piwik no script img

Kittel aus, Praxis dicht

Kassenärzte streiken ab heute gegen begrenzte Arzneimittelbudgets und sinkende Einnahmen

von CORINNA BUDRAS

„Vorübergehend geschlossen“ wird ab heute an vielen Arztpraxen stehen. Wie auch schon im letzten November gehen die niedergelassenen Ärzte wieder eine Woche lang auf Konfrontationskurs zur Bundesregierung, den Krankenkassen und den Patienten. Nach Angaben von Anton Rouwen vom Aktionsrat der Berliner Kassenärzte werden sich nahezu alle niedergelassenen Ärzte an dieser Aktionswoche beteiligen. Trotzdem sei die Notversorgung flächendeckend gewährleistet, so Rouwen.

Der Protest richtet sich hauptsächlich gegen das Arzneimittelbudget und den damit verbundenen Kollektivregress, mit denen die Verschreibung von Medikamenten eingedämmt werden soll. Danach müssen alle niedergelassenen Ärzte gemeinsam für Verordnungen aufkommen, die den Rahmen des Budgets überschreiten – egal, ob sie selbst zu viel verschrieben haben oder nicht. Das stößt auch beim gesundheitspolitischen Sprecher der Berliner Grünen Bernd Köppl auf Unverständnis: „Diese Regelung hat etwas komplett Absurdes.“ Daran ändert auch nichts, dass der Kollektivregress noch nie vollstreckt wurde. „Es hängt wie ein Damoklesschwert über den Ärzten“, so Köppl.

Fakt ist jedoch auch, dass die Bundesrepublik für die gesundheitliche Versorgung noch immer einen „unverhältnismäßig hohen Mittelaufwand benötigt“. Das bescheinigt das letzte Woche veröffentlichte Gutachen des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen. Bei den Pro-Kopf-Ausgaben nimmt Deutschland einen Spitzenplatz ein – bei nur durchschnittlicher Versorgungsqualität. Berlin zeigte sich bei der Verschreibung von Medikamenten besonders großzügig: Im vergangenen Jahr überschritten die Ärzte das Budget um 17 Prozent. Trotzdem hat die neue Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bereits eingelenkt: Anders als ihre Vorgängerin will sie nicht mehr am Kollektivregress festhalten.

Der Zorn der Ärztschaft richtet sich aber auch gegen die eigene Kundschaft: So tragen Patienten, die in die billigen Krankenkassen wechselten, laut Anton Rouwen zur Misere der Ärzte bei. Ihm ist vor allem Dingen die Betriebskrankenkasse Verkehrsbau Union (VBU) ein Dorn im Auge. Mit ihren extrem günstigen Beitragssätzen hat sie in den letzten Jahren die jungen und gesunden Menschen in Scharen abgeworben. Ihre Kopfpauschale, die jede Kasse an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zahlen muss, sank deshalb auf rund 460 Mark im Jahr. Andere Kassen wie die Barmer zahlen über 1.000 Mark. „Ein solch harter Wettbewerb der Krankenkassen sprengt das ganze System“, so der Berliner KV-Vorsitzende Manfred Richter-Reichhelm.

Resultat dieser Entwicklung: Die Einnahmen der Ärzte sinken stetig. Inzwischen sind Patienten aus gesetzlichen Krankenkassen für Ärzte so unattraktiv wie nie. Stattdessen sind es allein die Privatpatienten, die über das wirtschaftliche Wohlergehen eines niedergelassenen Arztes entscheiden. Zehlendorfer Praxen mit einem Privatpatientenanteil von bis zu 50 Prozent sitzen noch immer auf einem sehr gesunden Polster. „Mit meinen Patienten aus den gesetzlichen Kassen könnte ich nicht einmal meine Arzthelferinnen bezahlen“, gibt eine Zehlendorfer Frauenärztin an. Ihr Kollege aus Neukölln, in dessen Praxis nur selten eine solche Geldquelle sitzt, muss dieses Kunststück hingegen vollbringen. Und scheitert manchmal auch daran.

Immer mehr Praxen in den finanzschwachen Bezirken stehen vor dem Ruin. Ihre einzige Rettung: Die Mediziner suchen sich für die Abendstunden Nebenjobs als Webdesigner oder Kaufmann. Oder lassen sich von besser verdienenden Lebensgefährten alimentieren.

Infos über geöffnete Notdienstpraxen unter Telefon 31 00 31

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen