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„Wir mussten Abstriche machen“

Revolutionen dauern etwas länger: Ein Gespräch mit Sasha Waltz und Thomas Ostermeier über den Generationenwechsel im Theater, enttäuschte Erwartungen und bleibende Utopien sowie die Bilanz ihrer ersten Spielzeit an der Berliner Schaubühne

INTERVIEW: CHRISTIANE KÜHL UND KATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Wenn Sie die Schaubühne betreten, denken Sie da eigentlich noch manchmal: Whow – womit habe ich das verdient?

Sasha Waltz: So habe ich nie gedacht. Allerdings empfinde ich die Architektur des Hauses immer noch als umwerfend. Deshalb bin ich hier. Das Theater selbst wird auch in meinem nächsten Projekt ganz prominent im Mittelpunkt stehen, weil die Schaubühne dann von innen und außen bespielt wird.

Die Geschichte der Schaubühne, die Aura, der ganze Ballast der Vergangenheit, spielt aber keine Rolle mehr für mich. Wir stehen schließlich für die Zukunft dieses Theaters und nicht für seine Legende.

Ihr erstes Jahr an der Schaubühne war von heftiger Kritik an den Aufführungen begleitet. Wie hingegen blicken Sie auf Ihre bisherige Arbeit zurück?

Thomas Ostermeier: Es ist erstaunlich, dass die Arbeiten von mir, mit denen ich am unzufriedensten bin, in der Öffentlichkeit am wenigsten kritisiert werden. Und umgekehrt.

Aber der große Anspruch, Ihr Theater zum „Ort der Repolitisierung“ der Gesellschaft zu machen, wurde nicht erfüllt.

Ostermeier: Dass ein Jahr Schaubühne nicht dazu geführt hat, dass jetzt alle auf die Straße gehen und gegen das Unrecht kämpfen – dem ist so. Worauf man vielleicht eine andere Perspektive entwickeln muss, ist, in welcher Form man Sehnsüchte aus der Gesellschaft aufgreifen kann. Vielleicht ist das, was man in sich spürt, etwas anderes als das, was draußen beim Großteil der Gesellschaft an Bedürfnissen vorhanden ist. „Herr Kolpert“ von David Gieselmann zum Beispiel kommt gut an. Das ist eine Vorstellung, die gut zu konsumieren ist. Der „Personenkreis“ ist nicht so erfolgreich. Soll man sich davon beeindrucken lassen? Ich glaube nicht.

Waltz: Dass jetzt hier nicht dank oder trotz der Schaubühne die Revolution ausgebrochen ist, war doch allen von Anfang an klar. Das war auch nicht wirklich unser Bestreben. Für mich ist nach wie vor der wichtigste politische Aspekt meiner Theaterarbeit die Bewusstwerdung. Und die ist gelungen: über das Wahrnehmen des eigenen Körpers und der Körper der anderen plötzlich ein anderes Verhältnis zu sich selbst und zu den anderen zu entwickeln – zu der Stadt, in der man lebt. Das haben die Stücke erreicht.

Ostermeier: Über keinem unserer Stücke stand: Goethe oder Schiller, Pina Bausch oder Forsythe. Dass trotz des Fehlens prominenter Namen 100.000 Zuschauer kamen, um neue Autoren kennen zu lernen, ist doch positiv. Das ist ein Vielfaches mehr an Menschen, als uns in der Baracke und in den Sophiensaelen zusammengerechnet sehen konnten. In den Publikumsgesprächen nach den Vorstellungen bleiben bis zu 80 Prozent der Besucher. Da ist ein großer Wechsel spürbar zu dem, was hier früher war, eine große Neugier.

Nach außen gab es den Anspruch der Repolitisierung der Gesellschaft; nach innen die Utopie des Kollektivs. Hat das wunschgemäß funktioniert?

Waltz: Das Ensemble ist der wichtigste Impuls unserer Arbeit. Es ist und bleibt mein Ideal, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die etwas gemeinsam entwickeln.

Ostermeier: Eine kollektive künstlerische Leitung bleibt an einem großen Haus wie der Schaubühne zwar nicht ohne Konflikte, aber ich bin immer noch froh über die Konstellation. Beim Mitbestimmungsmodell mussten wir Abstriche machen von unseren Träumen: Die Energie und Kraft reichen nicht aus, sich von früh bis spät miteinander auseinander zu setzen. Mittlerweile ist da ein gesunder Pragmatismus eingekehrt.

In unserer wöchentlichen Ensembleversammlung etwa haben wir gelernt, uns nicht jedes Mal zu stressen, sondern uns auf das wirklich Wichtige zu konzentrieren.

