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Rausschmeißen oder diskutieren?

Lehrer reagieren auf rechtsextreme und ausländerfeindliche Schüler oft mit Hilflosigkeit. Eine einjährige Fortbildung soll Pädagogen dazu bringen, sich differenziert mit dem Problem auseinander zu setzen und ihre Rolle als Lehrkraft zu stärken

von JULIA NAUMANN

Monika Aurich ist eine Lehrerin, die sich durchsetzen kann. Die offen sagt, was sie denkt. Mit Schülern, Lehrern und Eltern diskutiert. Und handelt. Als einer ihrer Zehntklässler plötzlich wiederholt mit Bomberjacke, Springerstiefeln und T-Shirts „mit aggressiven Aufdrucken“ und rechten Parolen in der Klasse auftrat, wollte sie etwas dagegen unternehmen. Aurich bat den Schüler, „nach Hause zu gehen und sich umziehen“. Mit einigem Murren habe der Schüler das akzeptiert, sagt Aurich, die an einem Oberstufenzentrum im gutbürgerlichen Reinickendorf im Westtteil Berlins unterrichtet.

Damit war es nicht getan: Aurich hat sowohl mit ihrer Klasse als auch mit dem Schüler lange über diesen Vorfall diskutiert. Ob es tatsächlich richtig war, den Jugendlichen aufzufordern, andere Kleidung zu tragen, darüber ist sie sich nicht mehr so sicher. „Denn das rechte Gedankengut ist ja immer noch da“, weiß sie. Für Monika Aurich ist es jedoch das Wichtigste, dass sie etwas unternommen und nicht „tatenlos“ zugeschaut hat.

Dieser Vorfall war für die Lehrerin ausschlaggebend, sich mit dem Thema Rechtsextremismus und Schule differenzierter auseinanderzusetzen. Seit drei Monaten besucht Aurich in Berlin ein Lehrerfortbildungsseminar, das in seiner Konzeption in der Bundesrepublik wohl einmalig ist. Die von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, dem Zentrum Demokratische Kultur und dem Landesinstitut für Schule und Medien (Lisum) organisierte Schulung hat zum Ziel, dass sich Lehrer mit rechtsextremistischen Tendenzen an den Schulen befassen und selbst dazu Stellung beziehen. Dadurch sollen sie in ihrer Rolle als Lehrkraft gestärkt werden.

Hilflosigkeit und Wut

Denn nicht alle Pädagogen sind so resolut und selbstsicher wie Monika Aurich. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus führe oft zu Gefühlen wie Angst, Hilflosigkeit und Wut, hat Sonderschullehrer Michael Rump-Räuber beobachtet, der nach der gesellschaftlichen Diskussion im Herbst vergangenen Jahres die Initiative „Standpunkt – Pädagogen gegen Rechtsextremismus“ gegründet hat.

Ist ein Schüler mit Springerstiefeln gleich ein Neonazi? Wie soll die Lehrkraft reagieren, wenn Schüler sich mit „Heil Hitler“-Rufen grüßen? Sie rausschmeißen oder eine Diskussion anfangen? Die Pädagogen seien in ihrem Studium nicht darauf vorbereitet worden, sich mit Rechtsextremismus auseinanderzusetzen, sagt Seminarleiter Rump-Räuber, insbesonders in der DDR.

Im Ostteil Berlins ist die rechtsextremistische Gesinnung der Jugendlichen größer als im Westen (siehe Kasten). Deshalb kommen wohl auch rund 80 Prozent der Seminarteilnehmer aus den östlichen Bezirken. Viele der DDR-Pädagogen hätten sich nach der Wende eine „Wertneutralität“ zugelegt, um den vom Staat „verordneten Antifaschismus“ abzustreifen, sagt Rump-Räuber, der schon seit 1997 in Brandenburg Lehrerfortbildungen anbietet. Daher könnten oder wollten sie auf rechtsextremistische Tendenzen nicht adäquat reagieren.

