Duma-Abgeordneter und Exbotschafter in Washington, brachte die Zuspitzung des Konflikts mit der momentanen Selbstverortung der Bush-Administration in Verbindung. Sollten die fünfzig russischen Diplomaten zu Personae non gratae erklärt werden, müssten in Russland etwa zweihundert Amerikaner mit ihrer Ausweisung rechnen.

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