Sasha Waltz, Sie haben kürzlich gesagt, Ihre Arbeit sei, auf anderem Niveau, wie in der freien Szene: ohne Partner wäre vieles nicht realisierbar. Das klang so negativ. Ist das kein zukunftsträchtiges Modell?

Waltz: Da ging es um die Kürzungen der 2,8 beziehungsweise 3,1 Millionen Mark. Negativ daran ist, dass Gelder, die uns von offizieller Seite zugesagt wurden, vom Senat nicht bewilligt wurden, sodass sie teilweise mit Mitteln von Partnern ausgeglichen werden müssen. Dass wir unabhängig davon immer mit internationalen Kooperationspartnern arbeiten werden, ist doch klar. Das ist überhaupt das Spannende am Theater: Arbeiten von anderen Orten hier zu zeigen und dort zu spielen. Dass man uns jedoch finanziell zappeln lässt, ist nicht in Ordnung.

Ostermeier: Die Idee, uns hierher zu holen, entstand ja zu einer Zeit, als zur Debatte stand, dass Sasha Waltz aus der Stadt weggeht und die Baracke mit ihrem Spielbetrieb aufhört. Der damalige Kultursenator Radunski hörte die Alarmglocken und hatte das Anliegen, uns beide als Künstler in der Stadt zu halten. Da wurde uns alles versprochen. Wir haben in den damaligen Wirtschaftsplan geguckt und gesagt: Wenn sich das Ensemble um ein Tanzensemble vergrößert, brauchen wir 2,8 Millionen Mark mehr. Jetzt, da wir angefangen haben, sagen sich die Verantwortlichen: Die machen das schon für weniger. Die gehen deshalb doch nicht. Es ist pervers, dass uns heute der Verdacht trifft, wir hätten falsch gewirtschaftet und ein Defizit aufgehäuft. Dabei haben wir trotz Senkung der Eintrittspreise unser Einnahmesoll erreicht.

Ihr Wechsel hierher war auch einer aus der „armen“ Off-Szene an ein „reiches“ Haus. Sind Ihre Erwartungen, was die Verbesserung der Arbeitsbedingungen angeht, damit in Erfüllung gegangen?

Waltz: Mein Credo ist nach wie vor: Im Theater muss das Unmögliche möglich sein. In den Sophiensaelen haben wir uns sehr gute Arbeitsbedingungen geschaffen. Aber vieles ist an der Schaubühne tatsächlich besser. Zum Beispiel die Möglichkeiten, mit den hervorragend ausgestatteten Werkstätten und vielen hochprofessionellen Fachkräften in allen Gewerken zu arbeiten. Auch dass ich ein Ensemble von immerhin 13 Tänzern habe.

Aber die zusätzliche Verwaltungsarbeit hat mich das ganze letzte Jahr sehr belastet. Manchmal hatte ich tatsächlich den Impuls: Ich will hier wieder raus. Manchmal wähle ich Seitenstraßen und schleiche mich von hinten in das Theater. Da frage ich immer wieder: Kann man den Apparat so gestalten, dass er diesem unmöglichen Traum von Theater eine Hülle und Struktur gibt? Oder ist es nicht viel besser, als Künstler wie ein Vogel einzufliegen und wieder weg?

Halten Sie es immer noch für richtig, dass das Schauspielensemble durchweg so jung ist?

Ostermeier: Wichtig war, dem Ort eine neue Identität durch eine neue Gruppe von Schauspielern zu geben. Da lag es nahe, Generationskollegen zu engagieren, weil sie über ähnliche Erfahrungen verfügen und kompromisslos für eine Sache zu kämpfen bereit sind. Im gegenwärtigen Gagengefüge wäre eine Jutta Lampe als festes Ensemblemitglied auch unbezahlbar. Dazu kommt, dass unsere Stücke in der ersten Spielzeit auch kaum Aufgaben für ältere Schauspieler hatten.

Erst vor wenigen Jahren fand ein Generationswechsel im Staatstheaterbetrieb statt. Momentan behaupten jedoch viele, ihr Theater hätte sich schon wieder totgelaufen.

Ostermeier: Gerade die Aufbrüche von jungen Theaterleitern so kaputtzumachen ist gefährlich. Aufbrüche und deren Rezeption haben etwas Symbolisches. Es ist wichtig, den Jüngeren zu signalisieren, dass es Spaß machen kann, eine Leitungsfunktion zu übernehmen. Die einzelnen Ziele sind sehr unterschiedlich – man kann nicht alles unter „Pop-Theater“ subsumieren. Ich glaube nach wir vor, dass Produktionsweisen einen direkten Einfluss auf die Ästhethik haben. Solange keine alternativen Arbeitsmodelle ausprobiert werden, behalten die bisher Mächtigen die Macht und das bisher Gesehene wird endlos variiert.

