: Fleischesfrust-Bewältigung
Wer Tofu isst, ist bei der Ernährung auf der sicheren Seite. Das fällt jetzt auch vielen auf, die vorher nur die Nase gerümpft haben ■ Von Karen Schulz
Ernährungsmäßig befindet sich Deutschland in einer Sinnkrise. Nachdem BSE im vergangenen Dezember die hiesigen FleischesserInnen erschütterte, folgte mit der MKS gleich das nächste Horrorszenario. Und überall tönt die beliebte Frage: Was können wir überhaupt noch essen?
Tofu zum Beispiel. Die Tofuproduzenten melden rasante Umsatzsteigerungen: Die Hamburger Tofumanufaktur Nagel verzeichnete im Januar einen Zuwachs von 120 Prozent. Davon wollen nun auch die Verlierer, die Fleischproduzenten, profitieren, wie Christian Nagel berichtet: „An uns ist bereits ein großer Wurstfabrikant herangetreten, der unsere Tofuwürstchen nun unter seinem Namen vermarkten will.“ Nagels haben das Angebot abgelehnt: Sie wollen die Bioladen-Szene nicht verlassen, die schließlich dazu beigetragen hat, dass ihre Tofuprodukte in den vergangenen Jahren angeboten wurden, als die AbnehmerInnen noch rar waren.
„Zur Tofuproduktion sind wir durch die Anti-Atomkraftbewegung gekommen: Weil wir ein gesundes Lebensmittel anbieten wollten, dessen Produktion zugleich die Umwelt schont. Und an diesem Ziel halten wir auch heute fest.“ Nagels lassen sich auch nicht davon beirren, dass selbst im Bioladen-Segment Verdrängungsmechanismen zu greifen beginnen, größere Hersteller mittlerweile Produkte zu Dumpingpreisen anbieten. „Bestimmte Sachen brauchen ihren Preis“, ist Nagel überzeugt. Schließlich wird auch der Rohstoff Soja auf dem Weltmarkt teurer, da er nun als Futtermittel stärker nachgefragt wird. Dass er mit seinem Produkt endlich Anerkennung findet, und zwar von genau den Leuten, „die sich früher lustig gemacht haben“, findet der Tofuproduzent „angenehm“ und setzt auf den Verstand: „Ich glaube nicht, dass Menschen immer gegen die Natur leben können.“
Dabei wäre eine ausgeglichene Welternährung schon lange möglich, wenn auf übermäßigen Fleischkonsum verzichtet werden würde. Fakt ist, dass die Menschen in den westlichen Industriestaaten deutlich mehr Eiweiß zu sich nehmen, als der Körper benötigt oder verarbeiten kann. Tierisches Eiweiß wird außerdem teuer produziert: So sind sieben Kilogramm pflanzliches Eiweiß als Futter nötig, um 500 Gramm Rindereiweiß, sprich Fleisch, zu erzeugen. WelternährungsexpertInnen weisen schon seit Jahrzehnten auf diese Diskrepanz hin und versuchen, den Menschen eine überwiegend pflanzliche Kost schmackhaft zu machen, um die Nahrung gerechter verteilen zu können. Ebenso lange wurden gesunde Lebensmittel aus pflanzlichen Quellen wie Tofu als „Körnerfutter“ belächelt oder bestenfalls als schlechter Fleischersatz betrachtet.
Erst jetzt, wo es ihnen an den eigenen Kragen geht, sind viele bereit, umzudenken. Ob der Glaube an die menschliche Vernunft gerechtfertigt ist, wird sich aber erst zeigen, wenn Gras über die Fleischskandale gewachsen ist. Bleibt es beim Bioboom, haben die Menschen etwas gelernt, was über die Angst um die eigene Gesundheit hinausgeht, und können sie tatsächlich langfristig kulinarisch umdenken?
Dafür bietet gerade Tofu die ideale Lösung: Schließlich macht sich der eiweißreiche Sojaquark in süßen wie herzhaften Gerichten hervorragend – wer ihn lediglich als Fleischersatz betrachtet, verkennt dieses Multitalent. Zudem ist Tofu ein wahres Powerlebensmittel: In seiner Nährstoffzusammensetzung ist er ideal für die menschliche Ernährung und enthält genau all die Substanzen nicht, die man für Zivilisationskrankheiten von Herzinfarkt bis hin zu Krebs verantwortlich macht – und die zum größten Teil tierischen Produkten entstammen.
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