Deshalb besteht ein Großteil der monatlichen Treffen daraus, sich mit Grundlagen auseinanderzusetzen. In Kleingruppen diskutieren die insgesamt 47 Teilnehmer etwa anhand von Zeitungsartikeln, welche sozioökonomischen, historischen und psychologischen Ursachen es für das Erstarken der rechten Szene geben könnte. In einer anderen Sitzung lernen sie etwas über die Symbolik und die Alltagskultur der Rechten.

Eigene Haltung finden

Außerdem, und das ist wahrscheinlich entscheidend, geht es auch darum, die eigene Position gegenüber Rechtsextremismus, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus zu überprüfen. „Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung ist eine wichtige Voraussetzung für die Bereitschaft, sich auf entsprechende Diskussionen in der Klasse einzulassen“, sagt Rump-Räuber.

So berichtet etwa eine Lehrerin aus dem Plattenbaubezirk Hellersdorf, dass in ihrer 10. Klasse bisher nur ein Schüler eine Lehrstelle in Aussicht habe. „Wenn die Jugendlichen fragen, warum es dann in Deutschland die Green-Card gibt, dann weiß ich gar nicht, was ich antworten soll.“ Hilflosigkeit zeigt sich auch, wenn Jugendliche gezielt mit ausländerfeindlichen und antisemitischen Sprüchen provozieren. „Ich habe da immer weggehört“, sagt ein anderer Lehrer, „weil ich Angst hatte, dass es zu einer Eskalation kommt.“

Rump-Räuber setzt dagegen auf Auseinandersetzung. In seiner eigenen Klasse, in der die Hälfte der Schüler Ausländer sind, habe ein 16-jähriges deutsches Mädchen vor kurzem einen NPD-Aufkleber mit dem Aufdruck „Arbeit zuerst für Deutsche“ aus der Tasche gezogen. Er habe danach mit der gesamten Klasse darüber debattiert, was es tatsächlich bedeuten würde, wenn die Hälfte der Schüler keinen Job bekäme, berichtet Rump-Räuber. „Es ist sehr wichtig, dass Schüler sich trotz ihrer extremen Haltungen noch anerkannt fühlten.“ Sonst seien sie überhaupt nicht mehr bereit, an sich zu arbeiten.

Lehrer motivieren Lehrer

„Unaufgeregt reagieren“, nicht „lächerlich machen“ und keinen „Zwang ausüben“. Das waren auch für Sibille Buhring bisher die probatesten Mittel. Als sie einen KZ-Überlebenden in die Klasse einlud, habe sie es einem rechtsextremen Schüler freigestellt, ob er teilnehmen wolle oder nicht, erzählt die Geschichtslehrerin. „Der hat sich dann dafür entschieden und sehr interessiert zu gehört.“

Damit die Ergebnisse der Lehrerfortbildung nach einem Jahr gezielt in die Schulen getragen werden, ist vorgesehen, zwölf der Teilnehmer zu Multiplikatoren auszubilden. Die, die selbst „Flagge gezeigt“ haben, sollen wiederum als „Motoren“ Lehrer, aber auch Eltern und Schüler motivieren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

„Alle Beteiligten einer Schule müssen einbezogen werden“, betont Seminarinitiator Rump-Räuber. Schulleiter würden Rechtsextremismus an ihren Schulen häufig nicht als „vordergründige Problem“ beschreiben. Die Angst um den Ruf der Schule und für manche Schulen existenzbedrohende Konkurrenz im Kampf um Schülerzahlen führe dazu, dass das Problem nicht offen benannt würde.

Die Aufgabe der Multiplikatoren wird es sein, zukünftig Fortbildungsveranstaltungen und Unterrichtsmaterialien anzubieten. Bisher ist geplant, dass diese Lehrer zwei Unterrichtsstunden in der Woche für diese Tätigkeiten angerechnet bekommen. „Das ist zu wenig“, meint Rump-Räuber. Ein einziger Lehrer, der für einen gesamten Stadtbezirk zuständig sein werde, brauche mindestens vier Stunden pro Woche, um sich diesem Thema zu widmen.

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