: Flandern macht Freude
Der Telekom-Radprofi Andreas Klier hat keinen Spaß daran, im Sommer durch Frankreich zu radeln, sondern bevorzugt die harten Frühjahrsklassiker. Am Sonntag zum Beispiel die Flandern-Rundfahrt
von SEBASTIAN MOLL
Schon als 20-Jähriger, erinnert sich der Münchener Radprofi Andreas Klier, habe ihn im Radsport nichts mehr fasziniert als die Frühjahrsklassiker. Nicht die Tour de France war das Ziel seiner Träume, sondern die harten Rennen in Belgien und Nordfrankreich, die Flandern-Rundfahrt, Paris–Roubaix, der Omloop Het Volk, Gent–Wevelgem, Lüttich–Bastogne–Lüttich und Kuurne–Brüssel–Kuurne. Wie sein großes Vorbild Johan Museeuw, der dreimalige Gewinner der Flandern-Rundfahrt und zweifache Sieger von Paris–Roubaix, wollte Klier nur eines: im April im naßkalten, trüben Nordwesten Europas auf glitschigem Kopfsteinpflaster und im rauhen Wind der Atlantikküste zu den Besten gehören. Das ist für ihn die wahre Krone des Radsports, und nicht etwa die Tour de France.
Alle Rennen von Museeuw hatte Klier auf Video studiert und sich auf seinen ersten Einsatz beim belgischen Saisonauftakt Het Volk gefreut wie ein Kind auf Weihnachten. Entsprechend stark war seine Vorstellung; Zwölfter wurde der Neuling auf Anhieb unter den Besten der Welt. Seine Mannschaft, das deutsche Team Nürnberger, begeisterte das allerdings wenig. Alle Fahrer außer Klier hatten das Kopfsteinpflaster-Rennen wegen einsetzenden Schneefalls frühzeitig abgebrochen und warteten ungeduldig im Mannschaftsbus darauf, endlich heimfahren zu dürfen.
Das war vor drei Jahren – und der Tag wurde in zweierlei Hinsicht ein Schicksalstag für Klier. Zum einen merkte er, dass er bei einer Mannschaft, die seine Leidenschaft so wenig teilte, nicht bleiben konnte. Zum anderen machte er durch seine Leistung auf sich aufmerksam und bekam wenig später ein Angebot von der holländischen Mannschaft TVM, die vorwiegend auf die belgischen Rennen setzte.
Klier zögerte keinen Augenblick, unterschrieb und zog mit Sack und Pack nach Flandern – und begann zu trainieren. Zusammen mit den anderen Spezialisten für diese Rennen, den Belgiern und Holländern, die traditionell im unwirtlichen Flandern überwintern: „Wer im Winter auf den Balearen oder in Südafrika trainiert, hat hier im Frühjahr keine Chance“, sagt Klier.
Sein Trainingskamerad und neuer Mannschaftskapitän war der Belgier Peter Van Petegem. Und genau in dem Jahr, in dem Klier zu der Truppe um Van Petegem stieß, hatte dieser seinen großen Durchbruch. 1999 gewann der Belgier die Flandern-Rundfahrt und wurde zum Volkshelden in Flandern. Und ein wenig dieses Ruhms bekam auch sein neuer Helfer Andreas Klier ab, der sich grandios geschlagen hatte. „In der Kneipe von Van Petegems Fanclub hängt seither auch ein Poster von mir“, erzählt Klier nicht frei von Stolz.
Die Mannschaft TVM ist mittlerweile auseinander gefallen. Van Petegem fährt für das amerikanische Team Mercury, Klier ist zum Team Deutsche Telekom gewechselt. Dennoch lebt und trainiert die Gruppe nach wie vor gemeinsam in der Gegend rund um Ninove, dem Kerngebiet der Flandern-Rundfahrt. „Dass ich daran nichts ändern muss, war für mich eine Bedingung, als ich bei Telekom unterschrieben habe.“ Klier hat sich in diesem Jahr in Flandern ein Haus gekauft. An seiner Leidenschaft hat er nicht vor so schnell etwas zu ändern. „Irgendwann möchte ich in Flandern ganz vorne landen“, benennt er sein Karriereziel.
Telekom hat den exzentrischen Münchener in dieser Saison vor allem deshalb unter Vertrag genommen, weil sich im vergangenen Jahr zwei Telekom-Fahrer bei der Flandern-Rundfahrt ganz ausgezeichnet geschlagen haben. Nachdem die Telekoms jahrelang bei den Frühjahrsrennen hinterherfuhren und erst zur Tour de France in Schwung kamen, meldete Erik Zabel mit seinem vierten Platz in Flandern und seinem dritten in Roubaix im Vorjahr Ambitionen an, unterstützt wurde Zabel dabei von Steffen Wesemann, dem nach seinem zweiten Rang am vergangenen Wochenende beim belgischen Halbklassiker in Harelbeke am morgigen Sonntag in Flandern ebenso große Chancen eingeräumt werden wie Zabel. Klier soll einem der beiden zum Sieg verhelfen, ihnen als Kenner des Terrains, der Favoriten und der Taktik zur Seite stehen.
Denn Klier weiß nur zu gut, wie die Flandern-Rundfahrt verläuft: „Das ist ein Ausscheidungsrennen. Da kommt ein Anstieg nach dem anderen. Und nach jedem wird das Feld kleiner.“ Siegchancen hat nur, wer beim vorletzten und meist entscheidenden Anstieg, der berüchtigten „Mauer von Geraardsbergen“, noch dabei ist. Das waren Wesemann und Zabel im vergangenen Jahr. Klier auch. „Wer danach noch die Kraft hat, zu attackieren, gewinnt“, sagt der. Wesemann würde er das zutrauen. Und Tchmil. Und Museeuw. Und sich selbst? „Ich bin noch nicht ganz so weit“, glaubt er. „Aber wer weiß. Vielleicht erwische ich einen super Tag ...“ Vielleicht erwischt er ihn schon an diesen Sonntag.
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