Waltz: Es steht eine Tradition von Theater gegen etwas, was noch im Entstehen begriffen ist. Wobei dieses Etwas die Möglichkeiten bietet, andere Formen auszuprobieren und da auch zu scheitern. Das Publikum ist an diesen Experimenten mehr interessiert als die Leute, die in Jurys sitzen. Musik und bildende Kunst könnten viel mehr in das Theater integriert werden. Diesen Weg wollen bestimmte Leute nicht gehen. Das ist auf jeden Fall auch eine Generationsfrage.

Wirklich? Den konzeptuellen Ansatz, den Sie beschreiben, gibt es seit den Sechzigern. Und auch in Ihren „Streitgesprächen“ setzen Sie sich mit Theoretikern auseinander, die seit zwanzig, dreißig Jahren diskutiert werden.

Ostermeier: Also unsere letzten Gäste, Naomi Klein und Andy Müller-Maghuhn, waren deutlich unter dreißig. Unter den Regisseuren, die dieses Jahr zum Theatertreffen geladen sind, gibt es Leute, die ich mehr bewundere als viele meiner Generation. Die Aufführung „Dreimal Leben“ von Luc Bondy ist ganz toll. „Lulu“ von Zadek gehörte zu meinen prägendsten Erlebnissen. Und dass wir alle Marthaler bewundern, ist eh kein Geheimnis.

Gibt es, bei allen Unterschieden zwischen den Theatern, die im letzten Jahr neu angefangen haben, die Hoffnung, gemeinsam das Staatstheater zu verändern?

Ostermeier: Wir haben eine gute Beziehung zum TAT in Frankfurt und haben „Peace“ mit Kampnagel in Hamburg koproduziert. Wir sind verbunden mit Alain Platel/Les Balletts C. de la B. und haben Kontakte zu Luk Perceval. Die Bewegung, in den Institutionen etwas zu verändern, ist schon da. Die wirklich großen Parallelen sehe ich aber eher zu internationalen Theatern. Das Royal Court wird von einem ganz jungen Chef geleitet und die ganze Crew ist unserer Gemütslage verwandt. Und es gibt den young directors club – das sind hauptsächlich osteuropäische Regisseure, mit denen ich mich regelmäßig treffe.

Sie inszenieren gerade „Dantons Tod“. Gab es die Sehnsucht, mal wieder ein klassisches Stück, ein großes Gesellschaftsdrama zu machen?

Ostermeier: Es war immer vorgesehen, dass von sieben Neuproduktionen im Jahr fünf Ur- oder Erstaufführungen und zwei Klassiker oder moderne Klassiker sind. Die Probenarbeit zum Danton ist wunderbar: Eine starke Sprache, ein starkes Stück. Daraus beziehen wir viel Energie.

Im September habe ich mit allen Schauspielern einen Workshop zu dem Stoff gemacht, dann erst die Besetzung. Die Zeit zu haben, so zu arbeiten, ist für alle befreiend. Das müssen wir häufiger möglich machen.

Was sind die Schwerpunkte des nächsten Spielplans?

Ostermeier: Fosse bleibt für uns wichtig, als ein völlig anderer Ton im zeitgenössischen Theater. Dann Caryl Churchill, weil sie an einem ähnlichen Konfliktpunkt arbeitet wie wir: mit einem gesellschaftskritischen Anspruch vor dem Scherbenhaufen des Politischen zu stehen und nicht mehr zu wissen, wo man ansetzen soll. Und es trotzdem kreativ zu Theater werden zu lassen.

Waltz: Wichtig ist, Freiräume zu schaffen – wie es mit den Autoren- und Choreographen-Werkstätten geschieht – und nicht nur von Produktion zu Produktion zu hecheln. Im ersten Jahr haben wir in Form von zahlreichen Wiederaufnahmen und vielen Uraufführungen ein beträchtliches Repertoire aus dem Boden gestampft. Das war fast eine Überforderung, aber Theater lebt von Grenzüberschreitung.

In der Zukunft müssen wir jedoch mit unseren Ressourcen anders haushalten, sonst sind wir in kurzer Zeit völlig ausgebrannt. Ich bin sicher, dass wir noch die richtige Balance finden.

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