piwik no script img

die stimme der kritikBetr.: Latente Faulheit

Schröders freudsche Umkehrung

Alle, die gerade so fleißig gegen Gerhard Schröders Satz „Es gibt kein Recht auf Faulheit“ argumentieren, haben natürlich Recht: Der Satz ist zunächst sinnlos. Beziehungsweise, er würde nur Sinn machen, wenn Schröder auf der Stelle das Anhäufen, Besitzen und Vererben von Vermögen verbieten würde. Denn was steht dem Arbeitswillen mehr entgegen als zu viel Geld auf dem Konto? Außerdem müsste Schröder selbstverständlich jede Ablenkung von der Arbeit unter Strafe stellen, vor allem also Bild, BamS und Glotze. Kann Schröder das gemeint haben? Wohl kaum. Was also hat er wirklich sagen wollen? Hier hilft ein Blick in die Schriften des guten, alten Professor Sigmund Freud.

In seiner Lehre von der „Traumdeutung“ hat er dargelegt, dass der manifeste Inhalt eines Satzes nicht mit dem gemeinten Gedanken übereinstimmen muss, der liegt oft nur latent dahinter. Das bewirkt die psychische Instanz der Zensur, die das eigentlich Gemeinte mit Hilfe der Mechanismen von Verfremdung und Verdichtung verschleiert. Es ist sogar möglich, dass ein Satz genau das Gegenteil von dem meint, was er sagt. Freud nennt diese Möglichkeit „Umkehrung“. Was also, wenn Schröder das Gegenteil sagen wollte – wenn sein latenter Gedanke lautete: „Es gibt ein Recht auf Faulheit“? Dann würde sich alles in Wohlgefallen auflösen. Die vielen Erben, Pensionäre und sonstigen Reichen dieser Republik wären zufrieden, sie könnten weiterhin die schönen Dinge des Lebens genießen. Und von Gerhard Schröders psychischem Apparat könnte man annehmen, dass er normal arbeitet. Denn zum einen funktioniert seine Zensurinstanz hervorragend. Schließlich darf ein deutscher Bundeskanzler nicht einfach das Recht auf Faulheit vertreten – also sagt Schröder das Gegenteil. Zum anderen scheinen auch seine psychischen Selbstschutzmechanismen intakt. Schließlich würde jeder, der solchen Stress hat wie Schröder – gerade jetzt bei den sinkenden Konjunkturdaten! –, vom Faulenzen träumen. Kurz und gut: ganz normal, der Mann. Man muss eben nur das Gegenteil denken von dem, was er sagt.

Wenn man eins und eins zusammenzählt, könnte man auch glatt behaupten, der Kanzler wollte uns in eins der Geheimnisse seiner Berliner Republik einweihen: dass wir nämlich in einer entfesselten Arbeitsgesellschaft leben, die einen von Faulheit träumen lässt, in der wir uns aber nicht trauen, diesen Traum auch zu vertreten. Danke, Gerhard Schröder. DIRK KNIPPHALS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen